Tatjana Pokorny
· 28.12.2024
642 Tage nach der Kap-Hoorn-Krönung für Team Malizia im Ocean Race am 27. März 2023 hat Boris Herrmann die legendäre Landmarke bei seiner sechsten Weltumseglung heute zum siebten Mal passiert. Dieses Mal tat es es wieder alleine. Die Vorzeichen waren dabei für den Solisten ganz andere als vor rund 21 Monaten beim wichtigsten Mannschaftsrennen um die Welt. Damals machten Boris Herrmann und seine Crew mit Navigator Nico Lunven und den Co-Skippern Will Harris und Rosalin Kuiper das Rennen, holten die Kap-Hoorn Krone für Team Malizia.
Boris Herrmanns aktueller Weg bis Kap Hoorn war bei seinem zweiten Solo um die Welt ungleich schwerer. Schon in der Auftaktphase der Vendée Globe hatte er im Flauten- und Wolkenpoker am Äquator Meilen eingebüßt. Dieser Rückstand vergrößerte sich später beim Segeln in anderen Wetterfenstern als denen der Führenden immer wieder stark. Auch Herrmanns zweitschnellste Zeit der Flotte vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Leeuwin brachte keine entscheidende Wende. Sein Solo fühlte sich für den 43-jährigen Herrmann zu manchen Zeiten auf der für ihn und seine Verfolgergruppe oft buckligen und schwer berechenbaren Southern-Ocean-Piste eher belastend als beflügelnd an.
“Die letzten Tage waren besonders frustrierend, vor allem die letzte Nacht. Der Wind drehte ständig, und ich musste mich ständig anpassen und dachte manchmal: Warum treibe ich so herum? Hätte ich das Reff rausnehmen sollen? Dann, zehn Minuten später, war ich erleichtert, dass ich die kleinen Segel gesetzt hatte. Das verdirbt einem die Laune”, schrieb Boris Herrmann nach auffallend stiller Vendée-Globe-Weihnachtszeit in einer sehr offenen Botschaft kurz vor der Kap-Hoorn-Passage.
In seiner Botschaft hatte Boris Herrmann auch aus seiner Enttäuschung keinen Hehl gemacht, das für ihn so wichtige Kap Hoorn bei dieser Runde um die Welt nicht sehen zu können. Er schrieb dazu: “Ich bin entmutigt, weil ich laut meiner Routenplanung Kap Hoorn am 28. Dezemberum 9 Uhr UTC (10 Uhr deutscher Zeit) passieren werde, aber dann ist es für uns Nacht und ich werde mehr als 100 Meilen südlich vom Kap sein.”
So kam es an diesem 28. Dezember tatsächlich. Boris Herrmann hat Kap Hoorn am 28. Dezember um 11.51 Uhr deutscher Zeit passiert. Dabei gab es für den "Malizia – Seaexplorer"-Skipper nach schweren Tagen auf See aber einen schönen Bonus: Die Passage des Längengrades von Kap Hoorn gelang ihm 31 Sekunden (!) vor "Biotherm"-Skipper Paul Meilhat.
Für den Abschnitt vom Start- und Zielhafen Les Sables-d'Olonne bis Kap Hoorn brauchte Boris Herrmann 47 Tage, 22 Stunden, 49 Minuten und 30 Sekunden. Der Familienvater aus Hamburg zelebrierte seine siebte Kap-Hoorn-Passage als Flotten-Siebter mit positiver Energie und einer kleinen Flasche Champagner von seinem Team. Einen Schuss Rum gab es fürs Meer, das ihn bis Kap Hoorn durchgelassen hat.
Die symbolische Grenze zwischen “der Einsamkeit im Südmeer und der Rückkehr in die Zivilisation”, so formulierten es die Vendée-Globe-Veranstalter, hat Boris Herrmann nach für ihn “seltsamen Tagen” mit neuem Mut hinter sich gelassen. Zur seiner Kap-Hoorn-Passage sagte Boris Herrmann: “Das wirkliche Gefühl, eine Linie überquert zu haben, wird sich bei mir etwas später heute Abend einstellen. Im Moment werden wir arg durchgebeutelt und arg durchgeschüttelt. Es herrschen über 30 Knoten Wind und schwieriger Seegang heute.”
Am frühen Samstagmorgen hatte Boris Herrmann ein Interview mit "Vendée-Live!"-Moderator Andi Robertson geführt. Dabei haben beide auch herzlich gelacht. Boris Herrmann wirkte nach längerer Funkstille in den vergangenen Tagen und Phasen der Niedergeschlagenheit kurz vor seiner siebten Kap-Hoorn-Passage sortiert und ausgeruhter als zuletzt.
Fast frohlockend sagte Team Malizias Gründer und Skipper auf die Frage, wie oft er Kap Hoorn in seinem Leben wohl noch passieren werde: "Ich bin sicher, dass es nicht zum letzten Mal passiert. Ich habe das nächste Ocean Race im Visier. Ich hoffe auch, eines Tages außerhalb von Regatten in diese Region zu kommen. Ich bin sicher bereit für ein paar mehr Begegnungen, hoffentlich. Lasst uns zehn insgesamt sagen." Am Ende der Antwort lachten beide – der Moderator und ein gelöst wirkender Boris Herrmann.
Während die in oft besseren Wetterfenstern davongestürmten Yoann Richomme (”Paprec Arkéa”) und Charlie Dalin (”Macif Santé Prévoyance”) rund 1600 Seemeilen vor der Herrmann-Verfolgergruppe im Atlantik ihr Spitzenduell ausfechten und auch der drittplatzierte Seb Simon (”Groupe Dubreuil”) zuletzt einen Vorsprung von 900 Seemeilen vor Boris Herrmann hatte, ringen die Jäger um Herrmann nun weiter darum, Teile ihrer angehäuften Meilenberge abzutragen.
Dafür blieben Boris Herrmann am 28. Dezember gegen Mittag noch rund 7000 atlantische Seemeilen – weniger als 30 Prozent der Vendée-Globe-Strecke. Mit Kap Hoorn im Heckwasser, erwartete Boris Herrmann zunächst 24 eher ruhige Stunden, sagte: "Das ist die Belohnung, auf die ich mich freue. Viel mehr wird es nicht sein, denn die Aussichten für den Südatlantik sind dort mit zwei starken Stürmen sehr angestrengt. Das wird dann kein Spaziergang."
Diese Formulierung würden aktuell eine ganze Reihe weiterer Vendée-Globe-Solisten unterschreiben. Insbesondere jene, die mit Bruch zu kämpfen haben. An Bord von Clarisse Crémers "L'occitane en Provence" wurde bereits am 27. Dezember durch Wassereinbruch an den Mastkabeln der Bordcomputer so stark beschädigt, dass sie ihn zunächst nicht mehr nutzen kann. Sie operiert stattdessen mit einem iPad und Alternativ-Software, die nicht annähernd so leistungsfähig sind wie das Original-Setup.
Gemeinsam mit ihrem Technik-Team arbeitet Clarisse Crémer außerdem fieberhaft daran, wieder näher in Richtung ihres Originalstandards zu kommen. Gleichzeitig hatte "Fortinet – Best Western"-Skipper Romain Attanasio mit einem beschädigten Großfallschloss zu kämpfen. "Ich habe gerefft und dabei ist mir die Ausreißleine zum Öffnen des Locks abgerissen", erklärte der Franzose am Samstagmorgen.
Attansio musste das Großsegel bergen, sich dann zwei Meter in den Mast ziehen und das Lock zur Reparatur abbauen. "Letztendlich habe ich nicht allzu viel Boden verloren, auch wenn es drei bis vier Stunden gedauert hat. Die Operation ist mir gelungen, aber von nun an kann ich nur noch von außen (Redaktion: von an Deck) hooken. Das ist zwar etwas mühsam, aber immerhin funktioniert es!“
"Maître CoQ V"-Skipper Yannick Bestaven kämpft seit Freitagabend bei starkem Seegang in fünf Meter hohen Wellen und fast 30 Knoten Wind etwa 450 Meilen westlich von Kap Hoorn mit einem Schaden an seinem Steuersystem. Er hat ein Problem mit den Steuerstangen, die die beiden Ruderblätter verbinden, die dann mit dem hydraulischem Steuerzylinder des Autopiloten verbunden sind.
Nach mehrstündigem Einsatz konnte Bestaven mit Hilfe von Tauwerklashings ein provisorisches System einrichten, das ihm das Steuern seiner Imoca weiter erlaubt. So setzte der Vendée-Globe-Titelverteidiger seine Fahrt bei gedrosselter Geschwindigkeit als Elfter bei gut 200 Seemeilen Rückstand auf Justine Mettraux (”TeamWork - Team Snef”) fort. Bestaven prüft mit seinem Team weiter die Möglichkeiten einer besseren Reparatur seines Steuersystems.