Dieses Transat hält sich an keine Regeln, und wenn es einem Skript folgen sollte, dann muss es ein Sadist geschrieben haben. Denn es lässt den 28 Skipperinnen und Skippern kaum eine Atempause. So langsam die New York Vendee in den ersten 24 Stunden begann, so flott geht es seither zur Sache.
Schon vor dem “Share-the-Ocean-Wegepunkt”, der rund 170 Seemeilen südöstlich der virtuellen Startlinie liegt, legten die Imocas im auffrischenden Nordwestwind und unterstützt vom Golfstrom auf zweistellige Speed-Werte zu. Und so sollte es für die Spitze, in der sich Boris Herrmann fest etabliert hat, bleiben. Im Mittel loggte er phasenweise an die 27 Knoten und zählte zusammen mit Charlie Dalin stets zu den Schnellsten.
Gemeinsam mit Nico Lunven hatte er sich gestern aus seiner westlichen Position gelöst und im Osten des Feldes fast alle passiert. Am Wegpunkt lag nur Jérémie Beyou knapp vor ihm, der “Charal”-Skipper, den Boris später jedoch achteraus ließ.
Den Rennverlauf nachzuvollziehen, ist dabei nicht einfach, weil die Wetterdaten im Tracker und in den Routings nicht dem wahren Geschehen auf See entsprechen. Auch wirkt sich der Golfstrom mal mehr, mal weniger stark aus, weshalb Aussagen über das Speedpotenzial nicht viel mehr sein können als ein Ratespiel. Die Segler selbst halten sich mit Informationen sehr zurück, weil sie alle Hände voll zu tun haben, ihre Imocas auf den Foils zu halten.
Nur wenige und kurze Videos geben kleine Einblicke in die Strapazen, die den Solisten zusetzen. Sam Davies (”Initiatives Coeur”) etwa blickte aus schmalen Augenschlitzen in die GoPro, als sie bei 25 Knoten Fahrt erkennbar beglückt berichtete, dass sie nach einer “komplizierten Nacht” endlich “in den Dragster-Modus” gewechselt sei. Romain Attanasio (”Fortinet Best Western”), der Boris’ ehemalige “Malizia 2” segelt, bezeichnete den Auftakt in aller Pointierung als “quelle journée de merde” - auf gut Deutsch: “Was für ein Scheiß-Tag!”
Auch Boris kommuniziert deutlich weniger als sonst - ein Zeichen, dass er ganz im Rennen angekommen ist und sich voll darauf konzentriert. Er lag am Freitagnachmittag auf Rang zwei und war schneller als die gesamte Spitze des Feldes. Auffällig ist, dass er sich weiter in Luv, also nördlicher, positioniert, um möglichst lange möglichst viel Weg nach Nordost gutzumachen.
Ihm wie seinen unmittelbarsten Konkurrenten steht morgen ein kniffliger Übergang bevor. In der Nacht wird der Wind löchriger werden, später dann gilt es, auf die Rückseite des Tiefs zu gelangen, das in der Anfangsphase mit Gewitter und Starkwind über die Imoca-Flotte hergefallen war. Erneut stecken in Böen bis zu 40 Knoten in den Zellen, die sich entlang der Front bilden. Das jedenfalls sagen die Modelle.
“Die Passage der kommenden Front wird die Karten wahrscheinlich neu verteilen”, glaubt Hubert Lemonnier, der Wettfahrtleiter der New York Vendée. Die Schweizerin Justine Mettraux (Teamwork - Group SNEF”), die mit 50 Meilen Rückstand auf Boris etwas hat abreissen lassen, sagt: “Es ist nicht einfach, eine Strategie zu entwickeln und die beste Kurslinie zu finden”.
Das gilt erst recht für den weiteren Verlauf der Regatta, der die Skipper in wenigen Tagen vor eine schwierige Entscheidung stellt: weit in den Norden zu segeln, damit mehr Weg zu machen in der Hoffnung auf raume Winde, oder tagelang gegenan zu bolzen auf dem Großkreiskurs. Aber vielleicht serviert der zickige Nordatlantik ja noch eine weitere Überraschung.
Bisher jedenfalls sieht es sehr danach aus, als ob die New York Vendée ein langes und ermüdendes Rennen werden würde - und dass die bisherige Referenzzeit von 2016 (9 Tage, 16 Stunden) allen Fortschritten in der Imoca-Klasse zum Trotz Bestand haben könnte.