BORIS BLOGHerrmanns Zwischenbilanz – “Es gab große meteorologische Brüche”

Boris Herrmann

 · 12.01.2025

Boris Herrmann reflektiert seine zweite Vendée Globe regelmäßig bei YACHT online.
Foto: YACHT/Team Malizia
Boris Herrmann beleuchtet die Vendée Globe jeden Sonntag für die Leser von YACHT online im “Boris BLog”. Dieser Beitrag entstand am 11. und 12. Dezember in Folge einer Serie von Rückschlägen und Herausforderungen für den “Malizia – Seaexplorer”-Skipper. Zum Ende von Rennwoche neun reflektiert Boris Herrmann auf Platz neun die Ereignisse, seine Leistung und das Gesamtbild bei seiner zweiten Vendée Globe – der sechsten Weltumseglung insgesamt.

Wie es mir gerade geht? Eigentlich ganz gut. Ich komme mit der Situation ganz gut klar. Man muss das Positive sehen. Es wird einem nicht langweilig hier. Es ist eine schöne Challenge. Wäre das Vendée Globe easy, wäre es nicht das Vendée Globe. Ich bin schön erschöpft von den drei Aktionen der letzten Woche. Jetzt geht es weiter!

Vendée-Globe-Platz vier war schon in Sicht…

Mal gewinnt man, mal verliert man. Ich hatte schön gewonnen, war bis auf 25 Meilen an Platz vier dran. Und dann ging es ein bisschen doll nach hinten. Da kann man sich jetzt natürlich in Mitleid und Weltschmerz ergeben, aber das versuche ich zu vermeiden. Das kostet so ein bisschen Anstrengung, weil die Gedanken sind da: Oh, Mist, jetzt habe ich 300 Meilen verloren auf Sam Goodchild, mit dem ich seit Ewigkeiten zusammen war, immer so knapp dahinter, 30 Meilen, 50 Meilen, zehn Meilen. Ich konnte ihn gut halten seit Kap Hoorn. Und jetzt ist er weg.

Es ist nicht toll, im Rennen nach hinten zu sacken. Und es ist mir auch nicht egal.” Boris Herrmann

Ich versuche aktiv das Bild zu wenden und alles Positive zu sehen, aber auch nicht die Wirklichkeit zu leugnen. Aber man braucht immer ein positives Mindset und den Blick nach vorne. Der Vergleich zu meiner ersten Vendée Globe? Die beiden Vendée Globes sind sehr unterschiedlich! Ich glaube, meine Leistung ist aktuell höher einzuschätzen als beim letzten Mal.

Auch als Projekt ist es eine größere Leistung mit dem eigenen Schiffbau, der sich so weitgehend bewährt, und einer erfolgreichen Kampagne und bisher auch einer ganz guten Platzierung. Gerade war ich noch einen Schlag weit entfernt vom vierten Platz. Jetzt mit dem neunten, zehnten Platz, dem achten vielleicht, sieht es möglicherweise auf dem Papier nicht ganz so stark aus wie beim letzten Mal, ist aber aus meiner Sicht stärker einzuschätzen.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Mit mehr mentaler Stärke bei der zweiten Vendée Globe

Ich bin bei dieser Vendée Globe mental viel besser drauf. Habe keine Probleme mit Einsamkeit, weniger Probleme mit dem Stress. Ich war schon zweimal im Mast, hatte zuletzt keine Höhenangst mehr. Insofern fühlt sich für mich das bisher Erreichte fast wie ein größerer Erfolg an.

Mehr als bei der ersten Vendée Globe, bei der das Feld nicht mit dem aktuellen vergleichbar war. Da waren nur zwei Konkurrenten, die vergleichbar stark waren: Thomas und Charlie. Alle anderen sind entweder ausgeschieden oder waren nicht ganz so stark. Und man sieht das ja auch im Feld, wo die sind, mit denen wir uns letztes Mal rumgeschlagen haben: Jean Le Cam, Giancarlo Pedote und andere liegen Tausende Meilen hinter uns.

Die Flotte hier ist wie ein Figaro-Feld.” Boris Herrmann

Jetzt haben wir hier ein Feld mit zehn Top-Leuten. Jérémie war letztes Mal auch dabei, war dann aber erstmal ausgefallen. Justine ist aktuell sehr stark, Sam Goodchild! Die Flotte hier vorne ist wie ein Figaro-Feld. Das ist viel stärker als sonst.

Zwei Rennen, zwei sehr verschiedene Erfahrungen

Deshalb ist, glaube ich, auch meine Leistung deutlich höher als beim letzten Vendée Globe: die seglerische Leistung in dieser Flotte. Wir sind auch viel schneller unterwegs. Und natürlich haben die Schiffe ganz unterschiedliche Schwächen und Stärken. Insofern würde ich die beiden Editionen gar nicht so sehr vergleichen. Es sind zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen und Rennen.

Wenn die Führenden Anfang der Woche ins Ziel kommen, haben sie eine tolle Leistung vollbracht! Es gab aber auch den Riesensplit durch diese Wettersituation. Man kann jetzt nicht die Tage direkt in Leistung umrechnen, sagen, dass sie so und so viele Prozent besser waren, weil sie so viele Tage vorher ankommen.

Thomas Ruyant segelt beispielsweise mit mir. Der ist genauso gut. Er war ganz nahe dran, Zweiter beim ersten Kap. Er hat am Ende des Indischen Ozeans vielleicht um fünf Seemeilen den Absprung verpasst, noch in dieses Wettersystem zu kommen. Und ist dann er in dieser Hochdruckbrücke hängengeblieben. Und damit ist er jetzt hier.

