RegattaZu Besuch im Ghost Village der Vendée Globe

Andreas Lindlahr

 · 05.11.2020

Regatta: Zu Besuch im Ghost Village der Vendée GlobeFoto: Seaexplorer/A. Lindlahr
Zu Besuch im Ghost Village der Vendée Globe

Wo sonst Hunderttausende von Fans über den Steg und durchs Race Village pilgern, herrscht diesmal gespenstische Leere. Lokaltermin in Les Sables d'Olonne

Alle vier Jahre wird dieser Ort zum globalen Zentrum des Hochseesports, zum Hotspot der Segel-Enthusiasten. Von hier aus startet Sonntagmittag auf die Sekunde genau um 13:02 Uhr das härteste Rennen der Welt, einhand nonstop und ohne fremde Hilfe einmal um den Globus.

Schon in den drei Wochen vor dem Ereignis, das alle vier Jahre im November stattfindet, strömen für gewöhnlich an die zwei Millionen Besucher durch das Race Village – das sind selbst für Frankreich außergewöhnliche Dimensionen. Sponsoren geben für das Spektakel zweistellige Millionenbudgets frei, die 60 Fuß langen Imoca-Yachten sind Hightech-Geräte vom Feinsten, ihre Skipper genießen Helden-Status. Ein Superlativ jagt den nächsten.

Dieses Jahr jedoch ist alles anders. Wegen der hohen Zahl von Corona-Infizierten im ganzen Land findet der Start unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; Zuschauer finden keinen Zugang. Der Präfekt hat für den Sonntag sogar eine Ausgangssperre für die Bürger von Les Sables verfügt, sodass wohl auch die Strände und die Molen – sonst dicht gesäumt von Menschenmengen – leer bleiben werden.

Wir können trotz der Corona-Auflagen dabei sein, dicht dran am Team um Boris Herrmann, dem ersten deutschen Herausforderer in der Geschichte dieses Rennens, wenn auch unter strengsten Auflagen. Denn diese gelten nicht nur für die Skipper und ihre Teams: Auch die Medien müssen Laufwege und Sperrzonen einhalten. Ohne negativen PCR-Test kommt niemand auch nur in die Nähe des Hafenbeckens.

Impressionen aus dem Race Village der Vendée Globe in Les Sables
Foto: Seaexplorer/A. Lindlahr

Für Boris begann der Lockdown in Les Sables schon vor einer Woche. Sein Technik-Team ist seit gestern in strikter Quarantäne. Es gilt, in den letzten Tagen vor dem Start nur ja nichts mehr zu riskieren. Denn wer beim letzten Corona-Test heute positiv wäre, bliebe vom Rennen ausgeschlossen. Die jahrelange Vorbereitung wäre umsonst gewesen.

Wie bei allen Teams sind auch die Akteure von Team Malizia weit entfernt vom Geschehen und streng getrennt voneinander untergebracht. Die Organisation achtet extrem auf die Einhaltung der Hygiene-Regeln. Es wurde penibel getüftelt, um am Sonntag einen reibungslosen Start zu ermöglichen.

Vorbei an den strengen Kontrolleuren bot sich zuletzt ein ungewöhnliches, ein fast verstörendes Bild. Die Zeltstadt im Hafen der legendären Küstenstadt des Départements Vendée an der französischen Biskaya-Küste ist toll geschmückt, aber menschenleer. Die gesamte Verkehrsführung war schon vor Wochen angepasst worden, aber es fehlen die Autos. Schon von Weitem erinnert der im Zentrum liegende Starthafen an eine Geisterstadt.

Plakate hängen an jeder Kreuzung, Absperrungen, Festzelte, Imbiss- und Sponsoren-Buden, Bühnen – alles wie immer. Aber nirgendwo spielt sich irgendetwas ab. Planen und Flaggen klappern unbeachtet im Wind. Irgendwo dudelt Musik von einer Bühne, wohl, um die Tristesse aufzuhellen. Aber für wen? Ein paar Messebauer basteln trotz allem noch an Installationen, die niemand mehr betreten wird. Keine Menschenmassen werden vor den sonst begehrten Souvenirständen Schlange stehen. Und im Wasser liegen Dutzende brandneue, stark motorisierte Schlauchboote aufgereiht, mit Bannern gepflastert, die Sonntag im Einsatz sein werden. Noch aber braucht sie niemand. Ein Ort wie im Dornröschenschlaf.

Die merkwürdig stille Szenerie spielt sich vor der imposanten Kulisse der 33 Boote zählenden Vendée-Flotte ab, die – als wenn nichts wäre – mitten in der großen Marina am Quai Vendée Globe auf ihre Piloten wartet. Die großen, gleichwohl filigranen Solo-Racer glänzen mit ihren monströsen Flügelmasten in der Sonne. Man erahnt schon im Stillstand ihr ungeheures Speed-Potenzial.

Einzelne Team-Mitglieder verpassen den Booten noch den letzten Schliff. Auffällig sind die riesigen Foils und Ruderblätter. Schon genauer hinschauen muss man, um die vielen fernsteuerbaren Videokamera-Installationen zu erkennen, die den Skippern helfen, auch im Cockpit oder unter Deck den Trimm zu kontrollieren.

Zuletzt luden die Helfer vor allem Proviant, frisches Obst und Gemüse an Bord. Denn zumindest für die ersten ein, zwei Wochen bietet das willkommene Abwechslung zu den sonst vorgekochten oder gefriergetrockneten Rationen, die für die kommenden 70, 80 Tage das Gros der Nahrungsaufnahme bestimmen werden.

Man grüßt sich, die Maske vor dem Gesicht, mit einem wissenden, bedrückten Nicken. Wie Seehunde heben Taucher unerwartet hier und da ihren Kopf aus dem türkis-trüben Hafenwasser. Sie inspizieren und reinigen die Rümpfe von unten.

Die Stimmung ist verhalten – zu viel steht immer noch auf dem Spiel –, aber vorsichtig optimistisch. Noch sind die Protagonisten nicht in die Weiten des Ozeans entlassen. Wer die Lage der letzten Monate vor Augen hat weiß, es kann sich täglich fast alles ändern.

Nur eines scheint unverrückbar festzustehen: Sonntag 13:02 Uhr geht es los!