Jochen Rieker
· 04.06.2024
Seit gestern Nachmittag zieht Charlie Dalin, der Skipper des Verdier-Designs “Macif”, nahezu unaufhaltsam davon. Und mit jedem der stündlichen Positionsreports wächst sein Vorsprung – auf seinen ärgsten Widersacher, Boris Herrmann, ebenso wie auf die Verfolger.
Bei unter 1.400 Seemeilen bis Les Sables-d’Olonne liegt der Mann aus Le Havre inzwischen fast 450 Meilen vor der Gruppe im Süden. Fast schon so etwas wie eine Vorentscheidung, auch wenn noch viel passieren kann.
“Malizia – Seaexplorer”-Skipper Boris Herrmann aber hat nur knapp 240 Meilen Rückstand auf Dalin, und er hat in den zurückliegenden 24 Stunden mehr Strecke zurückgelegt. Jetzt ist der Hamburger auf der Umlaufbahn, die ihn um den Kern des Hochs bringen wird, auf dessen Rückseite er schnelle Raumschotsbedingungen finden sollte. Das gelingt ihm bisher ausgezeichnet. Am Vormittag loggte der 43-Jährige aus Hamburg noch immer 10 Knoten Fahrt über Grund.
In einem sehenswerten Video von Bord erklärte er in der Nacht seine Strategie. Seine Route habe “definitiv mehr Risiko” als die weiter im Süden von Charlie Dalin. Es sei keine Wette, sondern “die beste Entscheidung, die ich anhand der mir zur Verfügung stehenden Informationen und Programme treffen konnte”.
Boris wirkt extrem aufgeräumt und klar in seiner Analyse. Er sei sich der Risiken voll bewusst, sagte er. Heute ebenso wie in zwei Tagen westlich der irischen Küste könnten ihm Hochdruckgebiete den Weg versperren. “Aber irgendwann muss man eine Entscheidung treffen.” In seinen Augen lag eine Wachheit, die nach den bisherigen Strapazen und Ungewissheiten schlicht erstaunlich ist.
Und es blitzt wieder eine Lust auf an diesem Schachspiel auf dem Wasser, die so deutlich länger nicht zu sehen war. Allein das nötigt einem Respekt ab, mehr aber noch, dass er nach wie vor im Rennen um den Sieg ist und dazu bereit, einsam seinen Kurs abzustecken. Hätte er nicht längst bewiesen, dass er zu den besten Imoca-Skippern der Welt zählt – dies wäre ein Moment, um unabhängig vom späteren Ausgang schon jetzt von einer Meisterleistung zu sprechen, mindestens aber von einer Reifeprüfung. Boris wird als ein anderer ins Ziel kommen, als der er in New York gestartet ist: selbstbewusster, klarer, mental stärker.
Charlie Dalin weiß, dass es noch nicht vorbei ist. Er kommentierte seine Führung auffällig zurückhaltend. “Er sei nicht weit davon entfernt gewesen”, im Trog hängen zu bleiben, den er am Wochenende fast zeitglich mit Boris überwinden konnte. “Heute ist es natürlich ein schöner Vorsprung. Das ist eine ganz unglaubliche Situation. Solche Momente gibt es nicht oft in einer Karriere!” Derzeit segle er in Bedingungen, die seinem Boot liegen. “Es läuft also ziemlich gut”.
Im Süden hat sich Yoann Richomme im Ranking weit vorgearbeitet. Er liegt jetzt an P3, vor allem, weil er näher am Großkreiskurs segelt. Der Sieger der Hin-Regatta wird sich in seiner Gruppe, zu der noch zehn andere Boote zählen – darunter mehrere aktuelle Designs –, gegen harte Konkurrenz behaupten müssen.
Ein sehenswertes Comeback gelang drei anderen Foilern, die bisher weit abgeschlagen schienen: Maxime Sorel (”V&B Mayenne”), Yannick Bestaven (”Maître Coq”) und Romain Attanasio (”Fortinet Best Western”, Boris’ alte “Malizia”) sind bis auf 150 Meilen an die Verfolgergruppe herangerauscht. Sie laufen allerdings Gefahr, in einer Hochdruckzone erneut hängen zu bleiben.
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