Tatjana Pokorny
· 31.10.2024
Boris Herrmann: Ich hoffe natürlich auf ein super Ergebnis! Das kann alles sein zwischen den Plätzen 1 und 10. Alles, was schlechter wäre als Top Ten, wäre eine große Enttäuschung. Andererseits kommt es auf die Bedingungen an. Falls ich unterwegs erheblich beeinträchtigt werden sollte, wird schon das Ins-Ziel-Kommen eine Herausforderung sein. Es kann bei der Vendée Globe auch ohne eigenes Verschulden leicht auf so ein Szenario hinauslaufen.
Sehr gut! Die Vendée Globe ist eigentlich ein Rennen in zwei Phasen: Es gibt den Wettlauf um die bestmögliche Vorbereitung und die Regatta selbst. Wenn man es mit Olympia vergleicht, dann ist die eigentliche Wettfahrt wie das Medaillenrennen - auch wenn es ein bisschen länger dauert (lacht).
… dass wir 90 Prozent der Arbeit schon geleistet haben. Unsere Vorbereitung für die Vendée Globe ist abgeschlossen. Was wir jetzt noch in der zweiten Sommerhälfte gemacht haben, war Training, eine Art Warmlaufen.
Bei der Vendée Globe kommt dann noch Glück ins Spiel. Wenn da ein blödes Objekt, ein Baumstamm im Wasser rumschwimmt wie letztes Mal bei Samantha Davies, die vor Kapstadt eine Kollision hatte und aufgeben musste… dann ist es vorbei. Sam hätte das Rennen auch gewinnen können. Das ist dann dieser Glücks- oder Pechfaktor. Wir können uns sportlich vorbereiten, wie Olympia-Athleten: mit großer Akribie, über lange Zeit und mit viel Fokus, aber die Vendée Globe ist keine Serie von Wettfahrten mit Streichern. Es gibt nur einen Lauf, und der ist auch noch verdammt lang. Das Risiko ist dadurch größer.
Mit Blick auf die erledigten Hausaufgaben stehen wir auf den vorderen Rängen. Wir können uns also dem Co-Favoritenstatus nicht verwehren. Ich würde unsere Vorbereitung als nahezu perfekt beschreiben.
Das Imoca-Ranking ist interessant. Wenn ich da nicht so weit vorne stehe, schaue ich nicht so oft drauf. Aber aktuell bin ich mit vorne. Das gefällt mir natürlich gut. Es ist Werbung für unser Team. Unser Wettbewerb ist viel komplexer als bei einem Einzelsport. Es geht auch darum, dass wir gute Leute ins Team bekommen und halten. Also zählt auch, welches Image das Team nach außen hat. Für sowas ist so eine Spitzenposition gut. Wir können Leuten das Gefühl geben, dass wir für Performance stehen. Wir sind kein Team, das hinterherfährt.
Wir segeln seit dem Ocean Race 2023 mit nahezu demselben Schiff weiter – ohne große Veränderungen, bis auf die neuen Foils. Der einzige andere, der das Ocean Race überhaupt ganz bestritten hat, ist Paul Meilhat mit „Biotherm“. Benjamin Dutreux mit dem „Guyot“-Team nur in Teilen; wegen Laminatbrüchen im Rumpfboden hat er zum Beispiel die gesamte Southern-Ocean-Etappe verpasst. Er bekommt jetzt zwar neue Flügel – die gleichen, die wir beim Ocean Race hatten. Damit fängt er quasi wieder von vorn an. Und Seb Simon, der die im Ocean Race siegreiche „11th Hour Racing“ übernommen hat, war nicht auf diesem Boot an Bord, ebenso wie Justine Mettraux jetzt auf einem anderen Imoca segelt. Da haben wir einen immensen Erfahrungsvorsprung.
