Tatjana Pokorny
· 15.03.2021
Knapp sechs Wochen nach Ankunft des ersten deutschen Teilnehmers Boris Herrmann haben die Veranstalter positive Bilanz gezogen und lassen die Zahlen sprechen
Keine Vendée Globe war wie diese. Zwar ist jede der bislang neun Auflagen wieder ein neues, anderes und ganz eigenes Abenteuer, doch nie zuvor hatten sich die Veranstalter in Zeiten einer weltweiten Pandemie gegen so viele Widrigkeiten zu stemmen. Dennoch hat eine Rekordflotte von 33 Teilnehmern die Herausforderung angenommen. Diese Vielfalt im Feld und die Intensität der ganz unterschiedlichen individuellen Geschichten werden noch lange in Erinnerung bleiben. Auch, weil mit dem historisch ersten deutschen Teilnehmer Boris Herrmann ein starker Protagonist dafür gesorgt hat, dass die Begeisterungswellen hierzulande hochschlugen.
Der erste und für viele wichtigste Sieg der Vendée Globe 2020/21 war der Start des Rennens selbst. Dafür mussten die organisatorischen Protokolle ständig aktualisiert und der Starthafen an die sich permanent ändernde Situation angepasst werden. Es ging für die nicht zu beneidenden Veranstalter darum, die nationalen Anforderungen an sichere Veranstaltungen zu erfüllen und Protokolle zu erstellen, um die Sicherheit der Mitarbeiter, Partner, Besucher, Skipper und Teams zu gewährleisten. Alle Vorab-Maßnahmen gipfelten in der unglücklichen Notwendigkeit, den Start selbst "hinter verschlossenen Türen" durchzuführen. 93 Prozent der vorherigen Vendée-Globe-Besucher berichteten jedoch, dass sie sich angesichts der geltenden Maßnahmen zum Schutz ihrer Gesundheit sicher gefühlt haben.
Dieses Video von der Premiere veröffentlichte das Team von Boris Herrmann heute am 16. März. Es steckt voller spannender Erinnerungen und sehenswerter Bilder…
NIE HABEN SO VIELE STARTER DAS ZIEL ERREICHT
Die Organisatoren haben das Rennen in der Pandemie mit Hingabe und Erfolg gemeistert und den Fans damit ein aufregendes Stück Sportgeschichte in Zeiten geschenkt, in denen sonst vieles nicht möglich, die Sehnsucht nach Abenteuern aber groß war. Ein weiterer Pluspunkt: Nie zuvor ist eine Vendée Globe mit einem so engen und packenden Finale zu Ende gegangen. Dazu hat das Rennen seinen Fans spannende "Rennen im Rennen" serviert. Ein Zeichen für die gestiegene Verlässlichkeit der Boote: Nie zuvor konnten – wie bei dieser Solo-Runde um die Welt – 76 Prozent der Starter die Ziellinie erreichen.
Das Rennen der Rekorde hatte schon im Vorwege mit mehr Kandidaten als je zuvor begonnen: 37 Männer und Frauen wollten ursprünglich dabei sein, 33 schafften es an die Startlinie. Der vorherige Teilnehmerrekord war mit 30 Startern 2008 aufgestellt worden. Auch die sechs Skipperinnen im Rennen markierten eine neue Bestmarke. Noch 2016 war keine Frau am Start, 2012 waren es zwei. Mit 25 Booten in der Wertung und zusätzlich zwei Skipperinnen, die das Ziel aus eigener Kraft, aber außerhalb der Wertung erreichten, sorgte die höchste Zahl an Angekommenen in gut drei Jahrzehnten Renngeschichte für Begeisterung und glückliche Gesichter im Ziel. Unterboten wurde auch der zwei Jahrzehnte alte Frauen-Rekord der Vendée Globe: Clarisse Crémer war mit ihrer Segelzeit von 87 Tagen, 2 Stunden, 24 Minuten und 25 Sekunden sieben Tage schneller als Ellen MacArthur bei ihrem Rekord im Jahr 2001.
