Pechschwarze Nacht, sturmgepeitschte See und ein einsames Biskaya-Finale: Boris Herrmann hat seine zweite Vendée Globe nach 80 Tagen, 10 Stunden, 16 Minuten und 41 Sekunden als Zwölfter beendet. Damit unterbot er die eigene Zeit von seiner Premiere vier Jahre zuvor (80 Tage, 14 Stunden, 59 Minuten und 45 Sekunden) um gut viereinhalb Stunden. “Zum Glück war ich schneller”, entfuhr es ihm nach dem Zieldurchgang.
Zum französischen Vendée-Globe-Dominator Charlie Dalin fehlten gut fünfzehneinhalb Tage. Die Ziellinie vor Les Sables-d’Olonne kreuzte der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper in dunkler Nacht zum Donnerstag um 23.18 Uhr in aufgewühlter See. Hart wie zuvor schon für Ben Dutreux und Clarisse Crémer: In den Hafen konnte Herrmann nach seinem 1950-Stunden-Solo aus Sicherheitsgründen nicht einlaufen. Er verbrachte noch eine letzte Nacht alleine auf See, bevor sein Team am Donnerstagmorgen an Bord kommen konnte.
Wir haben bei diesem Rennen einige Dinge gelernt. Jetzt müssen wir ein weiteres machen, um diese Dinge in die Tat umzusetzen.” Boris Herrmann
„Es ist geschafft. Es ist vollbracht. Wir sind sicher angekommen“, sagte Boris Herrmann nach dem Zieldurchgang. Das vorherrschende Gefühl beim 43 Jahre alten Hochseeprofi aus Hamburg: Erleichterung nach der schweren Prüfung. Sein Minimalziel einer Top-Ten-Platzierung hat Boris Herrmann bei dieser zweiten Solorunde um die Welt nicht erreichen können.
Frühes Wolkenpech im atlantischen Flautenpoker, gepaart mit kleinen strategischen Fehltritten und einer kleinen Antrittsschwäche von “Malizia – Seaexplorer” aus leichten Winden heraus, hatte ihn den Anschluss an die Führungsgruppe gekostet. Es waren zunächst nur 100 Meilen, doch dann rauschten die Frontleute mit dem “Kapstadt-Express” und in der Folge auch in wesentlich besseren Windfenstern davon. Die Verfolger um Boris Herrmann konnten dagegen wenig tun.
Ende November lag Boris Herrmann als südatlantischer Flautengefangener auf Platz 13. Das Boot drehte Kreise und der Skipper haderte mit dem harten Los: “Manchmal möchte ich weinen. Vier Jahre Vorbereitung, ein neues Boot und der Traum, mit 20 Knoten durch die Wellen zu schneiden… Nun sitze ich hier in der Flaute. Das macht mich traurig.”
Die anfangs 100 Seemeilen Rückstand sind für Boris Herrmann bis zum Kap der Guten Hoffnung nach ganz vorne auf mehr als 1000 Seemeilen angewachsen. Yoann Richomme, am 2. Dezember Spitzenreiter der Flotte, hält kurz vor Boris Herrmanns Passage des Kaps der Guten Hoffnung fest: “Das Niveau ist ziemlich ähnlich wie bei den bisherigen Rennen. Wir haben Seb Simon, der sich in letzter Zeit wirklich gesteigert hat – er ist der große Fortschritt. Ansonsten sind es die üblichen Verdächtigen. Das Niveau, wie ich es erwartet habe. Der große Fehlende ist Boris.”
Nach Aufholjagden, der zweitschnellsten Zeit vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Leeuwin und starkem Zwischenspurt nach der Kap-Hoorn-Passage kam Herrmann bis zum 8. Januar noch einmal bis auf 17 Seemeilen an Platz vier heran. Eine schwarze Bruch- und Blitzserie ließen ihn aber im atlantischen Schlussspurt auf Kurs Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne wieder zurückfallen.
Zweimal musste der 43 Jahre alte Ozeanstürmer seine Höhenangst besiegen, zweimal zu Reparaturen in den 29 Meter hohen Mast steigen. Ein naher Blitzeinschlag am 8. Januar zerstörte zwei Drittel der Elektronik an Bord, sorgte für Leistungseinbußen von “Malizia – Seaexplorer”. Herrmann sagte mit Galgenhumor: “Hoffentlich ist nun das ganze Pech für den Rest meines Imoca-Segellebens aufgebraucht.”