Es können sechs bis zehn Leute um den Sieg und die Podiumsplätze segeln. Dazu zählen Charlie Dalin, Thomas Ruyant, Yoann Richomme, Jérémie Beyou, Sam Davies, Justine Mettraux, vielleicht auch Maxime Sorel, Louis Burton, Benjamin Dutreux und Nico Lunven…
… ja, bei Nico habe ich ein ganz gutes Gefühl. Der bringt so viel mit. Der hat ein gutes Team, kennt das Boot jetzt schon ganz gut. Den würde ich auf jeden Fall mit auf die Liste setzen. Auch, wenn er mit ein bisschen weniger Selbstbewusstsein oder Sicherheit an den Start geht, weil er noch nicht allein mit dem Schiff im Southern Ocean gesegelt ist.
Charlie ist natürlich ein Favorit, weil er das schnellste Schiff auf flachem Wasser hat. Seine Dominanz im 48-Stunden-Rennen des Defi Azimut war atemberaubend. Der segelt wie in einer anderen Liga, echt sauber und beeindruckend, Chapeau! Wenn wir solche Bedingungen bei der Vendée Globe im Atlantik bis Kapstadt haben, also Wind und flache See, was vorkommen kann, dann kann er schnell dramatisch weit vorne liegen. Wenn wir allerdings schwierige Bedingungen haben, dann sieht es anders aus.
Thomas Ruyant und ich haben die schnellsten Schiffe bei Seegang und starkem, böigem Wind - also gute Schiffe für die Vendée Globe. Inwiefern Charlie Dalin uns mit seinem sehr boxigen und flachen Verdier Design im Atlantik komplett abzieht, dann im Südmeer ein Wettersystem vorher ankommt und uns allen um die Ohren fährt, bleibt abzuwarten. Das kann ein Szenario sein. Ein anderes kann sein, dass er einfach zu kämpfen hat mit einem Boot, das schwierig zu segeln ist, viel Wasser an Deck schmeißt und viel unterschneidet. Das ist eigentlich die große Frage dieser Vendée Globe.
Die Vendée Globe ist stets auch ein Architektur-Wettbewerb. Und da sind einfach diese beiden Konzepte, die beiden Extreme: Auf der einen Charlie Dalin mit „Macif Santé Prévoyance“, auf der anderen wir. Thomas Ruyants „Vulnerable“ ist auch eher mit auf unserer Seite, ebenso wie Yoann Richommes „Paprec Arkéa“. Das sind Schwesterschiffe. Es ist total schwer, die Konzepte so übereinander zu legen, dass das Beste aus beiden Welten miteinander verschmilzt. Das ideale Schiff wäre eines, das auf flachem Wasser superschnell ist und dann auch noch gut durch Seegang kommt. Das ist aber genau diametral. Das, was man im einen Bereich gewinnt, verliert man beim anderen. Deswegen bin ich so gespannt auf die die Ergebnisse bei diesem Rennen.
Die Sam-Manuard-Schiffe sind interessant: “Charal” von Jérémie Beyou und “Initiatives Cœur” von Sam Davies. Und es gibt es auch noch das Manuard-Design von Louis Burton, das eine sehr ähnliche Rumpfform hat (die ehemalige „l‘Occitane“). Ich weiß gar nicht, wo ich die im Spektrum verordnen würde - vielleicht in der Mitte.
Genau. Die sind halt vor dem Wind und bei Welle nicht so ‚easy going‘ wie wir. Sie können dafür aber bei glattem Wasser gut reachen. ‚Charal‘ ist nochmal ein Sonderfall mit Rudern in V-Anordnung, die Auftrieb erzeugen und selbstregulierend sind. Damit ist Jérémie am Wind eindeutig der Schnellste. Wenn wir also eine besondere Wetterkonstellation bekommen, etwa mit einem Tief über den Azoren, so dass wir von Les Sables bis zu den Kanaren am Wind segeln – das kann ja sein, denn alle drei, vier Wochen gibt es so eine Wetterlage, nach meinem Eindruck sogar öfter als früher – dann ist er da vielleicht deutlich vorneweg.
