Vendée GlobeBoris Herrmanns Zwischenbilanz am erstem Barfuß-Tag

Tatjana Pokorny

 · 14.11.2024

Ein nachdenklicher Boris Herrmann an Bord seiner "Malizia – Seaexplorer"
Foto: Dani Devine/Team Malizia
Von den großen Abschiedsemotionen über den ersten Schock bis hin zum Top-Ten-Comeback und dem aktuellen Kampf: Boris Herrmann blickt in einem Gespräch mit Vendée-Globe-Kommentator Andi Robertson auf seine ersten Tage auf See zurück. Dazu schickte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper am Abend weitere Kommentare von See und warf auch einen Blick nach vorne.

Am Ende des vierten Renntages der 10. Vendée Globe hat Boris Herrmann ein interessantes Gespräch mit Vendée-Globe-Beobachter und TV-Moderator Andi Robertson geführt. Dabei zog der 43-jährige “Malizia – Seaexplorer”-Skipper eine erste Zwischenbilanz, schlug aber auch viele Zwischentöne an. So habe er sich gleich in der ersten Nacht gefragt: „Warum bin ich am ersten Abend auf Platz 40? Was ist da los?“ Er sei ein bisschen geschockt gewesen.

Auf der Suche nach dem Vendée-Globe-Rhythmus

Als er am zweiten Tag jedoch das Comeback in den Top-Ten gelungen war, verschwanden die Fragezeichen in Boris Herrmanns Kopf schnell wieder. Seine Erinnerung an diese erste Rennphase: “Am Anfang war es intensiv und hart. Ich hatte Mühe, bei den vielen Winddrehern den richtigen Rhythmus zu finden. Ich musste häufig halsen, und dann drehte der Wind in die falsche Richtung.”

Bis zum Donnerstagmorgen hat sich das Blatt gewendet, wie Boris Herrmann bei seinem zweiten Solo um die Welt nach vier Nächten auf See festhielt:”Heute bin ich an der Seite von Justine, die in Luv liegt. Es ist der erste Morgen, an dem ich barfuß unterwegs bin, und ich fahre elf, zwölf, manchmal vierzehn Knoten bei etwa zehn Knoten Wind. Es ist also ein angenehmer Moment, und ich werde heute einen ruhigen Tag genießen.”

Nicht nur Boris Herrmann, der als Neunter in die fünfte Nacht ging, glaubt, dass es so womöglich ein paar Tage bleiben könnte: “Ich denke, die nächsten Tage werden tatsächlich ruhig sein. Und ja, wir finden allmählich unseren Rhythmus. Ich habe nicht viel geschlafen, und nach diesem Telefonat werde ich versuchen, ein bisschen mehr zu schlafen.”

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Rendez-vouz auf See und Verluste

Das Schlafen sei ihm in diesen ersten Tagen schwergefallen. Boris Herrmann sagte: “Es ist nicht immer einfach, tagsüber zu schlafen. Manchmal fällt es mir ein bisschen schwer, aber wir mussten Madeira wegen des Windes an Backbord lassen. Danach habe ich hinter Madeira gehalst, um eine leichte Winddrehung auszunutzen. Das hat für mich gut funktioniert.”

Boris Herrmann sinnierte: “Ich hätte noch etwas weiter zurückkommen können, aber ich musste mit dem Wind aufpassen. Und in diesem Moment kreuzten sich der Kurs von Seb Simon und meiner. Früher am Abend hatte ich Yannick Bestaven überholt. Wir unterhielten uns ein wenig und tauschten einige Neuigkeiten aus. Später in der Nacht wechselte ich mein Vorsegel. Das musste ich tun.” Team Malizias Gründer glaubt, dass er hier rund zehn Seemeilen verloren hat: “Vielleicht bin ich auf dem Tracker vom achten auf den zehnten Platz zurückgefallen, glaube ich.”

Auch dieses Szenario liegt längst hinter ihm. Ebensoder erste Barfuß-Tag, während er am Abend des 14. November in die fünfte Nacht segelte. Boris Herrmann sagte: “Wir werden bis zum Äquator barfuß, in Badeshorts und Badeanzügen unterwegs sein. Wir haben sieben Tage, in denen es ruhig bleiben wird, mit dem Code Zero oder dem großen Gennaker, vielleicht mit einem Segelwechsel alle zwei Tage.”

Schlaf als größtes Glück auf See

Mit den Konkurrenten blickt Boris Herrmann einer ruhigen Rennphase entgegen. Für andere bringt sie Chancen auf notwendige Reparaturen. Für Boris Herrmann eine “gute Zeit, um sich wirklich an das Rennen zu gewöhnen”. Anderseits sei klar, “dass es nicht sehr schnell sein wird”. Die Routenvorschläge, so der erfahrene fünfmalige Weltumsegler, würden alle auf einen sehr westlichen Kurs hindeuten. Er selbst aber glaube nicht daran, sagte: “Wir werden ein bisschen nach Südwesten fahren, wie die ganze Flotte, aber das ist noch nicht ganz klar.”