Die Bruchserie erlebte ihren Tiefpunkt, als “Malizia – Seaexplorer” am 16. Januar mit einem sogenannten «Oani» (frz. Abkürzung für ein nicht identifiziertes Objekt oder Lebewesen) kollidierte und das Backbord-Foil brach. Die letzten rund 2800 Seemeilen musste Boris Herrmann “flügellahm” meistern. Gerne hätte er das Foil direkt abgesägt, um sein Boot vor möglichen Folgeschäden zu schützen. Doch war mit dem vorhandenen Werkzeug kaum möglich, zu risikoreich.
Am Ende der atemlosen Aufholjagd um die Welt hatte der geschlagene Mitfavorit noch schweren Stürmen zu trotzen. Wie noch ein letztes Mal bestraft und ausgepeitscht, steuerte er die sechseinhalb Seemeilen vor Les Sables-d’Olonne liegende Ziellinie an. Das gelang Boris Herrmann in teilweise orkanartigen Winden und Zehn-Meter-Wellen mit seiner Starkwind-Rakete souverän, auch wenn ein Last-Minute-Großsegelriss kurz für Anspannung sorgte.
In die Phalanx der französischen Segelelite konnte Boris Herrmann nach zwei zweiten Plätzen bei zwei großen Transats vor der Vendée Globe dieses Mal nicht einbrechen. Sieger Charlie Dalin sicherte den zehnten französischen Sieg bei der zehnten Vendée Globe. “Meteorologische Splits haben die Flotte zerfetzt, die großen Unterschiede sind nicht durch die Bootsdesigns zu erklären”, hielt nicht nur Boris Herrmann fest. Auch Charlie Dalin sagte, dass die starken Zeitdifferenzen nicht das Niveau der Besten in der Imoca-Klasse widerspiegeln.
Die nach intensiven Erfahrungen bei seiner ersten Vendée Globe von Boris Herrmann für stürmische Südmeerbedingungen gebaute “Malizia – Seaexplorer” konnte bei dieser insgesamt weniger starkwindigen Regatta um die Welt nicht so punkten wie erhofft. In den Top Zwölf kam Herrmann in der Endabrechnung nur auf den elftbesten Speedschnitt. Seine 29.201,11 Seemeilen über Grund absolvierte er mit 15,13 Knoten.
Charlie Dalin kam bei seinen 27.667,9 Seemeilen über Grund auf einen Schnitt von 17,9 Knoten. Schnellster im Schnitt war Yoann Richomme mit 17,9 Knoten. Doch Dalin war effizienter. Der ihm ebenbürtige Gegner Richomme hat mehr als 650 Seemeilen mehr in sein Heckwasser gebracht. Was vor allem daran lag, dass er wie der ihm folgende Vendée-Globe-Dritte Seb Simon einen Sturm im tiefen Süden des Indischen Ozeans ausritt, dem die nächsten Verfolger in teilweise riesigen Nordschleifen auswichen.
Boris Herrmanns zweite Vendée Globe hat sich als eine seiner schwersten Prüfungen erwiesen. Sie hat den deutschen Ausnahmesegler aber nicht von seinem Kurs abgebracht: «Meine Lust auf die Vendée Globe habe ich durch die Ereignisse der letzten Monate nicht eingebüßt. Ich habe Lust, weitzumachen!” Herrmann hat eine dritte Vendée-Globe-Teilnahme in vier Jahren angekündigt. Das nächste große Rennen startet für ihn mit dem Ocean Race Europe am 10. August vor Kiel. “Ich freue mich sehr auf die Team-Herausforderung”, sagte Herrmann nach 80 Tagen alleine auf See.
Wir haben fast alles bis 203o organisiert, werden das auch nach und nach bekanntgeben.” Boris Herrmann
Mit dem guten Gefühl einer auch weiterhin starken Segelkampagne war Boris Herrmann schon in diese Jubiläumsauflage der Vendée Globe gegangen. Er sagte: “Ich bin mit der mentalen Versicherung in die Vendée Globe gestartet, dass alle möglichen Projekte für die Zukunft bereits aufgegleist sind.”
Schon in gut einem halben Jahr fällt der Startschuss zum Ocean Race Europe. Die Schwesterregatta der Mannschaftsweltumseglung Ocean Race führt ihre Teilnehmer ab Startschuss am 10. August vor Kiel durch europäische Gewässer. Boris Herrmann blickt dem Einsatz mit Mannschaft mit Enthusiasmus entgegen, sagte: “Ich freue mich darauf, bald unsere Mannschaft für das Europa-Rennen vorzustellen. Und auf eine große Zukunft mit neuen Projekten in den nächsten Jahren.”
Boris Herrmann nach dem Zieldurchgang – die englische Variante:
“So grau!” – Die stürmischen letzten Biskaya-Meilen ins Ziel: