Tatjana Pokorny
· 08.03.2024
Es war wie eine Horizontexplosion, als Susann Beucke 2022 ihren Olympiasport nach 15 Jahren radikal gegen eine Abenteuer-Karriere im Hochseesegelsport eintauschte. Sie zog los nach Frankreich und absolvierte eine zweijährige Ausbildung in der knüppelharten Figaro-Szene. Sie kassierte Regatta-Dämpfer in Serie, musste Nehmerqualitäten beweisen und lernen, lernen, lernen. Fernziel der Metamorphose von der gestählten Olympia-Athletin zur mit allen Wassern gewaschenen Seeseglerin: die Vendée-Globe-Teilnahme 2028.
Zwischendurch hat die 49er-FX-Olympia-Zweite von 2021 im vergangenen Jahr noch eine heiße Etappe mit Team Holcim – PRB im Ocean Race absolviert und sich auch in die Teamvariante des Seesegelns verliebt. Nun legt die 32-Jährige auf ihrem Weg nach oben ihre erste Autobiografie vor: „Gegen den Wind – Mein Traum von den Weltmeeren“ ist am 1. März erschienen. Im Norddeutschen Regatta Verein an der Hamburger Alster hatte sie erstmals daraus gelesen und war noch am Tag der Veröffentlichung zu Gast in der NDR Talkshow mit Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt.
In dem 304 Seiten starken Werk mit vielen Bildern beschreibt Sanni Beucke ihr bisheriges Leben im und mit dem Segelsport wie durch ein Brennglas. Detailliert, kommentiert, schonungslos und gleichzeitig voller Optimismus erzählt sie, wie sie sich in Frankreichs Seglerwiege ihren Weg durchs weltweit wichtigste Seesegelnetzwerk bahnt – La Base ist jetzt auch ihr Heimathafen. Begleitet wird Sanni Beucke von ihrem Slogan „This race is female“, fast 66.000 Followern bei Instagram und einer wachsenden Fangemeinde.
Susann Beucke: Die Welt gehört euch. Träumt groß und traut euch alles zu. Ihr könnt alles schaffen, was ihr euch wünscht!
Es ist viel hochgekommen. Und es war viel mehr Denkarbeit, als ich vermutet hatte. Ich habe alle Phasen meines bisherigen Lebens noch einmal durchlebt.
Das ist auf jeden Fall auch eine wichtige Nachricht des Buches: Gib niemals auf, mach immer weiter. Unsere Geschichte ist eine ermutigende Geschichte, die es wert ist, zu teilen. Gerade in Zeiten, in denen die Stimmung generell nicht so gut ist.
Das Silverrudder 2021, einen Monat nach den Spielen.
Ich hatte während des Rennens ohne Solo-Erfahrung, ohne Selbststeueranlage und ohne Seezaun bei viel Wind ziemlich viel Schiss. Nach meiner Rückkehr war ich erst einmal etwas geschockt. Ich bin dann im Februar nach Lorient gegangen und in die Figaro-Klasse eingestiegen. Das Gefühl der Angst hat sich fast durch mein gesamtes erstes Jahr gezogen: Ich hatte krass Angst vor dem, was ich da machte. Weil ich es noch nicht einschätzen konnte. Ich war wie eine Maus vor einer großen Katze. Aber ich wollte unbedingt weitermachen. Ich war überzeugt, dass es gut werden kann.
Es gibt da diesen masochistischen Charakterzug in mir, von dem ich nicht weiß, woher ich den habe. Der bringt mich oft zum Verzweifeln.
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es diesen Zug an mir gibt. Der Wille, aus der Komfortzone rauszukommen, zieht sich schon durch mein ganzes Leben. Das hat klein in der sechsten Klasse auf der Realschule damit begonnen, dass ich unbedingt aufs Gymnasium wollte, obwohl ich gar nicht die Noten dafür hatte. Dann nach Bayern zu gehen, obwohl es 1.000 Kilometer weg ist, damit es mit dem Segeln ein bisschen leichter geht. Oder jetzt wieder: nach Frankreich zu ziehen und alles auf eine Karte zu setzen, obwohl ich meine Familie vermisse und immer noch oft Schiss vor dem habe, was ich mache. Das nenne ich masochistisch: etwas zu tun, was mir offensichtlich nicht guttut. Andererseits bin ich immer noch so stark, dass ich meine Ziele weiter anstrebe. Aber zu meinen Seesegelanfängen möchte ich heute sicher nicht mehr zurück.