WETTERKAPRIOLEN VERWISCHTEN DIE DESIGN-DIFFERENZEN
Vor vier Jahren steckten die Foils noch in ihren Kinderschuhen, wurden eher als experimentell betrachtet. Bei dieser Auflage waren sie größer, stärker und boten ein ausgewogeneres Leistungsspektrum. Auch konnten sie in Richtung bestimmter Profile entwickelt werden. Bei der jüngsten Bootsgeneration wurden die Rumpfformen und Strukturen in Abgleich zu den Foils designt. Diese neue Bootsgeneration hatte sich in den zwei Jahren vor dem Rennen um die Welt als bedeutend schneller erwiesen, konnten aber während des Rennens selbst nicht in gleicher Weise über die Gesamtdauer überzeugen. Sie erreichten nur in bestimmten Bedingungen eindrucksvolle Spitzengeschwindigkeiten.
Die jüngste Foil-Generation schnitt gut ab: Charlie Dalin kreuzte die Ziellinie als Erster und Thomas Ruyant erreichte sie als Vierter, bevor die Zeitgutschriften für die Retter von Kevin Escoffier ins Spiel kamen. Diese beiden Imoca-Yachten jüngster Generation hatten aus unterschiedlichen Gründen Probleme mit ihren Backbord-Foils. In den Rennphasen, in denen sie ihre Steuerbord-Foils in günstigen Segelbedingungen nutzen konnten, waren ihre Foiler extrem effektiv. Die Zuverlässigkeit gerade der neuen Boote erfordert Zeit auf dem Wasser, von denen auch infolge der Pandemie-bedingten Ausfälle der transatlantischen Vorbereitungsrennen und aufgrund weiterer Hindernisse nicht alle Skipper genügend hatten. Einige der Skipper auf jüngeren Foiler mussten aufgeben, darunter Nicolas Troussel auf "Corum", die als einzige bei dieser Auflage ihren Mast verlor, Sébastien Simon auf "Arkéa Paprec" nach einer Kollision mit einem unbekannten Objekt im Wasser und Alex Thomson, dessen "Hugo Boss" unter Strukturproblemen litt. In der weiteren Rennfolge musste Thomson mit Ruderschaden aufgeben.
Andere hatten mit Problemen zu kämpfen, die mindestens für unterschiedlich lange Rennunterbrechungen sorgten. Dazu zählte Armel Tripons "L’Occitane en Provence" und Kojiro Shiraishis "DMG Mori". Jérémie Beyou war gezwungen, mit "Charal" in den Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne umzukehren und zu reparieren. Er nahm das Rennen neun Tage nach dem Start des Feldes erneut in Angriff. Das Hochseesegeln mit Foils wird dennoch künftig ein schnell weiter wachsendes Thema der Entwickler und Vordenker bleiben. Ihnen hat die neunte Auflage der Vendée Globe viel Denkfutter serviert.
Die ältere Yacht-Generationen haben bewiesen, dass sie immer noch sehr gut segeln. Boote mit geraden Schwertern, die von ihren technischen Teams gut vorbereitet worden waren, konnten in die Top Ten eingreifen. Mehr denn je bietet die Vendée Globe damit Spielraum für Projekte mit bescheideneren Budgets, aber viel Antrieb und Engagement.
Insgesamt gab es jedoch eine Reihe von Wetterphänomenen, die das Rennen an vielen verschiedenen Punkten beinahe gestoppt, mindestens aber verlangsamt haben. Es gab Bedingungen, in denen die Flotte Kompressionen erlebte oder sich in kleinen Gruppen verdichtete. In Erinnerung bleibt diesbezüglich der Sturm Theta bei den Kapverden, die Ausweitung des St.-Helena-Hochs bis in den südlichen Atlantik, Hochdruckgebiete mit leichten Winden im Southern Ocean, die schwere und aufgewühlte See im Pazifik und – nach Weihnachten – eine bemerkenswert lange Leichtwindphase im Pazifik. Alle diese Phänomene hielten die Flotte kompakt. Dabei kam es teilweise zu ganz erstaunlichen großen Comebacks.
