Vendée Globe“Bedingungen, in denen ich nicht wirklich sein will”

Tatjana Pokorny

 · 03.12.2024

Der Blick nach hinten von Justine Mettraux.
Foto: Justine Mettraux/VG2024
Ein großes herannahendes Tief spaltet die Führungsgruppe der Vendée Globe im Indischen Ozean. Während zwei einsame Spitzenreiter am frühen Dienstagmorgen mit 200 Seemeilen Vorsprung noch im tiefen Süden beim 45. Breitengrad unterwegs waren, suchten sich ihre Verfolger unter Verlusten Schutz im Norden. Das Tief wird von hinten angreifen…

Spannung und Anspannung steigen am zu Ende gehenden 23. Renntag der Vendée Globe. Das herannahende Tief hat die Führungsgruppe gespalten. Nach Thomas Ruyant (”Vulnerable”) und den weiteren Skippern bis Platz neun, hat sich auch Yoann Richomme (”Paprec Arkéa”) weiter im Nordosten positioniert. Sie alle versuchen, den heftigsten Auswirkungen des erwarteten starken Tiefs auszuweichen, dessen erste Vorboten die vorderen Boote schon bald erreichen werden.

Zwei Vendée-Globe-Skipper im Auge des Tiefs?

Alleine beim 45. Breitengrad Süd verblieben waren am Morgen des 3. Dezember die führenden Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance) und Seb Simon (”Groupe Dubreuil”). Nur von 18 Seemeilen getrennt, sind sie am frühen Dienstag zunächst langsamer geworden, kamen nur noch mit unter zehn Knoten voran.

Bereits in den Norden auf 42 Grad Süd und damit fast auf die Höhe von Thomas Ruyant hatte es Yoann Richomme beim 7-Uhr-Update geschafft, während sich ihre Verfolger Nico Lunven (”Holcim-PRB”) und Jérémie Beyou (”Charal”) bereits beim 39. Breitengrad “in Sicherheit” gebracht hatten. Am oder auch nördlich vom 40. Breitengrad segelten Sam Goodchild (”Vulnerable”), Yannick Bestaven (”Maître Coq V”) und Paul Meilhat (”Biotherm”) auf Ausweichkurs zum Tief.

Es geht darum, dem Tief zu entkommen.” Nico Lunven

Sie alle haben Hunderte Meilen Verluste akzeptiert, um nicht von vermeintlich dramatischen Bedingungen “aufgefressen” zu werden. “Holcim-PRB”-Skipper Nico Lunven sagte: “Das sind die Entscheidungen, die wir getroffen haben! Auf dem Papier ist es nicht unbedingt eine Gewinnerroute. Es geht darum, dem Tief zu entkommen. Aber ich wollte nicht in eine Situation kommen, in der ich diesem Tief ausgesetzt bin. Indem ich mich nach Norden orientiere, kann ich, wenn ich möchte, im Norden etwas mehr an Höhe gewinnen, um der rauen See und den starken Winden zu entgehen.”

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Vendée Globe: die Nordroute der Vernunft

Schon am Vorabend hatte Boris Herrmanns ehemaliger Ocean-Race-Navigator Nico “The Brain” Lunven gesagt: “Die Boote vor uns treffen andere Entscheidungen, aber das liegt daran, dass der kleine Abstand von hundert Meilen, den wir vor zwei oder drei Tagen hatten, es ihnen ermöglichte, den Wind länger zu halten und daher schneller zu fahren.”

Weiter erklärte der inzwischen 584 Seemeilen hinter Charlie Dalin zurückliegende Flotten-Fünfte: “Ich habe keine Routenplanung für sie gemacht, aber sie haben vielleicht ein etwas anderes Szenario, um mit diesem Tiefdruckgebiet umzugehen. Aber ich habe mich ein wenig umgesehen, und man kann deutlich sehen, dass Thomas Ruyant in der ersten Gruppe nicht den ersten Zug erwischt hat und daher ein wenig im leichten Wind gefangen ist. Und er fährt weiter nördlich.”

Lunven teilt auch dazu seine Einschätzung: “Ich habe den Eindruck, dass er zu uns zurückfällt. Dahinter haben sie so ziemlich die gleiche Wahl getroffen wie Jérémie und ich. Auf jeden Fall habe ich es vorgezogen, diese Entscheidung frühzeitig zu treffen!“ Lunven will bei diesem vielfach als Ungetüm beschriebenen Tief ebenso wenig ein Risiko eingehen wie die umliegende Konkurrenz. Auch Sam Goodchild hatte zuvor gesagt, dass es “eine sehr schwere Entscheidung war”, sich nach Norden zu bewegen. Sie habe ihn Hunderte Meilen gekostet.

Das Tief kommt aus dem Westen

Der navigationsstarke Nico Lunven erläuterte die starken Bewegungen in der Führungsgruppe anhand seines Beispiels: „Meine Entscheidung, nach Norden zu klettern? Von hinten, aus dem Westen, kommt ein Tiefdruckgebiet, das uns einholen und über das gesamte Gebiet der Kerguelen hinwegfegen wird. Wenn es meine Höhe erreicht, wird es sich ernsthaft vertiefen und richtig schlimm werden. Und das Zentrum dieses Tiefs liegt weit im Norden!”

Was das für die vorderen Boote bedeuten könnte? Der in keiner Weise zu Übertreibungen neigende Nico Lunven erklärte: “Wenn man direkt vor dem Zentrum des Tiefs oder – noch schlimmer – im Süden des Zentrums gefangen ist, findet man sich in einem Nordostwind wieder, der nach Luv dreht, und das bei starkem Wind. Wir sprechen von 30 bis 40 Knoten.”

In der weiteren Folge sei sogar mit bis zu 50, 60 Knoten Wind zu rechnen. Was nicht nur laut Lunven eine schwere See mit sich bringen wird. “Die Wellen sind mit einer Höhe von acht bis neun Metern vorhergesagt. Das sind Bedingungen, mit denen ich mich nicht näher befassen möchte. Wir müssen uns also stärker nach Norden verlagern, um den stärksten Wind und die damit einhergehende raue See zu vermeiden.”

Boris Herrmann holt auf

Lunven mahnte: “Dieses Tiefdruckgebiet verdient Sorgfalt und Aufmerksamkeit! Wir werden weiterhin eine engagierte Route segeln, auf der wir leichter manövrieren und schneller fahren können, vielleicht sogar schneller als die Boote, die sich in die Mitte des Tiefs begeben könnten – mit dem Risiko, herumgestoßen zu werden, Brüche zu erleiden und ihr Boot nicht so zu handhaben, wie es sein sollte.”

Boris Herrmann hatte indessen als immer noch Zwölfter bis zum 7-Uhr-Update am frühen Dienstagmorgen binnen zehn Stunden 100 Seemeilen zur Spitze gutmachen können. Auch sein Konkurrenzumfeld bleibt bewegt: Justine Mettraux (”TeamWork - Team Snef”) hat inzwischen Samantha Davies auf “Initiatives Cœur” überholen können und ist in die Top Ten vorgedrungen. Dabei lagen die Schweizerin und die Britin rechnerisch nahezu gleichauf.

Auch Boris Herrmann hatte auf beide nur rund elf Seemeilen Rückstand und war zuletzt zwei Knoten schneller als Mettraux und fünf Knoten schneller als Davies unterwegs. Die Chance auf seine Rückkehr in die Top Ten waren stark gestiegen.


“Charal”-Skipper Jérémie Beyou erklärt seine Nordroute, erwartet mit dem Tief “sehr, sehr starke” Winde:

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