New York VendéeSieger der Herzen – Boris Herrmann nach Wow-Rennen als Zweiter im Ziel

Tatjana Pokorny

 · 09.06.2024

Boris Herrmann konnte mit zwei zweiten Plätzen in den beiden Transats viel Selbstbewusstsein für die Vendée Globe tanken
Foto: Olivier Blanchet/New York Vendée
Starker Auftakt, mutiger Kurs, Zweiter im Ziel: Boris Herrmann hat nach Platz zwei im Transat CIC bei der Rückregatta New York Vendée mit Angriffslust, Können und Entschlossenheit überzeugt – und begeistert. Erneut hat der 43-jährige “Malizia – Seaexplorer”-Skipper als Zweiter bewiesen, dass mit ihm bei seinem zweiten Vendée-Globe-Einsatz ab 10. November im Kampf um die Podiumsplätze zu rechnen ist. Auch Frankreichs Offshore-Elite huldigt dem Deutschen, der inzwischen gefährlich heftig am Sieger-Abonnement der Grande Nation in den großen Solorennen der Segelwelt rüttelt.

Gäbe es eine Gesamtwertung für die beiden Solo-Transats in dieser ersten Hälfte des Segelsuperjahres 2024, dann hieße der Sieger Boris Herrmann. Mit zwei imposanten zweiten Plätzen hat der “Malizia – Seaexplorer” nicht nur als einziger Teilnehmer in beiden Transatlantik-Prüfungen einen Podiumsplatz errungen. Es ist auch die konstante, konsequente und beherzte Art und Weise, wie er das tat, die Konkurrenz, Experten und Fans so beeindruckt.

Dem starken ersten Aufschlag im Transat CIC ließ Boris Herrmann einen noch stärkeren im New York Vendée folgen. Mit zerzausten Haaren und glücklichem Gesicht formte er nach dem Zieldurchgang seine Finger zum Victory-Zeichen. Auch er weiß, dass er eines der besten Rennen seiner Karriere bestritten hat. Dabei verknüpfte der Hamburger “Malizia – Seaexplorer”-Skipper, der sonst oft erst im Verlauf längerer Rennen zunehmend besser in Fahrt kam, einen entschlossenen Start mit einer hochkonzentrierten Leistung, souveräner Positionierung, individueller Streckeninterpretation, dem festen Glauben an den eigenen, phasenweise einsamen Kurs im Nordatlantik und ansteckender Wettkampflust. Am Ende des Rennens blieb sogar noch etwas Raum für den Seefahrer Boris Herrmann und seinen Sinn für die wilde Schönheit des Atlantiks.

Zweimal Zweiter: Herrmann ist Transat-König 2024

Gut 17 Stunden nach dem verdienten Sieger Charlie Dalin auf “Macif Santé Prévoyance, kam Boris Herrmann am späten Sonntagnachmittag ins Ziel vor Les Sables-D’Olonne. Seine Gesamtsegelzeit betrug 10 Tage, 20 Stunden, 52 Minuten und 32 Sekunden. Bei 4112 über Grund gesegelten Seemeilen erreichte Boris Herrmann eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,76 Knoten. Er hat dieses Rennen und das Transat CIC, das er hinter Yoann Richomme auf ‘Paprec Arkéa” ebenfalls auf dem zweiten Platz beendet hatte, stark mitgeprägt.