Zwei Drittel der Elektronik funktionieren nicht

Das gab einfach einen riesigen meteorologischen Split bei diesen Vendée Globe. Das muss man sagen. Das schmälert nicht die Leistung vorderen Leute, aber man muss es einschätzen können. Es ist nicht so, dass sie die ganze Zeit schneller segeln und wir hier irgendwie rumdaddeln und langsam sind. Es gab es eben mehrere meteorologische große Brüche bei dieser Vendée Globe.

Wie es meinem Boot aktuell geht, was fehlt? Es fehlt beispielsweise das Radar. Etwa zwei Drittel der Elektronik ist seit dem Blitzeinschlag nicht mehr da. Man kann besser sagen, was noch da ist: Ich habe einen Computer, einen Bildschirm, den zweiten Autopiloten und die zweite Instrumentenlinie mit einem Behelfswindsensor im Mast, einem Ultrasound-Windsonsor, der nicht so genau kalibriert ist. Daher weiß ich nicht so genau, wie viel Wind ich habe und woher der kommt.

Alles andere geht nicht mehr. Ich kann noch ein paar Verbraucher einschalten, den Watermaker etwa. Ich kann den Motor starten und den Kiel schwingen. Ich weiß aber nicht den Kielwinkel. Der wird nicht mehr angezeigt. Ich muss es auch manuell stoppen. Die ganzen Relais funktionieren nicht mehr. Die eine Satellitenantenne geht noch.

Die Historie des J2-Hooks

Alles andere ist hinüber. Ich sehe nicht den Foil-Rake, ich habe keine Lastmessungen. Alles, was man sich vorstellen kann, geht nicht mehr. Oscar geht noch. AIS: Da ist ja meine Antenne aus dem Mast gefallen. Da werde ich auch noch versuchen, was zu bauen. Ich habe zwar am Heck eine zweite Antenne, aber der Empfang ist nicht so toll. Die werde ich versuchen, sie irgendwie höher anzubauen.

Was die reine Bootsleistung angeht, habe ich eigentlich fast alle Leistungsfähigkeiten. Es fehlt mir ein bisschen maximales Foil-Rake an Backbord. Vielleicht ein halber Grad. Das ist etwas schmerzlich. Ansonsten habe ich alles. Mir fehlt ein Segel. Meinen kleinen Gennaker muss ich in den Doldrums noch reparieren. Eigentlich soweit alles gut.

Vielleicht noch eine etwas ausführlichere Erklärung zu unserem J2-Problem, dass ich gestern im Mast lösen konnte: In der Regel haben Imocas ein festes Stag mit einem Hauptvorsegel, das wir immer benutzen. Jeder bindet die J2 oben und unten fest. Bei der letzten Vendée Globe hatten wir viele J2-Probleme, und die Leute mussten viel klettern, hatten Mühe, aufzusteigen, es herunterzuholen und dergleichen mehr.

Die Vendée Globe ist härter als alle anderen Regatten

Ich habe dann mit Antoine Mermod (Red.: Imoca-Klassenpräsident) besprochen, dass wir einen Hook vorsehen sollten, um das Segel im Falle eines Problems herunterholen zu können. Und wir bekamen die Erlaubnis. Also haben wir vor über zwei Jahren den Hook entwickelt, mit dem wir seitdem arbeiten. Wir haben ihn intensiv getestet.

Aber nichts ist mit der Vendée Globe vergleichbar.” Boris Herrmann

Wir haben gesagt, dass wir ihn in der Vendée nur benutzen werden, wenn er sich als zuverlässig erweist. Wir hatten ihn in der letzten Saison drauf. Ich glaube, sogar beim Transat Jacques Vabre. Dort gab es keine Probleme. Aber die Vendée ist eine größere Belastung für das Boot. Und jetzt ist der Hook gebrochen. Das Stag war natürlich noch an seinem Platz. Also ist das Segel einfach am Stag runtergerutscht. Ich habe das Segel mit einem Fall wieder hochgezogen, bin dann in den Mast gestiegen und habe das Segel festgezurrt.

Theoretisch alles sehr einfach, aber ich habe irgendwie drei Stunden gebraucht, um alles zu machen, weil auf einem Boot alleine alles länger dauert. Oben im Rigg hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten, meine Laschung richtig zu machen, die richtige Höhe für das Segel zu finden. Als ich dann runterkam, merkte ich schon, oh, das Segel ist zu niedrig, also bin ich wieder hochgeklettert und fand die optimale Höhe. Job done!

Jemand sagte, ich soll mich schütteln wie ein Tier.” Boris Herrmann

Mich hat gestern jemand gefragt, wie mir die ‘Dekompression” in Folge solcher Druckaktionen wie zuletzt gelingt. Ich habe da keine Routinen. Ich habe es mit dem Team besprochen. Jemand hat mir gesagt, ich solle mich schütteln wie ein Tier. Das Zittern, wenn Überraschungen passieren. Das Beste, um das Adrenalin aus dem Körper zu bekommen, ist körperliche Aktivität, Bewegung, Laufen. Aber das kann ich auf dem Boot nicht machen. Ich habe mich einfach hingesetzt und bin ziemlich schnell eingeschlafen. Ich habe sogar ein paar Leute angerufen. Das hilft auch ein bisschen.

Herrmann heute zu Gast bei Vendée Live!

Vendée Live! Boris Herrmann wird an diesem 12. Januar ab 14.30 Uhr in der aktuellen Sendung der Vendée Globe mit Moderator Andi Robertson sprechen. Zu Gast sind auch Renndirektor Hubert Lemonnier und Projektmanager Marcus Hutchinson. Hier geht es zur Sendung.

Der Clip zur jüngsten Mast-Aktion von Boris Herrmann:

Meistgelesen in der Rubrik Regatta