Jochen Rieker
· 08.06.2024
Der 40jährige ließ auf den letzten 100 Meilen nichts mehr anbrennen. Mit halbem Wind und weit über 20 Knoten Fahrt im Schnitt flog er dem Ziel entgegen, bevor er sich - einmal mehr - an diesem magischen Ort feiern lassen konnte.
Für den sympathischen Mann aus Le Havre muss es sich wie eine Genugtuung angefühlt haben. Nicht nur ließ er die gesamte Imoca-Elite achteraus und zeigte, dass nach seinem gesundheitsbedingten Abbruch beim Transat Jacques Vabre vorigen Herbst wieder voll mit ihm zu rechnen ist. Er unterstrich auch, dass er im November bei der Vendée Globe auf Sieg segeln wird.
Schon einmal war er in Les Sables d’Olonne als First Ship Home eingelaufen, im Januar 2021. Damals aber reichte es in der Endabrechnung nur zu Platz 2. Yannick Bestaven dagegen triumphierte aufgrund einer Zeitgutschrift für seine Hilfe bei der Suche nach dem im Südmeer havarierten PRB-Skipper Kevin Escoffier. Ein schmerzhaftes Ende nach einem ansonsten makellosen Rennen um die Welt, das Charlie Dalin die Hälfte der Zeit - über 37 Tage lang - angeführt hatte.
Diesmal gibt es keine Rückstufung. Der “Macif”-Skipper ist der unbestrittene König dieses Transats. Niemand kann ihm den Erfolg streitig machen. Nicht Boris Herrmann, der es mit einer interessanten Nord-Route versucht hat, nicht Yoann Richomme, der auf der Hin-Regatta gewann, nicht Thomas Ruyant oder Jérémie Beyou, die ebenfalls zu den fabelhaften Fünf zählen. Und ganz sicher nicht Yannick Bestaven, der eine Regatta zum Vergessen erlebt. Er lag auf Position 21 und hatte noch rund 950 Seemeilen vor dem Bug, als Charlie Dalin im grellen Scheinwerferlicht über die Linie fuhr.
Mit einer gesegelten Zeit von 10 Tagen 3 Stunden 44 Minuten und 30 Sekunden blieb der unerwartet deutlich über der bisher einzigen Referenzzeit aus 2016; damals hatte Jérémie Beyou 9 Tage und knapp 17 Stunden für die erste Auflage der New York Vendée gebraucht, seinerzeit mit einem Foiler der ersten Generation. Charlie loggte insgesamt 3.733,8 Seemeilen über Grund bei einer gemessen an den schwierigen Wetterbedingungen dann doch sehr guten Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,3 Knoten.
Mit dem jüngsten Sieg fügte er seiner beeindruckenden Erfolgsserie nicht nur einen weiteren Titel hinzu. Er zauberte vielmehr ein Kabinettstückchen auf den in den vergangenen Tagen oft so fordernden, weil kapriziösen Nordatlantik.
Außer ihm gelang nur Boris Herrmann und Nicolas Lunven, sich von einem Trog zu lösen, der alle anderen Skippern der Spitzengruppe vom 1. Juni an tagelang an den Rand der Verzweiflung brachte. Nico, dem wie schon beim Transat CIC vier Wochen zuvor der Bugspriet brach, konnte den taktischen Vorteil nicht lange ausspielen. Und Boris entschied sich seinem Instinkt folgend, nach Norden zu gehen. Vom 2. Juni an war Charlie Dalin deshalb praktisch allein.
Es war die taktisch sicherere Position, weil sie ihm erlaubte, das Gros der Verfolger zu kontrollieren. Boris Herrmann ließ er im Norden ziehen, wohl wissend, dass der den längeren Weg und das höhere Risiko gewählt hatte. Ein kühl kalkulierter Schachzug des “Macif”-Skippers, der für seine genialen Moves und deren konsequente Umsetzung berühmt ist, wenn nicht gar legendär.
Eines seiner absolut besten Rennen zeigte er zusammen mit Paul Meilhat beim Fastnet Race 2021, in dem die beiden regelrecht dominierten und über weite Strecken sogar mit der Swan 125 “Skorpios” mithalten konnten. Dem Duo war es mit einem Schlag weit unter die französische Küste als einzigen gelungen, gleich zwei Tidal Gates zum perfekten Zeitpunkt und mit maximalem Schiebestrom zu passieren; dazwischen erwischten sie auch noch einen günstigen Winddreher. Eine navigatorische und seglerische Ausnahmeleistung.
Man könnte sie für einen seltenen Glücksfall halten. Doch das hieße, Charlie Dalin zu unterschützen. Der Franzose, der in Southampton ein Konstrukteurs-Studium absolvierte und auch technisch brilliert, hat immer wieder mit Ergebnissen überrascht, die sprachlos machen.
Ähnlich wie jetzt bei der New York Vendée brillierte er beim Guyader Bermudes 1000 Race sowie bei der Vendée Arctique 2022, wo er mit geradezu deklassierendem Vorsprung siegte. Legendär auch sein Solo beim Défi Azimut auf der Langstrecke, wo er mehrere mit Crew gesegelte Imocas ausmanövrierte - eine schier unglaubliche Demonstration seiner Extraklasse.
Weil er im Herbst zwei Transats ausfallen lassen musste, sicherte sich Charlie die Qualifikation für die Vendée Globe erst mit der Ankunft der Hin-Regatta in New York. Da wurde er Vierter, eigentlich unter seinem Wert. Technische Pannen hatten ihn gehindert, das volle Potenzial seines Verdier-Designs zu zeigen. Das ist ihm jetzt gelungen.
Das Boot ist eine Weiterentwicklung seiner alten “Apivia”, die inzwischen Clarisse Crémer unter dem neuen Namen “l’Occitane” segelt (am Abend P17). “Macif - Santé Prévoyence” gilt als sehr schneller Allrounder. Charlie hat eines der kleinsten Arbeitscockpits; es gleicht einer Gefängniszelle, bietet aber erhebliche ergonomische Vorteile, weil alles zur Hand ist und stets am gleichen Ort.
Ohne Frage: Boot und New-York-Vendée-Sieger Dalin werden im November beim Start der Vendée Globe weit oben auf den Zetteln der Buchmacher stehen. So recht gefallen mag ihm das nicht. Gegenüber dem Online-Magazin Bateaux dämpfte Charlie im Februar die Erwartungen an ihn bereits: “Wenn es ein Rennen gibt, bei dem man den Sieg nicht vorhersagen kann, dann ist es die Vendée.”
Zum aktuellen Stand der New York Vendée auf den Folgerängen geht’s hier!