Happy Birthday, Boris Herrmann!"So ein Schiff wurde definitiv noch nie gebaut!"

Tatjana Pokorny

 · 28.05.2022

Happy Birthday, Boris Herrmann!: "So ein Schiff wurde definitiv noch nie gebaut!"Foto: Vincent Curutchet
Heute feiert Boris Herrmann seinen 41. Geburtstag. Hinter ihm und seinem Team Malizia liegt ein sensationeller Aufstieg, vor ihnen mit The Ocean Race und der nächsten Vendée Globe neue packende Herausforderungen

Boris Herrmann wird heute 41 Jahre alt. Während in Frankreich die finale Phase des Neubaus läuft, ist das Segel-Comeback des Vendée-Globe-Fünften in Sicht

Dein 2016 mit Pierre Casiraghi gegründetes und anfangs nur mit Direktorin Holly Cova und einer kleinen Handvoll engen Mitstreitern angetriebenes Team ist im vergangenen Jahr enorm gewachsen. Wie siehst du die Entwicklung?

Wir haben jetzt 31 festangestellte Mitglieder aus elf Nationen und viele weitere direkte und indirekte Mitarbeiter. Wir haben mit dem Yacht Club de Monaco, EFG, Zurich, Kühne+Nagel, MSC, Hapag Lloyd und Schütz starke Partner. Das Team ist jung und gesund gewachsen. Wir sind jetzt ein richtiger Rennstall mit Strukturen, Büro, Hangar, Containern und allem, was dazugehört.

  Malizias Teammanagerin Holly Cova hat großen Anteil an der Entwicklung der Kampagne. Hier nimmt sie für den zugeschalteten Boris Herrmann den Preis für Hamburgs Sportler des Jahres entgegenFoto: Tim Groothuis/Hamburger Sportgala
Malizias Teammanagerin Holly Cova hat großen Anteil an der Entwicklung der Kampagne. Hier nimmt sie für den zugeschalteten Boris Herrmann den Preis für Hamburgs Sportler des Jahres entgegen

Hätten du dir das vor zehn Jahren erträumt?

Ganz ehrlich: Mein Horizont verschiebt sich täglich. Vor einer Weile habe ich noch gedacht, wir müssen als Team schlank bleiben. Jetzt war die Verstärkung in einigen Bereichen wichtig und richtig. Das Tolle ist, dass wir bei dieser Fünf-Jahres-Kampagne Spielraum haben, wann wir wie viel Geld investieren. Die aktuelle Boots- und Aufbauphase ist intensiver. Alles geht gut voran, wir verlieren keine Zeit und sind gut aufgestellt.

  Das  versammelte Team Malizia mit vielen neuen MitgliedernFoto: Antoine Auriol
Das versammelte Team Malizia mit vielen neuen Mitgliedern

Wird sich deine Rolle im Laufe der Kampagne verändern?

Sicher. Momentan habe ich das Team, das "Big Picture" und vor allem den Bootsbau stark im Blick. Ist das Boot bereit, werde ich mich auf seine Optimierung, das Segeln, die Vorbereitungen auf die Route du Rhum, also die erste Transatlantik-Regatta im November und den Aufbau für The Ocean Race konzentrieren.

Du bist seit bald eineinhalb Jahren ohne eigenes Boot, nachdem die "Seaexplorer" im Anschluss an die Vendée Globe verkauft wurde. Wie geht es mit dem Neubau im französischen Vannes voran?

Wir liegen im Plan, wenn auch nur knapp. Wir haben nach wie vor den 19. Juli um 10 Uhr im Visier, das Boot recht segelfertig zu Wasser zu bringen. Wir haben also keine Zeit zu verlieren.

Du hast ein "radikal anderes Boot" angekündigt. Wie wird es aussehen?

Unser neues Boot wird optisch sehr viel runder aussehen, sowohl in Quer- als auch in Längsrichtung. Ein Stück weit wirkt es wie eine Banane, so rund, wie ein Kind ein Boot malen würde. Es sieht insgesamt größer und fetter aus als die "Seaexplorer". Es hat mehr Freibord, der Rumpf ist höher, das Deck größer. Es ist eher ein Traktor fürs Gelände und weniger Formel-1-Wagen, der über eine flache Piste rast.

Weil die See bei Weltumsegelungen oft stürmisch und eben nicht immer ideal glatt ist …

Genau. So ein Schiff wurde definitiv noch nie gebaut.

Wie viel Boris Herrmann steckt im neuen Boot?