FOILER VS. NON-FOILER: ÜBERRASCHENDE BILANZ
Die neunte Auflage verzeichnete mit nur 24 Prozent die niedrigste Ausfallquote in der Renngeschichte. Zur Jahrtausendwende waren es bei neun Aufgaben unter 24 Startern noch 37 Prozent. Auffallend waren die guten Ergebnisse von Booten der Generationen 2016 und 2008 im Gesamtklassement. Vier bis acht Jahre alte Boote, deren Skipper ihr volles Potenzial ausschöpfen konnten, konnten das Rennen erfolgreich abschließen. Yannick Bestaven auf "Maître CoQ" hat die Vendée Globe auf einem Boot mit Foils von 2016 gewonnen. Louis Burton, der mit Armel Le Cléac’hs vorheriger Vendée-Globe-Siegerin "Banque Populaire" unter ihrem neuen Namen "Bureau Vallée 2" im Einsatz war, segelte auf Platz drei. Jean Le Cam hat mit den geraden Schwertern seiner "Yes We Cam!" von 2008 Platz vier erkämpft. Und Boris Herrmann hätte das Rennen mit der "Seaexplorer – Yacht Club de Monaco" (Foiler von 2016) auf dem Podium feiern können, wäre da nicht die Kollision am letzten Abend gewesen.
Damien Seguin hat als erster Skipper der Vendée Globe mit einem Handicap seine Imoca-Yacht von 2008 mit ihren geraden Schwertern auf den formidablen siebten Platz gesteuert – noch vor dem achtplatzierten Giancarlo Pedote und seinem Erste-Generation-Foiler sowie Benjamin Dutreux auf seiner Schwert-Yacht auf Platz neun und Maxime Sorel auf Platz zehn. Insgesamt platzierten sich in den Top Ten zwei Foiler der jüngsten Generation, vier Foiler vorheriger Generationen und vier Yachten mit geraden Schwertern. Kojiro Shiraishi war der erste Japaner und Asiate, der das Rennen vollenden konnte. Ari Huusela schloss die Vendée Globe als erster Finne und erster skandinavischer Skipper ab.
MEHR ALS EINE MILLION VIRTUAL-REGATTA-SPIELER
Wie groß die Stahlkraft des Rennens und seiner Charaktere waren, zeigen Zahlen aus dem Medienbereich. Im Vergleich zur achten Auflage konnte die jüngste Vendée Globe 1,3 Millionen Besucher mehr auf ihrer Homepage und bei ihren mobilen Anwendungen verzeichnen (11 Millionen Besucher vs. 9,7 Millionen 2016). Das von Virtual Regatta organisierte virtuelle Rennen spiegelte das steigende Interesse ebenso wider: Mehr als eine Million registrierte Spieler (1.068.908) bedeuten mehr als einer Verdopplung (+ 135 %) der Zahl der Mitspieler vor vier Jahren (456.000 Spieler 2016/17). Obwohl das Spiel 25 % an internationalen Teilnehmern inklusive sehr hoher Anteile aus Deutschland und Großbritannien verzeichnete, war es mit Jean-Claude Goudon ein Franzose, der in diesem Jahr siegte. Dabei stellte er mit 69 Tagen, 22 Stunden und 16 Minuten einen neuen Rekord auf.
Explodiert ist die Video-Begeisterung der Vendée-Globe-Fans: Mit 115 Millionen Clip-Aufrufen konnte im Vergleich zur Auflage 2016/17 ein Plus von 44 Millionen Aufrufen verzeichnet werden. Berichtet haben in Wort, Bild und bewegten Bildern Journalisten und Fernsehteams in 190 Ländern auf fünf Kontinenten. Einige werden am 22. Mai wieder dabei sein, wenn die neunte Auflage der Vendée Globe mit der Siegerehrung final zu Ende geht.
Und hier servieren wir einen echten Leckerbissen für Vendée-Globe- und Statistik-Fans: In YACHT 7 (ab 24. März am Kiosk) haben wir die spannendsten Rekorde, Zahlen und Zeiten grafisch aufbereitet. Zum Staunen, Erinnern und Aufbewahren für die nächste Auflage. 2024/25 steht die 10. Jubiläums-Edition an!