Vendée GlobeBoris Herrmann auf dem Gaspedal, Führungswechsel in Sicht?

Max Gasser

 · 16.12.2024

Doch nicht auf und davon? Blick ins Heckwasser von Charlie Dalin, der bald von seiner Führungsposition verdrängt werden könnte
Foto: Charlie Dalin/VG2024
Der gestern eingeläutete Trend der Aufholjagden bei der 10. Vendée Globe setzt sich weiter fort. Während Spitzenreiter Charlie Dalin um seine Führung bangen muss, macht “Malizia - Seaexplorer”-Skipper Boris Herrmann mächtig Druck auf seine Vorderleute.

“Es läuft sehr gut und zwangsläufig führt das Szenario des Rennens dazu, dass ich glücklich bin. Ich fühle mich an Bord wohl, ich bin im Einklang mit meinen Wetterroutings, es gibt keine Rückschläge”, beschrieb Yoann Richomme seine offensichtlich gute Lage im Indischen Ozean. Der Franzose liegt nach dem neuesten Tracker-Update nur noch etwas mehr als zehn Seemeilen hinter Landsmann Charlie Dalin an der Spitze.

Gemeinsam mit dem vor zwei Tagen von ihm auf Platz drei verdrängten Sebastien Simon ist das führende Trio der übrigen Flotte deutlich enteilt. Zwar liefert Ex-Malizia-Navigator Nico Lunven als Verfolger Nummer eins derzeit die beste 24-Stunden-Distanz, mit 769 Seemeilen Rückstand besteht allerdings weiterhin keine akute Gefahr für die Spitze. Dort bahnt sich allerdings möglicherweise ein Führungswechsel an. “Ich habe das Glück, ein fantastisches Boot für diese Bedingungen am Wind zu haben. Charlie weiß das nur zu gut, wir werden bald gleichauf liegen”, prognostizierte der Steuermann des Finot-Koch-Designs “Paprec Arkea” Yoann Richomme heute Mittag.

Vendée Globe: Herrmanns Aufholjagd nur von kurzer Dauer?

Noch besser auf die in den kommenden Stunden weiter zunehmend rauen Bedingungen eingestellt sein dürfte lediglich Boris Herrmann auf “Malizia - Seaexplorer”. Weiterhin kann der 43-Jährige hervorragende Durchschnittsgeschwindigkeiten vorweisen, weiterhin liegt er allerdings an zehnter Position. Doch Paul Meilhat vor ihm ist mittlerweile zum Greifen nahe. 40 Seemeilen trennen die beiden Ocean-Race-Teilnehmer derzeit – anstelle von über 300 noch vor einer Woche. Im Gegensatz zu Herrmann wurde die gesamte Gruppe um “Biotherm”-Skipper Meilhat in den vergangenen Tagen förmlich festgehalten. Je weiter der Deutsche jetzt mit ihnen in Richtung Osten ziehen kann, desto besser.

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Denn die vermeintlich kleinen Abstände dürften sich mitunter schon bald wieder vergrößern. Die Nähe zur Konkurrenz ist somit entscheidend. “Diese kleinen Abstände machen einen großen Unterschied bei den Seebedingungen. Je weiter man vorankommt, desto besser sind die Bedingungen und desto schneller kommt man durch”, erklärt Herrmann von Bord. Beispielsweise Justine Mettraux nur wenig hinter ihm, hatte bereits heute Mittag heftig mit den extremen Bedingungen zu kämpfen, während “Malizia - Seaexplorer” noch mit voller Besegelung weiterpreschen konnte.

“Medallia”: Erster Mastbruch der 10. Vendée Globe

Doch auch Herrmann rechnet schon bald mit knapp 50 Knoten Wind. Der Abnutzungskampf wird nach aktuellen Vorhersagen damit weiter vorangetrieben. “Wünscht uns viel Glück für die Nacht”, bat Boris Herrmann seine Anhänger in der heutigen Videobotschaft. Schon gestern Abend hatte es eine weitere Teilnehmerin hart getroffen. Nach einem Mastbruch musste Pip Hare die dritte Aufgabe der aktuell laufenden Vendée Globe verkünden. Als eine der sechs teilnehmenden Frauen hatte die Britin zuletzt auf Rang fünfzehn gelegen.

Der Zuspruch aus dem Feld der 37 verbliebenen Skipper fiel nach dem harten Schlag gigantisch aus. “Ich war sehr traurig und hatte Tränen in den Augen, das ist wirklich hart", sagte beispielsweise die Deutsch-Französin Isabelle Joschke. Auch Will Harris und Ex-Malizianer Nico Lunven bekundeten unter anderem ihr Mitleid. “Jeder Mast, der fällt, ist wie ein Messer im Herzen. Es bringt viele Emotionen in mir hoch. Wenn dir so etwas passiert, hast du das Gefühl, dass deine ganze Welt zusammenbricht”, sagte Conrad Colman, den 2016 das gleiche Unglück ereilte.

Viele Reparaturen, Abnutzungskampf schreitet voran

Diese Zerstörung sah man Hare in ihrer ersten Videobotschaft nach der Havarie zweifellos an. “Heute gibt es keine guten Nachrichten. Ich weiß nicht, was passiert ist. ‘Medallia’ ist einfach abgehoben – und als sie landete, kam der Mast in zwei Teilen von oben”, erklärte sie. “Das ist das Ende unserer Vendée Globe 2024.” Sie selbst sei unversehrt und auch das Schiff befinde sich in einem guten Zustand. Die 50-Jährige konnte ein Notrigg stellen und ist auf dem Weg in Richtung Australien, wo sie in ungefähr zehn Tagen eintreffen dürfte.

Bei weiteren Teilnehmern mussten derweil größere Probleme vermeldet werden. Benjamin Ferré (“Monnoyeur - DUO for a JOB”) habe zwölf Stunden lang arbeiten müssen, um einen Hydraulikzylinder zu reparieren. “Es war überall im Boot Öl, die Befestigung des Kielzylinders ist buchstäblich explodiert”, sagte der Franzose. Antoine Cornic (“Human Immobilier”) und Denis Van Weynbergh (“D'Ieteren Group”) kletterten auf den Mast, während Arnaud Boissières (“La Mie Câline”) mit stechenden Schmerzen im Knie zu kämpfen hatte. Der Mann aus der Vendée steht in Kontakt mit den Rennärzten, um die Schmerzen zu lindern und sich zu behandeln. Abschließend meint er: “Auf See leben wir ein bisschen wie Tarzan im Käfig. Man krabbelt auf allen Vieren, man fällt hin. Ich habe gemerkt, dass ich überall blaue Flecken habe!”


Video: So meldete sich Boris Herrmann am 36. Tag auf See von Bord:

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