Vendée GlobeCharlie enteilt, Boris holt auf - und die Schlittenfahrt geht weiter

Jochen Rieker

 · 06.12.2024

Nicht nur die Spitze segelt am Limit. Auch weiter hinten im Feld der Vendée Globe stürmt es derzeit
Foto: DMG Mori Global One/K. Shiraishi
Eindrücke vom Rennverlauf der Vendée Globe am 6. Dezember 2024
Die Spitzenreiter der Vendée Globe sind bald aus dem Schlimmsten raus. In der Mitte macht Boris Herrmann als Zweitschnellster der letzten 24 Stunden Meilen gut. Das Hauptfeld aber kriegt es zum Teil gerade nochmal dicke - und hat auch mit dem Agulhas-Strom zu kämpfen. Das ist die Lage zu Beginn des 26. Renntages.

Die Zacken in den Kurslinien der inzwischen nur noch 38 Teilnehmer der Vendée Globe, sie lassen einen stets bangen - gerade in Phasen wie diesen, wo fast alle Skipperinnen und Skipper von knüppelharten Bedingungen berichten und ihre Boote allmählich anfällig für Maleschen werden.

Heute am späten Vormittag hielt plötzlich Justine Mettraux ihren Bug nach Süden, weg vom Wind. Die derzeit Zehntplatzierte wird damit Boris Herrmann Meilen schenken, der ohnehin einen Lauf hat. Mit einem Etmal von 483 Seemeilen hatte er ihr seit gestern schon 35 Meilen abgeknöpft. Was die Schweizerin zum Beidrehen veranlasst hat, ist noch nicht klar. Es könnte schlichtweg ein gründlicher Check des Bootes sein oder ein Segelwechsel; aber natürlich ist auch ein Schaden nicht unwahrscheinlich.

Boris hat heute Früh nach dem Auspacken seines Nikolausgeschenks (Zimtsterne) selbst angekündigt, dass er für die Fertigstellung der Reparatur an seiner Arbeitsfock demnächst Fahrt rausnehmen muss. Denn die J2 wird er bei den schnellen Reaching-Bedingungen brauchen, die auf ihn und seine unmittelbaren Begleiterinnen warten: neben Justine auch Sam Davies sowie Clarisse Crémer.

Die Französin zeigte sich am Morgen wieder in Form: Nach zwei längeren Schläfchen in der Nacht hat sie die Strapazen der Reparatur am oberen Foil-Lager offenbar hinter sich gelassen. Sie ist Fünftschnellste im aktuellen 24-Stunden-Ranking und will alles daransetzen, wieder zu ihren unmittelbarsten Konkurrenten aufzuschließen. Womöglich hat auch der beherzte Auftritt ihres Mannes sie beflügelt.

Tanguy Le Turquais nämlich hört nicht auf, zu beeindrucken. Der in der Figaro-Klasse gestählte “Lazare”-Skipper, der seine erste Vendée Globe segelt, verbesserte sich seit gestern erneut um einen Rang und segelt jetzt auf Position 18 - mitten in einem kleinen, aber giftigen Sturmtief.

Weil viele andere wie Isabelle Joschke und Jean Le Cam gut 250 Seemeilen nach Norden ausgewichen sind, hat Tanguy einen nicht geringen taktischen Vorteil, zumal er aus dem stärksten Teil des Agulhas-Stromes raus ist, während seine Verfolger diesen noch zweimal queren müssen, was Kreuzseen mit sich bringen kann und die Gefahr von Kollisionen mit Walen oder Treibgut erhöht. Starkes Rennen von ihm bisher!

Und dann ist da natürlich noch Charlie Dalin: Erster, unangefochten, und mit Abstand Schnellster über die vergangenen 24 Stunden. Er kajolt weiter an der Eisgrenze entlang nach Osten und hat sich bereits um fast 200 Seemeilen von Seb Simon auf Platz zwei abgesetzt. Zwar liegt er aktuell noch etwa eine Tagesdistanz hinter dem bisherigen Vendée-Rekordhalter Armel Le Cléac’h, aber schon 2.000 Seemeilen vor dem Standort von Yannick Bestaven vor vier Jahren.

Ohne Zweifel wird seine Entscheidung, vor dem Sturmtief zu bleiben, auch unabhängig vom Ausgang des Rennens noch in Jahren ein Referenzpunkt für Entschlossenheit und navigatorische Exzellenz sein. Charlie ist ein Skipper, der den Unterschied machen kann. Und dies ist ein weiterer Beleg für seine Ausnahmestellung.

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Selbst Yoann Richomme, Thomas Ruyant und Jérémie Béyou ließen in ihren Kommentaren von Bord zwischen den Zeilen oder auch explizit erkennen, wie sehr sie mit der aktuellen Situation hadern, wie sie Charlies und Sebs durchaus mutige Entscheidung an ihrer eigenen zweifeln lässt.

Am härtesten werden die nächsten Stunden für Béyou, Nico Lunven, Paul Meilhat, Sam Goodchild und Yannick Bestaven, denn die sind von der Rückseite des Tiefs in eine Hochdrück-Brücke gefallen. Nachdem es in der Nacht noch die Instabilität des Windes war, die ihnen zu schaffen machte, fehlt es ihnen jetzt insgesamt an Vortrieb. Gut für Boris - er kann zwar nicht direkt in Schlagdistanz kommen, aber den Abstand auf die Positionen Neun bis Fünf in den nächsten Tagen verkürzen.

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