Tatjana Pokorny
· 23.12.2024
Aktuell sind viele Vendée-Globe-Augen auf die beiden Spitzenreiter Charlie Dalin und Yoann Richomme gerichtet. Die beiden Giganten dieser Auflage segeln Kap Hoorn in einer eigenen Liga entgegen, werden den dunklen Felsen voraussichtlich Heiligabend am frühen Morgen passieren. Nur: Wer wird die Bugspitze vorne haben?
Immer wahrscheinlicher wird, dass “Macif Santé Prévoyance”-Skipper Charlie Dalin und sein Herausforderer Yoann Richomme (”Paprec Arkéa”) das bekannteste der drei Kaps, die das Solo um die Welt säumen und prägen, in sehr schneller Folge fast parallel passieren, bevor sie bald darauf links in den Atlantik einbiegen werden. Beide segelten früh morgens am 23. Dezember mit Geschwindigkeit von mehr als 23 Knoten. Zum Ende von Renntag 43 hatte am Montagvormittag wieder Dalin die knappe Führung übernommen.
Charlie Dalin sagte am Tag vor Heiligabend: “Ich spüre die Aufregung der bevorstehenden Passage von Kap Hoorn. Ich habe eine ganze Weile kein Land gesehen. Es wird schön sein, Kap Hoorn bei Tageslicht zu sehen.” Dalin berichtete von stark forderden strategischen Entscheidungen für die anstehende Passage. Er rechnet mit Winden in Böen bis 35 Knoten vor Kap Hoorn. “Der Seegang sollte okay sein”, so Dalin. Beim letzten Mal habe er Kap Hoorn am Neujahrsabend passiert: “Dieses Mal wird es Weihnachten sein. Ich bin sehr aufgeregt, Kap Hoorn zum zweiten Mal zu passieren.”
Yoann ist ein sehr guter Freund – und ein scharfer Konkurrent.” Charlie Dalin
Seinen großen Konkurrenten Yoann Richomme beschrieb Charlie Dalin als “Rivale Nummer eins”. Dalin sagte: “Ich denke, wir werden im Atlantik noch ein bisschen mehr voneinander sehen. Ich schätze Yoann. Wir haben erstmals 2005 gegeneinander gesegelt, glaube ich. Das ist fast 20 Jahre her. Ich bin also beides: Froh, dass wir hier Bug an Bug miteinander segeln. Aber auch nicht so froh, weil ich weiß, dass er ein harter Wettbewerber ist.”
Die beiden Dominatoren segelten zuletzt mit etwa 40 Seemeilen Nord-Süd-Abstand zueinander dem wichtigen Meilenstein des Solos um die Welt entgegen. Dabei genießen sie auch weiter bessere Winde als ihre Verfolger, die immer weiter zurückfallen, sich aber in ihrer Gruppe in den Top Ten ebenfalls packende Duelle liefern.
Eines dieser Duelle bestreitet Boris Herrmann mit Yannick Bestaven. “Das Matchrace mit Yannick macht Spaß”, hatte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper am Vortag gesagt. Inzwischen hat sich Herrmann am Vormittag des 23. Dezember einen Vorsprung von 22 Seemeilen auf den französischen Titelverteidiger erarbeitet. Mehr noch: Von seinem ehemaligen Ocean-Race-Navigator Nico Lunven auf “Holcim - PRB” trennten Herrmann am Tag vor Heiligabend plötzlich nur noch rund 64 Seemeilen.
Zur Spitze aber ist der Weg für Herrmann wie auch die anderen Top-Ten-Akteure in den ungleichen Windbedingungen weit geworden. Den “Malizia – Seaexplorer” trennten nach der Point-Nemo-Passage kurz vor 8 Uhr morgens am 23. Dezember gut 1550 Seemeilen von Charlie Dalin. Nach mehr als 15.000 Seemeilen blieben Boris Herrmann vor seiner siebten Kap-Hoorn-Passage aber noch knapp 8850 Seemeilen für die Aufholjagd.
“Für mich gibt es neben dem Meilenstein Kap Hoorn viele weitere mentale Etappenziele, die ich mir setze: Bis zu nächsten Ecke vom Eisgate, bis zur nächsten Zeitzone, dann im Atlantik bis zum Äquator, ins Warme und in die Passatwinde zu kommen», zeichnete Boris Herrmann zum Ende der siebten Rennwoche seit dem Start am 10. November sein Bild vom bevorstehenden letzten Vendée-Globe-Monat auf See.
Für Heiligabend plant Boris Herrmann eine Videoschaltung mit seiner Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann und Tochter Marie-Louise, sagte: “Ich werde sehen, was die Familie macht, ein bisschen dabei sein und selbst Geschenke auspacken, die ich hier an Bord habe.” An seine kleine Hündin Lilli erinnert ihn ihr Bild in einer Schneekugel, die Herrmann mit Begeisterung schüttelt. Im Inneren seines Bootes hat er sich bei sechs Grad Luft- und vier Grad Wassertemperatur Sterne an die Decke über der Koje geklebt – sein Himmelsreich in einem der unwirtlichsten Reviere der Welt. Darin wird zu Weihnachten sogar ein mitgebrachter Weihnachtsbaum stehen.
Die Bedingungen blieben indessen unangenehm für die Jäger der führenden Boote, unter denen Sébastien Simon bei inzwischen 455 Seemeilen Rückstand auf Charlie Dalin zurückgefallen ist. Dennoch verteidigte der “Groupe Dubreuil”-Skipper am Tag vor Heiligabend weiter einen satten Vorsprung von rund 640 Seemeilen vor dem viertplatzierten Thomas Ruyant. Der kommentierte die ruppigen und unbeständigigen Bedingungen ähnlich wie zuletzt Boris Herrmann, der in diesen bedingungen sogar eine Kenterung hinzunehmen hatte, sein Boot aber wieder aufrichten und weitersegeln konnte.
Es ist wie in den Doldrums des Südpolarmeeres.” Thomas Ruyant
“Vulnerable”-Skipper Thomas Ruyant sagte: „Es ist nicht einfach! Es kommen diese Böen durch, die Big South Squalls. Sie sind beeindruckend, erreichen 15 bis 40 Knoten. Es ist nicht leicht, mit diesen starken Böen umzugehen. Aber das sind die Bedingungen, die wir im Moment haben. Und das Tief ist mit all diesen Böen sehr aktiv.”
Ruyant erinnerte auch daran, dass der Weg den Atlantik hinauf in der Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne noch ein weiter und ereignisreicher sein wird: “Man sollte bedenken, dass der Aufstieg im Atlantik für das zweite Hauptfeld - komme, was da wolle - eng bleiben wird. Selbst jetzt, Wochen vor dem Ziel, können wir mit einer Reihe von engen Endspurts auf Kurs Les Sables d'Olonne rechnen.”
Die Höhepunkte von Vendée-Globe-Woche sechs: