Transat CICOliver Heer im Transat-Ziel – “Ich bin durch einen Albtraum gegangen”

Tatjana Pokorny

 · 17.05.2024

Der Schweizer Imoca-Solist Oliver Heer
Foto: Oliver Heer Ocean Racing
Der Schweizer Oliver Heer hat endlich das Transat CIC beendet. Nach Knockdown, Blackout und großem Kampf hat der Imoca-Solist die härteste Segelprüfung seiner Karriere gemeistert. Im Ziel vor New York herrschte bei ihm vor allem eines: immense Erleichterung

18 Tage, 10 Stunden, 49 Minuten und 32 Sekunden dauerte Oliver Heers härtestes Rennen. Am Abend des 16. Mai endlich hatte der Schweizer nach schwersten Prüfungen die rund 110 Seemeilen vor New York liegende Ziellinie des Transat CIC erreicht. Die Besten – Yoann Richomme und Boris Herrmann – waren bereits gut zehn Tage vor dem Schweizer angekommen.

Jetzt hat der 36-jährige Imoca-Solist aus Zürich, der lange als Boat Captain für Alex Thomson gearbeitet und mit dem Briten mehr als 40.000 Seemeilen gemeinsam bestritten hatte, es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft. „Ich habe einen Albtraum durchgemacht“, sagte Heer im Ziel. Jetzt sei er “glücklich, sehr, sehr glücklich”. Seine erste Reaktion: “Mein Hauptgefühl ist Erleichterung. Es gab Zeiten, in denen ich mir nicht sicher war, ob wir es schaffen würden, deshalb ist es etwas ganz Besonderes, dass wir es geschafft haben.”

Die Lektion ist: Gib niemals auf!” (Oliver Heer)

Und weiter: “Es ist ein gutes Gefühl, fertig zu sein. Die Lektion ist: Gib niemals auf! Es gibt immer einen Weg, das Boot ins Ziel zu bringen. Wir haben viele Lehren daraus gezogen, aber wir werden in ein paar Tagen das Debriefing machen. Die letzten gut 100 Seemeilen bis nach New York hatte Heer bei Wind von vorn zu meistern. Heers Boot von 2007 – es hat etwa das gleiche Alter wie Isabelle Joschkes “Macsf” – hatte nach dem Ausfall des Autopiloten eine brutale Patenthalse gemacht und sich schwer auf die Seite gelegt.

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Der Blackout am 5. Mai

Bei 35 bis 40 Knoten Wind und schwerem Seegang waren der Imoca und sein Skipper am 5. Mai von einer riesigen Welle getroffen und fast überrollt worden. Es folgte ein totaler Stromausfall. Oliver Heer hatte mehrere Tage zu kämpfen, um mit Hilfe seiner Solarpaneele ein rudimentäres alternatives Energiesystem an Bord aufzubauen. Da der Solist den Autopiloten zunächst nicht mehr nutzen konnte, kämpfte er sich dem Ziel per Handsteuerung entgegen. Was das für ihn bedeutete, ist seinem Kurs im Tracking gut zu entnehmen: Die Schlafpausen wirkten sich in Form von heftigen Kursabweichungen aus, die als Zacken und Beulen zu erkennen sind. Einmal war Oliver Heer so müde, dass er fünf Stunden am Stück schlief und in die falsche Richtung segelte.

Es war ein Gemetzel” (Oliver Heer)

Als der Knockdown kam, hatte Oliver Heer noch 1.300 Seemeilen vor sich. An den Knockdown selbst erinnert er sich lebendiger, als ihm lieb ist: ”Ich war stundenlang mit dem Großsegel und der J2 bei etwa 38 Knoten Wind gegen den Wind gesegelt. Ich war nicht übermüdet, sondern fühlte mich recht wohl. Ich war an der Navigationsstation, als der Pilot plötzlich eine Patenthalse einleitete. Ich segelte bei 145 Grad TWA. Ich weiß nicht, was passiert ist. Aber wenn man mit vollem Stack und vollem Ballast halsen muss, kippt man ziemlich schnell um. Und dann traf mich eine große Welle und brachte mich noch mehr aus dem Konzept. Ich habe später in meinen Logbüchern nachgesehen: Ich hatte 128 Grad Krängung ...”

