New York VendéeFlauten, Hagel, Wasserhosen – die “50 Shades of Shit” im Nordatlantik

New York Vendée: Flauten, Hagel, Wasserhosen – die “50 Shades of Shit” im NordatlantikFoto: DMG Mori Global One/ K. Shiraishi
An Abwechslung fehlt es den Skippern der New York Vendée wahrlich nicht, wie dieses Foto von Kojiro Shiraishi zeigt. Der DMG-Mori-Skipper sah gestern, wie Yannick Bestaven auf “Maître Coq” nur knapp einer Wasserhose entging
Boris Herrmann hat das Gröbste hinter sich und behauptet seine Führung, jedenfalls für den Moment. Doch leicht macht es die New York Vendée den 28 Imoca-Skippern weiterhin nicht. Nur so viel ist klar: Der Weg ins Ziel, der für die Führenden theoretisch nur noch gut 2.000 Seemeilen bereithält, wird lang!

Obwohl für Teile unserer Leser heute die Pegelstände im Süden der Republik wahrscheinlich spannender sind als der Stand auf dem Tracker des laufenden Transats: Verpassen Sie nicht diesen Tag, den wir in einer Woche vielleicht als rennentscheidend einstufen werden.

Denn allmählich zeichnet sich nach der wetterbedingten Zufälligkeit der Auftaktphase so etwas wie eine Strategie ab, besser gesagt zwei – oder sogar drei.

Nord, Ost oder Südost – welche Strategie am Ende aufgeht, ist noch lange nicht ausgemacht. Boris Herrmann aber beeindruckt weiterhin Fans und FachweltFoto: Geovoile/New York Vendée Tracker von SonntagfrühNord, Ost oder Südost – welche Strategie am Ende aufgeht, ist noch lange nicht ausgemacht. Boris Herrmann aber beeindruckt weiterhin Fans und Fachwelt

Immer deutlicher wird, dass “Malizia”-Skipper Boris Herrmann sich entschieden hat, weiter konsequent in seinen nördlichen Kurs zu investieren. Er ist der Einzige, der sich schon vor zwei Tagen so klar positionierte. Und davon profitiert er ungeachtet des kurzen Rücksetzers gestern Früh mitteleuropäischer Zeit gleich doppelt: durch relativ gute Etmale und eine kürzere Wegstrecke näher am Großkreiskurs nach Les Sables-d’Olonne.

Was der Tracker nicht zeigt: Die Bedingungen waren zuletzt und sind noch extrem rau. Heute Früh teilte er seinem Team mit, dass es nicht mal möglich sei, im Cockpit “zu stehen, ohne sich mit beiden Händen festzuhalten”. Inzwischen segelt er am Rand einer Front, die im Zusammenspiel mit dem Golfstrom eine konfuse See produziert.

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Abbild der Wetter-Allüren. Hier ein Bild von Olli Heers Wind- und Speedwerten. Binnen zwei Stunden oszillierte der Wind gestern zwischen null und knapp 17 Knoten, die Windrichtung um gut 300 GradFoto: Oliver HeerAbbild der Wetter-Allüren. Hier ein Bild von Olli Heers Wind- und Speedwerten. Binnen zwei Stunden oszillierte der Wind gestern zwischen null und knapp 17 Knoten, die Windrichtung um gut 300 Grad

Wie klar ist Boris Herrmanns Führung an Tag vier der New York Vendée?

Boris’ Führung ist denkbar knapp: Charlie Dalin auf Platz 2 lag rechnerisch heute Früh um 9 Uhr rund 30 Seemeilen hinter ihm, obwohl er gut 100 Meilen südlicher steht, Tendenz zunehmend. In West-Ost-Richtung gemessen hat der “Macif”-Skipper dagegen 20 Seemeilen Vorsprung. Beides ist freilich weit weniger relevant als die Position in Relation zum Wetter, dessen Prognosen sich bisher als chronisch unzuverlässig erwiesen haben – sowohl in der Stärke wie in der Richtung. Und auch für die kommenden Tage gibt es wenig Übereinstimmung zwischen den Modellen.

Bis auf eine: Es deutet vieles darauf hin, dass die zweite Hälfte der New York Vendée zumindest in der Nähe der direkten Kurslinie einen hohen Amwind-Anteil haben wird. Gestern beschrieb Nico Lunven, mit “Hocim – PRB” auf Platz 3, seine Verwunderung trefflich so: “Bei der Hin-Regatta (Red: dem Transat CIC) hatten wir eine Kreuz erwartet, dann aber vor allem Reaching-Bedingungen gefunden. Jetzt sollten wir eigentlich raumschots segeln, in gut etablierten Systemen, hangeln uns stattdessen von einer Front zur nächsten und erwarten bald Wind von vorn.”

Welche Strategien verfolgen die Skipper bis ins Ziel Les Sables-d’Olonne?

Anders als Boris Herrmann auf seiner “Malizia – Seaexplorer”, dem für seinen bisherigen Rennverlauf viel Anerkennung zuteil wird, favorisiert das Gros der Top 10 eher eine abwartende Strategie auf Ost- beziehungsweise Ostsüdost-Kurs. Nur Louis Burton und Benjamin Dutreux scheinen sich auf eine Süd-Variante festgelegt zu haben.

Verantwortlich für das Dilemma, in dem die Skipperinnen und Skipper stecken, ist das sehr weit nördlich liegende Azoren-Hoch, das fast von Neufundland bis Irland reicht und sich im Wochenverlauf nur langsam nach Westen zurückzieht. Es blockt gewissermaßen die Tiefdruckgebiete, die sonst von der Ostküste Kanadas und der USA über den Nordatlantik ziehen.

So erleben die Solisten ein absehbar zähes Rennen. Die jüngsten Hochrechnungen sehen den ersten Zieleinlauf frühestens in einer Woche, womöglich auch erst am Dienstag, dem 11. Juni. Doch erscheint diese Prognose so unsicher wie eine zum Ausgang der EU-Parlamentswahlen.

Wer segelt bei der New York Vendée unter, wer über seinem Potenzial?

Wie ungewöhnlich die New York Vendée ist, und wie unvorhersehbar, zeigt die derzeitige Rangliste. Dort steht Yannick Bestaven, im Januar 2021 noch Vendée-Globe-Sieger, derzeit auf Platz 18, mehr als 260 Seemeilen hinter Boris Herrmann. Nur vier Meilen und einen Platz vor ihm ist “V & B”-Skipper Maxime Sorel, beides vom Potenzial her Top-10-Kandidaten. Sie sind wie gefangen in der Nachzügler-Gruppe, die in West-Ost-Richtung rund 200 Seemeilen achteraus liegt.

An ihrer Spitze segelt mit Violette Dorange die jüngste Imoca-Skipperin des Rennens, die zugleich die am besten platzierte Teilnehmerin auf einem Boot ohne Foils ist. Sie hat drei Plätze und fast 30 Seemeilen Vorsprung auf Eric Bellion, der mit dem neuesten Non-Foiler bisher keine Akzente setzen konnte.

Stark dagegen präsentiert sich die Britin Pip Hare auf “Medallia”. Sie hat ihr Boot, die ehemalige “Bureau Vallée” von Louis Burton, über den Winter gezielt weiterentwickelt, hart trainiert und zuletzt das beste Etmal aller Top-10-Skipper erzielt: fast 390 Seemeilen. Dadurch hat sie sich vor Sam Davies (12.) und Clarisse Crémer (10.) geschoben und rangiert nur knapp hinter der erwartungsgemäß stark segelnden Justine Mettraux (8.).

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