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“Malizia – Seaexplorer” ist sehr vielseitig geworden.” Franck Cammas

Für Tausendsassa Franck Cammas, Performance-Direktor des französischen America’s-Cup-Teams Orient Express, zweimaliger Figaro-, zweimaliger Ocean-Race- und Route-du-Rhum-Sieger, ist Boris Herrmann “die große Überraschung des Jahres”. Die Gründe für seine Einschätzung liefert der französische Meister so vieler Segeldisziplinen gleich mit: “’Malizia – Seaexplorer’ ist sehr vielseitig geworden. Und wir wissen, dass sie das vielleicht schnellste Vorwindboot in stärkeren Winden ist. Und diese Bedingungen werden bei der Vendée Globe rund um die Antarktis von entscheidender Bedeutung sein…”

Der erfahrene Leistungsoptimierer Franck Cammas, der auch Charles Caudrelier auf seinem Weg mit der Ultim-Gigantin “Maxi Edmond de Rothschild” zum Sieg beim ersten Solo-Rennen für 100 Fuß lange foilende Trimarane bei der Arkéa Ultim Challenge Brest stark unterstützte, ist überzeugt, dass Team Malizias Teilnahme am The Ocean Race mitentscheidend für die so offensichtlich erfolgreichen Verbesserungen war. Cammas sagt: “Das Selbstbewusstsein des Teams wurde gestärkt, weil sie das Südmeer bereits mit dem Boot durchquert haben, das auch bei der Vendée Globe zum Einsatz kommt. Die Verbesserungen des Bootes seit dem Ocean Race wurden durch die Erkenntnisse aus diesem Rennen effektiv durchgeführt.”

Vendée Globe: Boris Herrmann ist Mitfavorit

YACHT online sagte Franck Cammas Ende Mai im Exklusiv-Interview in Barcelona, dass er “Malizia – Seaexplorer” für eine der besten, wenn nicht die beste Imoca für die Südmeer-Abschnitte der Vendée Globe halte. Charlie Dalin, Yoann Richomme, Jérémie Beyou, Boris Herrmann und Thomas Ruyant seien in der Gruppe der Skipper, die die Vendée Globe gewinnen können, sagte Cammas.

Schon vor dem unglücklichen Mastbruch von Sam Goodchild hatte Cammas auch angemerkt, dass er den Briten mit seinem Boot nicht ganz in der Sptizengruppe der Sieganwärter für die Vendée Globe sieht. “Er ist nicht zu jung, aber sein Boot ist auf Downwind-Kursen nicht so stark. Damit wird er zu kämpfen haben. Und wenn du in diesen Bedingungen nicht selbstbewusst bist, kannst du es mit Bruch zu tun bekommen. Das Risko ist hoch. Wenn du dich dagegen in den Bedingungen wohlfühlst und Vorteile hast, dann kannst du Transats und Vendée Globes stark beenden.”

Auf die Frage, welches Boot er selbst aktuell für ein Vendée Globe wählen würde, wenn er teilnähme und freie Wahl hätte, sagte Franck Cammas: “Ich arbeitel viel mit ‘Charal’. Ich glaube, dass du das Rennen mit ‘Charal’ gewinnen kannst. Oder mit einem Boot wie dem von Ruyant. Und ‘Malizia’ ist zu bestimmten Zeiten sehr gut, das beste Boot. Wenn diese Bedingungen vorherrschen, dann kann sie auch gewinnen. Boris muss sein Boot in harten Bedingungen nicht so pushen wie andere. Das ist von Vorteil.”

Experten huldigen Boris Herrmann

Auch Boris Herrmanns ehemaliger Ocean-Race-Mitstreiter Christopher Pratt, der das New-York-Vendée-Finale am Sonntag an der Seite von Weltumseglerin Dee Caffari und Moderator Andi Robertson live kommentierte, sagte: “Boris hat ein herausragendes Rennen bestritten. Jetzt gehört er wirklich zu den Favoriten für die Vendée Globe.” Chris Pratt erinnerte auch an alte Zeiten, in denen sogar Team Malizias Crew-Mitglieder “Malizia – Seaexplorer” als “Bus” bezeichnet hatten: “Die Zeiten sind längst vorbei. Man muss Boris zu dem Boot und seinen Einschätzungen gratulieren. Es hat sich stark entwickelt.”