Die Folgen des Knockdowns

Die Folgen des unfreiwilligen Manövers beschreibt Heer drastisch: “Es war ein Gemetzel. Das Schlimmste war, dass ich nach zehn Sekunden einen kompletten Stromausfall hatte, kein Strom, nichts. Das alles so um 3 Uhr morgens bei 40 Knoten – keine angenehme Lage. Ich flog unter Deck durchs Boot, habe mir meinen Ellbogen stark geprellt und hatte einen schmerzenden Nacken. Die ersten 24 Stunden waren dann voll im Krisenmodus. Ich hatte keinen Strom und musste irgendwie die Segel sicher herunterbekommen. Der J2-Furler war gebrochen, sodass ich wirklich Mühe hatte, ihn aufzurollen. Und es gab eine Menge Schäden.“

Angetrieben hat Heer in schweren Zeiten die Hoffnung, sich für die Vendée Globe zu qualifizieren. Weil er schon das Transat Jacques Vabre im vergangenen Jahr mit einem Riggschaden hatte aufgeben müssen und in der Folge auch das Rückrennen Retour à La Base nach Lorient verpasst hatte, musste Heer dieses Nordatlantik-Transat unbedingt beenden, um seine Chance auf eine Qualifikation für das Solorennen um die Welt zu wahren.

Er habe nach dem Unglück einige Tage “meine Wunden geleckt”. Dann, so Heer, sei es Schritt für Schritt wieder aufwärts gegangen: “Ich habe es geschafft, ein einfaches elektrisches System einzurichten, das die wichtigsten Dinge mit meinen Solarzellen, die die Motorbatterie speisen, betreiben kann. Und wenn die Sonne schien, konnte ich die wichtigsten Dinge auf dem Boot betreiben: Satellitenfunk, den einfachen Piloten, Grib-Dateien herunterladen. So kam ich langsam wieder in Fahrt. Aber dort oben bei den Grand Banks ist es grau, neblig, scheußlich. Die ersten paar Tage konnte ich nicht viel tun. Ich hatte kein AIS, befand mich in der Schifffahrtsstraße und sah Schiffe um mich herum, was auch nicht sehr schön war. Aber ich bin immer noch in einem Stück. Nur das Boot hat einige Schäden.“

Die Wiederauferstehung

Auch an seine mentale Wiederauferstehung erinnert sich Oliver Heer gut und erzählt: “Normalerweise bin ich ziemlich belastbar, positiv und kreativ. Ich war völlig am Boden. Es war das erste Mal so auf einem Segelboot. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte oder wie ich es tun sollte. Ich hatte noch diese 1.300 Meilen vor mir.”

Der Zustand hielt eine Weile an, wie Heer berichtet: “Ich war wirklich ein oder zwei Tage lang überfordert. Dann habe ich mit Dr. Wolfgang Jenewein gesprochen. Er ist ein brillanter Mann. Seine Kernbotschaft war: ‘Ollie, es gibt keine andere Möglichkeit, du musst ... diesen Scheiß annehmen, ihn annehmen.’ Außerdem hatte ich ein paar Tausend Liter Wasser im Boot, die Dieseltanks waren undicht, es war überall Scheiße. Und er sagte: ‘Schau, Ollie, du musst das einfach annehmen, alles andere ist Verschwendung deiner geistigen Energie. Und die brauchst du ganz.” Ich schrieb das an die Wand im Boot und machte mich an die Arbeit. Ich hatte eine Prioritätenliste, musste alle Dinge auflisten, die ich brauchte.”

An die Bordwand hat sich Oliver Heer mit schwarzem Edding den Rat von seinem Mentalcoach geschrieben: “Umarme diese Scheiße!” Jetzt ist der Schweizer fest entschlossen, sein Boot und die beschädigten Segel rechtzeitig zu reparieren, um an der Rückregatta New York Vendée teilnehmen zu können. Der Startschuss zum zweiten Transat in Folge, an dem auch der Transat-CIC-Zweite Boris Herrmann wieder teilnehmen wird, fällt am 29. Mai vor New York.

Clarisse Crémer im Wettlauf gegen die Zeit

Noch immer unterwegs ist die Französin Clarisse Crémer nach einem längeren Reparaturstopp auf den Azoren. Die “L’Occitane en Provence”-Skipperin hatte am Freitagmorgen noch knapp 380 Seemeilen bis ins Ziel zu absolvieren. Sie war guter Hoffnung, die Linie im Wettlauf mit der Zeit zu erreichen, bevor sie am 20. Mai geschlossen wird.

Die Ziellinie erreicht! Oliver Heers glücklichster Clip:

Rückblick auf den Blackout und seine Folgen mit Oliver Heer von See:

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