Schon viel! Ich wollte ein Boot mit rundem Bug. Die Frage ist nur, wie extrem man es macht und wie viel man sich wieder ausreden lässt. Am Ende haben wir mit dem Team von Designern und Konstrukteuren in Telefonaten, Konferenzen oder mit bis zu 15 Leuten am Tisch entlang von internen und externen Studien versucht, den idealen Gesamtsatz zusammenzubrauen, und eine gemeinsame Linie gefunden. Dabei muss man ganz viele Kompromisse eingehen.

  Boris Herrmann bei einem privaten Törn auf der Elbe, hier vor der ElphiFoto: tati
Boris Herrmann bei einem privaten Törn auf der Elbe, hier vor der Elphi

Zum Beispiel?

Der große Dauer-Kompromiss besteht in der Balance zwischen dem Wunsch nach maximalem Geschwindigkeitspotenzial bei gleichzeitiger Robustheit und Allround-Fähigkeiten des Bootes in allen Bedingungen. Die Bugform ist stark von der Class 40 inspiriert. Dazu haben wir die Regeln der Imoca-Klasse zu beherzigen. Daraus entsteht ein Boot, das fürs Auge vielleicht weniger gefällig ist als die Vorgängerin. Es ist ein Boot, bei dem alles dem Zweck untergeordnet ist.

Die Berechnungen für so einen Neubau sind weitgehend theoretischer Natur, finden auf Basis gesammelter Erfahrungswerte und Annahmen am Rechner statt. Besteht auch die Gefahr falschzuliegen?

Unseren ersten aus heutiger Sicht angedachten Start bei der Regatta Défi Azimut Ende September kann man vielleicht als D-Day bezeichnen. Da werden wir sehen, ob wir richtig gearbeitet haben. Ist Romain Attanasio mit der alten "Seaexplorer" schneller als wir, dann haben wir etwas falsch gemacht. Diese Sorge hat man immer im Hinterkopf.

Die Popularität der Vendée Globe steigt weiter, der Imoca-Bootsbaumarkt boomt wie nie. In diesem Jahr entstehen sieben neue Boote, bis 2023 werden es 15 sein. Gibt es Spionage unter den Teams wie im America’s Cup?

Nein, das ist unmöglich und entspricht auch nicht dem Geist des Rennens. Die großen Teams betreiben ihre Projekte in Abgeschlossenheit und für sich. Auch die drei in Vannes, die bei der Werft Multiplast entstehen und zu denen wir gehören, arbeiten klar getrennt voneinander.

Du hast bei deiner Vendée-Globe-Premiere Meeresdaten für die wissenschaftliche Klimaforschung gesammelt. Wird auch das neue Boot wieder so ein Mini-Labor an Bord haben?

Das bewährte Labor segelt eins zu eins wieder mit. Es hat seinen Dienst sehr zuverlässig getan. Wir waren im Zeitraum der Vendée Globe der größte Datensammler weltweit und sind stolz darauf. Die Halterungen für das Labor sind schon eingebaut.

Wie groß ist deine Sehnsucht, endlich wieder eine Regatta auf eigenem Kiel zu bestreiten?

Die ist da, und ich freue mich darauf. Die erste Regatta mit dem neuen Boot wird schneller kommen, als wir jetzt noch denken …

Euer Team-Slogan "A Race we must win" bezieht sich vor allem auf den Klimakampf und eure Beiträge zum Erhalt der Gesundheit der Meere. Welche sportlichen Ziele habt ihr für die kommenden Großeinsätze?

Ich wünsche mir, dass wir unserem Potenzial gerecht werden. Wir haben eines der größten Teams und starke Partner. Da wollen wir natürlich nicht hinterhersegeln. Ich kann Erfolg aber nicht an nur einem Rennen festmachen. Wir wollen wieder die Top Fünf anpeilen, versuchen, vorn mitzusegeln. Andererseits haben alle Teams intensiv gearbeitet. Apivia und Charal haben mit 30.000 bis 35.000 Design-Arbeitsstunden fast doppelt so viel investiert wie wir mit rund 20.000. Zum Vergleich: In die Yachten im America’s Cup fließen etwa 150.000 Design-Stunden. Unsere Team-Direktorin Holly Cova hat es in Hamburg bei der Sportgala gut ausgedrückt: Wir wollen sportlich gut dabei sein, aber wir haben eine noch größere Aufgabe zu erfüllen.

  Arbeit ist immer, ob auf dem Boot oder an Land. Fotograf Andreas Lindlahr hielt diese Szene 2020 festFoto: Andreas Lindlahr
Arbeit ist immer, ob auf dem Boot oder an Land. Fotograf Andreas Lindlahr hielt diese Szene 2020 fest