Die beiden Transats haben mir viel Selbstvertrauen für die Vendée Globe gegeben.” Boris Herrmann

Bei inzwischen weniger Gewicht und dazugewonnener Agilität, hat “Malizia – Seaexplorer” nichts von ihrer so effektiven und verlässlichen Robustheit verloren, die sich Konkurrenten wie der sympathische Nico Lunven nach dem zweiten Bugspriet-Bruch von “Holcim – PRB” oder Sam Goodchild sicher wünschen würden.

Das erste persönliche “Bravo!” hörte Boris Herrmann nach dem Festmachen am Dock in Les Sables-D’Olonne von Sieger Charlie Dalin. Der Sieger und der Zweitplatzierte umarmten sich in einer schönen Szene. Boris Herrmann verneigte sich vor seinem einzigen Bezwinger, sagte: “Glückwunsch an Charlie!” Noch in Dalins Beisein sagte Boris Herrmann lächelnd, das Rennen habe ihm gutes Selbstbewusstsein für die Vendée Globe gegeben. Offen sprach Boris darüber, dass er lange über die Routenoptionen nachgedacht habe, bevor er sich zum Alleingang im Norden entschlossen hatte.

Zwei gelungene Generalproben für die Vendée Globe

Charlie Dalin und Boris Herrmann waren die einzigen beiden Skipper, die vor einer Woche aus einem Tiefdrucktrog ausbrechen konnten. Die taktisch gelungene Flucht hatte es ihnen ermöglicht, einen großen Vorsprung auf die Verfolger aufzubauen. Im Kampf um den Sieg hatte Boris Herrmann im Gegenteil zum eher konservativ-kursmittig orientierten und dabei an die Vorzüge seiner “Macif Santé Prévoyance” denkenden Charlie Dalin eine sehr anspruchsvolle Nordroute gewählt, die ihm eine kurze Flautenzitterpartie abverlangt hatte, um auf der Nordost- und Ostseite eines Hochdruckgebiets wieder schnelle Vorwindbedingungen zu erreichen. Boris Herrmanns Wahl war nicht ohne Risiko. Und Charlie Dalin räumte ein, dass er selbst 24 Stunden vor dem Ziel noch Bedenken hatte, in letzter Minute eingeholt zu werden.

Im zweiten Transat war ich auf mich alleine gestellt, konnte mir viele Gedanken machen.” Boris Herrmann

Seinen einsamen Nordritt hält Boris Herrmann in der Retrospektive für “wissenschaftlich richtig”, auch wenn es sich manchmal “etwas verrückt” angefühlt habe. Charlie Dalin einfach nur zu folgen, wäre “für alle langweilig gewesen”, sagte Boris Herrmann mit einem Augenzwinkern. Und weiter: “Die Nordroute war für mich die offensichtlichere.” Am Ende des Rennens sei er “glücklich mit meiner Entscheidung”.

In der Addition haben ihm beide Rennen – Transat CIC und New York Vendée – viel Bestätigung und Vertrauen ins ein Boot für die zweite Solorunde um die Welt beschert: “Es waren zwei sehr unterschiedliche Rennen. Im ersten war ich viel in Kontakt mit anderen Booten, konnte mir einen guten Eindruck vom Speedvermögen machen. Im zweiten Transat war ich auf mich alleine gestellt, konnte mir viele Gedanken machen. So ist es ja bei der Vendée Globe auch oft. Daher war auch das eine gute Übung.”

Was Boris Herrmann wirklich will

Was Boris Herrmann bei der umjubelten Gänsehaut-Ankunft in Les Sables besonders glücklich machte, fasste er schnell in Worte: “Was ich wirklich will, ist ein zuverlässiges Boot. Zwei Rennen ohne große Probleme sind eine echte Leistung. Also Glückwunsch an mein Team, das großartige Arbeit geleistet hat. So ins Mekka des Segelsports nach Frankreich zurückzukommen, fühlt sich großartig an.”

Gänsehaut in Les Sables-D’Olonne: Boris Herrmann kommt als glücklicher Zweiter ins Ziel – die Wiederholung der Live-Übertragung:

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