Tatjana Pokorny
· 07.12.2020
Spitzenreiter Charlie Dalin bereitet sich auf die Begegnung mit dem Tief vor. Louis Burton und Damien Seguin plagen technische Probleme. Boris Herrmann gibt Gas
Das wird kein angenehmes Rendezvous: Nach aktuellen Prognosen ist es Spitzenreiter Charlie Dalin ("Apivia"), der dem lange angekündigten und bedrohlichen Tief aufgrund seiner Positionierung voraussichtlich am Mittwochabend am dichtesten kommen wird. "Natürlich gibt es Bedenken, sich einem solchen Sturm zu stellen, aber Charlie ist bereit und zuversichtlich", hieß es am frühen Morgen aus der Zentrale der Wettfahrtleitung. In einer aktuellen Meldung der Vendée-Globe-Organisatoren ist sogar von einem "beispiellosen Showdown" die Rede. Erwartet werden Böen in schwerer Sturm- und sogar Orkanstärke von mehr als 55 Knoten Wind. Dalin nähert sich dem Tief, das wie ein nord-südlich ausgelegtes Band über die führende Gruppe der Boote nach Osten zieht, von Norden.
Auch der weiter mit rund 200 Seemeilen Rückstand nordwestlich von Dalin positionierte Verfolger Thomas Ruyant hat mit den Ausläufern des Sturms zu kämpfen, scheint sich aber zunächst mit seiner nördlicheren Route vor dem Ärgsten gerettet zu haben. Dafür hat Ruyant in der Nacht auf Dienstag "bezahlt" und eine mit 13 bis 17 Knoten langsamere Fahrt in Kauf genommen, als Dalin sie mit 20 bis 25 Knoten genoss. Der ebenfalls im Kampf um die vorderen Plätze mitmischende Fünftplatzierte Jean Le Cam ("Yes We Cam!") hatte sich bereits am Sonntag klar für die sicherere Nordoption entschieden und sollte damit ebenfalls das Schlimmste vermeiden können.
Boris Herrmann segelte am frühen Dienstagmorgen als Achter mit einer der schnellsten Geschwindigkeiten der Flotte zunächst weiter auf geradem Kurs Ost. Am Abend des 30. Tages auf See hatte Herrmann zuvor ein Video von Bord geschickt, das die Bedingungen zeigt, in denen er inmitten der Verfolgergruppe im Rücken der nach Osten ziehenden Front sogar einen Zwischensprint einlegen konnte. Herrmann berichtete von den teilweise chaotischen Windbedingungen rund um den 40. Breitengrad Süd: "Letzte Nacht habe ich 60-Grad-Winddreher erlebt. Dann kurze Momente mit gar keinem Wind und gleich darauf wieder 30 Knoten. Es ist wirklich nicht einfach. Und es ist auch nicht einfach, gleichbleibend hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. Aber das stresst mich momentan nicht besonders. Ich hole Luft für das nächste große Tief." In Erwartung der fordernden Bedingungen sagte Herrmann: "Von nun an wird der Wind immer weiter zunehmen und erst in 48 Stunden und etwa 800 Meilen östlich von hier wieder abnehmen. Es wird das stärkste Tief bislang sein. Mir geht es gut damit."
Boris Herrmanns jüngster Video-Bericht von Bord entstand am 30. Tag auf See und zeigt die Bedingungen und die Stimmung im Südmeer-Sonnenuntergang
Während sich die Skipper der vorderen Boote mit dem Sturmtief auseinandersetzen, ringen der auf Rang vier hinter Yannick Bestaven ("Maître Coq IV") zurückgefallene Louis Burton ("Bureau Vallée 2") und Damien Seguin ("Apicil") vor allem mit ihrer Technik an Bord. "Ich gebe zu, dass das Wetter für mich in den vergangenen Stunden kaum eine Rolle gespielt hat", berichtete Damien Seguin, der den Montag mit der Reparatur seiner Autopiloten verbrachte. Die Probleme waren laut Seguin kurz nach einer Halse aufgetreten. Er habe das Cockpit kaum mehr verlassen können und – bei Einsatz des Notpiloten – kaum geschlafen. Ein wenig davon hat er in der vergangenen Nacht nachholen können. Und damit kam auch die Zuversicht zurück. "Im Moment hat man den Eindruck, dass es eine Tragödie ist", so Seguin, "aber der Weg ist lang und ich bin stolz auf dieses erste Drittel des Rennens. Wir werden alles tun, um das Rennen weiterführen zu können. Ich bin immer noch im Spiel." Informationen dazu, ob und wie Seguin, der ohne Finger an der linken Hand geboren wurde und ohne seinen Hauptautopiloten besonders hart geprüft wird, seine technischen Probleme in den Griff bekommt, blieb am Dienstagmorgen zunächst offen. Der vor zwei Tagen ebenfalls von Autopiloten-Problemen geplagte Louis Burton ("Bureau Vallée 2") vermeldete weitere kleinere technische Probleme aus dem Indischen Ozean und hofft auf ruhigere Bedingungen für eine detaillierte Bestandsaufnahme.