Ja, wie bei der letzten Figaro-Etappe im meinem ersten Jahr. Da hatte ich drei Tage superviel Wind auf dem Weg von Nordspanien zurück nach Frankreich. Die ganze Zeit 35 Knoten und mehr. Ich musste den großen Gennaker setzen, weil die anderen Segel kaputt waren. Ich war supermüde. Und ich hatte viel Angst. Das mit der Angst habe ich zu spät gemerkt. Für mich verbirgt sich Angst immer in unterschiedlichen Gewändern. Manche Leute werden dabei aggressiv. Ich werde weich und weinerlich. Ich war zwei, drei Tage weinerlich, bis ich erkannt habe, dass ich Köttel in der Hose hatte.
In solchen Situationen zoome ich mich raus, werde zur Fliege an der Wand. Mit diesem Blick von außen versuche ich die Situation zu verstehen, in der ich gerade allein und mit hängenden Schultern bei flatterndem Segel dasitze. Ich stelle mir die Frage, was diese Person jetzt tun muss. Dann geht es weiter. Zum Glück hatte ich noch nie eine echte Blackout-Situation.
Ich finde, dass unser Risiko überschaubar ist. Ich bin da sehr pragmatisch. Da ist nur die eine Sache, die tödlich enden kann, bei der die Wahrscheinlichkeit, dass du stirbst, wirklich hoch ist: das Überbordgehen. Es muss furchtbar sein, wenn dein Boot von dir wegfährt und du nichts machen kannst. Solange du mit dem Boot verbunden bleibst, bist du auf deiner kleinen sicheren Insel. Es entscheidet eine einfache Frage: Bist du immer diszipliniert genug, dich einzuhaken?
Das ging eigentlich ziemlich leicht, weil ich ja fast die ganze Zeit mit dem Autopiloten steuere (lacht). Da ist es eher entscheidend, die richtigen Zahlen zu treffen. Vor allem sind Improvisationsvermögen und Durchhaltevermögen gefragt. Tina könnte das Boot tausendprozentig schneller steuern als ich. Aber du hast als Vorschoterin ja auch das Großsegel in der Hand. Heute nehme ich regelmäßig das Ruder in die Hand, um den Segeltrimm zu überprüfen. Das Aggressivsein beim Starten passt auch. Ich war immer eher der aggressive Typ auf dem Boot. Was ich aber unterschätzt habe, ist die Tatsache, dass ich vorher immer im Duo unterwegs war und nun auf einmal allein antreten muss.
Früher habe ich immer alle Themen, die mir keinen Spaß gemacht haben, auf Tina abgewälzt. Und Tina ihre auf mich. Glücklicherweise konnten wir so jeweils die Aufgaben erledigen, die auch unserem Naturell entsprechen. Jetzt muss ich alles machen. Das ist eine Herausforderung. Auch habe ich ewig Tina als Sparringspartnerin an meiner Seite vermisst. Ich glaube, der Prozess dauert noch an. Es ist viel einfacher, als Duo aufzutreten.
Stimmt. Ich habe mich aber bewusst für den schweren Soloweg entschieden. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich ganz am Anfang stehe. Je mehr ich die komplette Materie durchdringe, je mehr merke ich, wie komplex sie ist. In welche Tiefen man sich allein beim Wetter stürzen kann. Ich merke aber auch, wie viel ich in Bereichen wie Navigation oder Elektronik im Vergleich zu anderen Seglern weiß, die nur einen Job an Bord machen oder stärkere Segler an ihrer Seite hatten und der Herausforderung nicht ausgesetzt waren, sich damit allein beschäftigen zu müssen. Ich glaube, ich hätte mich nicht schneller entwickeln können. Ich habe so viel gelernt!
Ja, es wird ein Figaro-Jahr mit besonderem Schwerpunkt nebenbei. Ich hätte große Lust, auf größeren Booten zu segeln. Stichwort: Imoca. Gerade die Etappe mit Team Holcim – PRB im Ocean Race hat mir sehr viel Spaß gemacht hat. Das will ich noch einmal erreichen. Dieses Jahr wird für mich ein Mix aus Figaro-Saison und Schreibtischarbeit: Ich muss auch meinem zweiten Job nachgehen, mich um Vermarktung, Sponsoring und die Geldsuche kümmern.