Viele Franzosen sind sich nicht ganz sicher, ob er die Vendée Globe zu Ende bringen kann. Ihm wird eine Art die „Make it or break it“-Mentalität zugeschrieben, weil sie glauben, dass er sein Material zu stark pusht und nicht genug abwägt. Er hat ein wenig den Ruf eines neuen Alex Thomson. Im Transat CIC ist er auch Vollgas am Wind da langgehämmert, bis ihm alles um die Ohren geflogen ist. Das ist dann vielleicht keine so große Überraschung.
Das war eine große Überraschung in dieser Vorbereitung, dass er die ganze Zeit underperformt hat. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer spannender Teilnehmer auf der Liste: Der Chinese Jingkun Xu bringt Hunderttausende Follower mit. Er hat nur einen Arm. Wie er das macht, weiß ich nicht. Conrad Colman finde ich als Kämpfer und Dauerläufer auch immer spannend.
Das tat mir total leid und ich drücke die Daumen, dass er es schafft. Romain ist eher zurückhaltend, still, diskret, kein Aufschneider. Ein sehr solider Arbeiter, auch Mitglied im Pôle Finistère. Eigentlich ist er stark unterschätzt, weil er wie ein Alan Roberts Teil des Performance-Milieus ist. Auch ein Benjamin Dutreux könnte dieses Mal performen. Ich würde ihm vielleicht die neue Bestaven-Rolle zugestehen.
Pip könnte auch noch einmal richtig überraschen. Sie hat einen großen Schritt nach vorne gemacht, ihr Projekt wieder gut in den Griff bekommen. Und Damien Seguin wird wieder stark sein. Ebenso wie Louis Burton. Der ist ein harter Hund, gibt nie auf. Dann ist da noch Sébastien Simon, der es wissen will. Für ihn ist es eine Art Revanche. Er hatte 2020 die große Kampagne mit Arkéa Paprec. Das lief nicht so gut, war ein nicht so gut gemanagter Flop.
Bei so etwas nehme ich mich selbst gerne raus. Yoann Richomme ist ein sehr starker Kandidat. Der ist ein super Typ, komplett reif und rund. Der kennt sich nicht nur ein bisschen aus, der kann auch Schiffe konstruieren. Das hat er in der Class40 mal eben gemacht und damit die Route du Rhum gewonnen. Und das war nur eine Zwischenetappe, während seine Imoca gebaut wurde. Also, der kann was, hatte auch schon im Solitaire du Figaro viele Meriten gesammelt. Und sein Vater als Incidence-Chef weiß auch ein bisschen, wie man so ein Schiff mit Segeln schnell macht. Wenn ich mich rausnehme, würde ich ihn und Thomas aufs Podium setzen. Dazu vielleicht Sam Davies.
Das war von vorneherein das Konzept: ein ganz stabiles und solides Boot bauen, es im Ocean Race entwickeln, es langfristig testen und optimieren und dann bei den Vendée hoffentlich keine Probleme haben. Natürlich wird es trotzdem irgendwelche Probleme geben. Es dauert doch erstaunlich lange, so ein Boot komplett bis zur Super-Zuverlässigkeit zu bringen.
Wahrscheinlich wissen wir erst nach der Vendée Globe beim Ocean Race Europe im kommenden Jahr so ganz genau Bescheid. Es gibt immer noch Bedingungen und Konstellationen, die wir nicht erlebt haben.
Ja! Du segelst um die Welt, hast aber bestimmte Windwinkel nie gehabt. Natürlich gilt: Je länger du ein Boot segelst, desto mehr schließt du das aus. Aber es kann schon bis zu sechs Jahre dauern, bis so ein Boot wirklich voll ausentwickelt ist.
Das ist das Gute an den Imocas! Diese Schiffe sind keine Eintagsfliegen. Die haben in mindestens zwei Vendée Globes eine Daseinsberechtigung. Und dann eine dritte und vielleicht auch vierte für einen Youngster oder einen Abenteurer. Mein altes Schiff funktionierte im Rennen 2020/21 erst richtig gut, drei Jahre, nachdem ich es übernommen hatte. Die Voreigner hatten schon vier Jahre daran entwickelt. Da waren es also sogar sieben Jahre bis zur Vollreife.