Auch erste schöne Momente haben sich Boris Herrmann bereits eingeprägt. So beispielsweise nahe der spanischen Küste, als er mühsam vom großen Gennaker auf den kleinen gewechselt hatte. “Am Ende gab es dort wunderschöne Lichter und Delphine, die mich begrüßten.” Er machte auch keinen Hehl daraus, was aktuell sein größtes Glück bedeutet: “Was mir, ehrlich gesagt, am meisten Freude bereitet, ist, wenn ich es schaffe zu schlafen.”

Auf die Frage, ob er das Rennen auch genieße, sagte Boris Herrmann: „Ja, ich genieße es. Ich achte darauf, meine Stimmung zu beobachten, um mich nicht zu sehr zu stressen oder in komische Emotionen zu verfallen, denn auf dem Schiff kann man das nicht tun. Man kann nicht einfach die Laufschuhe anziehen und laufen gehen oder ein paar nette Leute treffen, um die Stimmung zu ändern.”

Führt Boris Herrmann Selbstgespräche?

Sein Mittel gegen Gefühlsschwankungen: “Ich bin sehr vorsichtig und passe auf mich auf. Ich habe meinen Rhythmus gut gefunden und bin mit meiner Position im Rennen zufrieden. Ich hoffe, dass wir ein bisschen näher an die Spitze herankommen können, aber mal sehen.“

Heiter fiel Boris Herrmanns Antwort auf Andi Robertsons Frage aus, ob er an Bord Selbstgespräche führt: „Das werde ich oft gefragt, und ich tue es nicht. Aber ich wollte es ausprobieren, weil mir viele Leute gesagt haben, dass das auch ganz schön sein kann. Ich glaube, wenn man das macht, zeigt das, dass man entspannt ist. Und das mache ich nie. Wahrscheinlich bin ich immer ein bisschen zu ernst, der deutsche Typ.“

Auf die Frage, ob er wie alle anderen vom neuen 24-Stunden-Solorekord von seinem ehemaligen Ocean-Race-Navigator Nico Lunven beeindruckt sei, sagte Boris Herrmann: “Ja! Und auch von seinen navigatorischen Fähigkeiten, eine andere Route zu nehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob er das wegen seiner Reparatur getan hat oder weil er fand, dass das Wetter dort besser ist. Aber auf jeden Fall ist er sehr eigenständig.”

Anerkennung für Vendée-Globe-Rookie Nico Lunven

Nach den gemeinsamen Etappen im Ocean Race kennt Boris Herrmann Nico “The Brain” Lunven sehr gut und sagte: “Er kann wirklich Wege abseits der anderen finden. Und ich schätze, er hatte etwas weniger Wellengang. Und das sah aus wie eine saubere Route da draußen. Und, schön, dass er den Rekord geschafft hat.“

Schon in einem großen YACHT-Gespräch vor dem Vendée-Globe-Start hatte Boris Herrmann Nico Lunven zu den Mitfavoriten erklärt und gesagt: “Bei Nico habe ich ein ganz gutes Gefühl. Der bringt so viel mit. Der hat ein gutes Team, kennt das Boot jetzt schon ganz gut. Den würde ich auf jeden Fall mit auf die Liste setzen. Auch, wenn er mit ein bisschen weniger Selbstbewusstsein oder Sicherheit an den Start geht, weil er noch nicht allein mit dem Schiff im Southern Ocean gesegelt ist.”

In seinen eigenen Nachrichten von See erinnerte Boris Herrmann in dieser ersten Rennwoche auch an seine weiteren Malizia-Missionen: “Wir haben wieder unser Ozeanlabor mit, das sehr, sehr genau die CO2-Konzentration misst. Da haben wir mittlerweile eine der größten Datensammlungen zusammengetragen, die frei zugänglich ist. Das sind sehr, sehr wichtige Daten, die vor allem aus den Südmeeren sind. Wir sind ja fast die einzigen oder wirklich die einzigen Schiffe, die dahinkommen. Das machen wir jetzt wieder, wollen konsequent die Arbeit fortsetzen, die wir angefangen haben.”

Die verbindende Kraft der Vendée Globe

In bewegter Weltlage ließ es sich Boris Herrmann nicht nehmen, die positive Macht des Sports zu beleuchten: “Ich habe mir auch ide Frage gestellt, ob ich mich jetzt so ein bisschen verschließen will vor den Nachrichten der Welt, die zum Teil sehr durcheinander gehen. Ich glaube aber, was einem in dem Moment einfach besonders auffällt, ist die schöne Kraft des Sports, positive Emotionen. Immer wieder zu erinnern, hervorzurufen: Völker, Menschen zu verbinden über Nationengrenzen, über Grenzen von Ansichten und Religionen.”

Mit Blick auf den Start und Hunderttausende Fans sagte Boris Herrmann: “Hier so eine große Menschenmasse zu sehen und auch international so viele Leute, die das Rennen und einfach dieses große Abenteuer verfolgen, da sehe ich den Wert des Rennens noch besonders in dieser Zeit, die – politisch gesehen – so durcheinander ist.”

Bei Boris Herrmann und den anderen Vendée-Globe-Herausforderern läuft der fünfte Tag seit 13.02 Uhr am diesem 14. Novemberabend. Hier gab der Hamburger am Morgen gut gelaunt Einblicke in sein Leben auf See:

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