Mit BayWa r.e. ist mein Wunschpartner aus dem Sektor erneuerbare Energien an Bord. DB Schenker musste uns leider verlassen, weil das Unternehmen gerade durch den Verkauf erst einmal alle Marketing-Aktivitäten auf den Prüfstand stellen muss.
Dieses komplette Solosegeln der letzten zwei Jahre hat nicht meinem Naturell entsprochen. Das heißt, mein Ziel, mein Traum ist es, The Ocean Race Europe und auch das Ocean Race mitzumachen. Für mich steht fest, dass ich Teil eines größeren Teams sein möchte. Oder fusionieren, um hier in Lorient eine Seglerfamilie zu haben. Die Vorstellung, es mit einem eigenen Team zu machen, wäre crazy, aber ich würde die Herausforderung annehmen. Doch wir wissen alle, wie teuer es ist, eine solche Kampagne zu finanzieren. Dafür ist ganz viel Arbeit und ganz viel Glück notwendig.
Es wäre meine Priorität, weiter eigenständig für diese Botschaft stehen zu können. Mir ist es superwichtig, mit meinem Segeln noch einen übergeordneten Sinn zu verfolgen: Frauen können auch Abenteuer! Es ist für mich der beste Lohn, wenn mich sogar ganz fremde Frauen ansprechen und mir sagen, wie sehr sie sich durch meine Abenteuer inspiriert und ermutigt fühlen. Ich merke, wie relevant es ist, Vorbilder zu haben, die zeigen, was möglich ist.
Ich finde die Geschichte der Physikerin und Chemikerin Marie Curie inspirierend, die als erste Frau einen Nobelpreis erhielt und anschließend als erste Professorin an einer französischen Universität unterrichtete. Und dann natürlich Ellen MacArthur.
Ja. Und weil sie den Schritt gewagt hat, ein Pionierbuch darüber zu schreiben. Ohne dieses Buch hätte meine ganze Frauen-Generation nicht angefangen zu segeln. Die Geschichte, wie sie ihr Essengeld für die Schule gespart und sich davon ihr erstes Boot gekauft hat, zeigt, dass es möglich ist, in kleinen Schritten eine Riesenkarriere anzugehen. Das ist eine so ermutigende Geschichte!
Ja. Das Blöde beim Segeln ist nur, dass die Ausrüstung mit dem Aufstieg – beispielsweise von Figaros zu Imocas – immer teurer wird. Eine Imoca-Kampagne ist etwa 15- bis 20-mal so teuer wie eine Figaro-Kampagne. Aber für beruflichen Erfolg als Profisegler gibt es in Frankreich viele Vorbilder. Nicht, dass alle reich werden. Aber viele können davon leben und erreichen soziale Anerkennung. Das ist ein Grund, warum ich mich hier so wohl fühle. Andererseits ist klar: Der Sport ist nichts für sicherheitsbedachte Menschen.
(Denkt länger nach) Die jetzige Malizia hat im Ocean Race gezeigt, dass sie keine Nachteile hat. Gleichzeitig gibt es in Lorient gerade den großen Trend der Teamfusionierungen. Beispielsweise Charal und Teamwork oder For People und For the Planet. Dieses Sparen von Ressourcen, die gemeinsame Vermarktung – das wäre eine Traumlösung. Man muss aber den finanziellen Aufwand stemmen können. Deswegen ist es jetzt für solche Aussagen noch zu früh. Einen solchen Traum auszusprechen birgt auch Risiken. Die Chance zu scheitern ist groß. Wie viele Leute hatten es schon vor und haben es nicht geschafft? Da will man sich ungern einreihen. Aber ich bin an alle meine Ziele immer gekommen, indem ich sie mir vorgestellt, Pläne gemacht und die umgesetzt habe.
Ja, das war bei einer Überführung von Monaco nach Lorient 2018. Da war ich zwei Wochen lang mit vier Leuten auf einem Imoca. Wir waren zu viert und im Wachrhythmus, des Öfteren auch allein an Bord. Ich habe es genossen, bin da richtig aufgeblüht. Es war dieser Anfang mit dem Imoca, diese Chance, die ich damals bekommen habe, die mir sehr viel Energie gegeben hat.
Mit Nutella und Erdnussbutter!
Die Autobiografie „Gegen den Wind – Mein Traum von den Weltmeeren“ von Sanni Beucke mit Nele Justus erscheint im Droemer Verlag. Das Buch ist ab 1. März erhältlich und kann bereits vorbestellt werden. 304 Seiten, Hardcover; 28,80 Euro >> hier bestellen.