BORIS BLOG“Ein paar Tage rumpelt die Kiste”

Boris Herrmann

 · 15.12.2024

Boris BLog.
Foto: Grafik/YACHT
Boris Herrmann beleuchtet die Vendée Globe jeden Sonntag für die Leser von YACHT online im “Boris BLog”. Dieser “Boris BLog” entstand am Mittag des dritten Advents zum Ende von Renntag 35. Der “Malizia – Seaexplorer”-Skipper stand dabei kurz vor seiner Rennhalbzeit und blickte einem stürmischen Wochenbeginn entgegen.

Die fünfte Rennwoche ist heute zu Ende gegangen. Wir haben sehr viele Meilen auf die Plätze vier bis neun gutgemacht. Wir sind quasi in Rufweite der Gruppe. “Malizia – Seaexplorer” war zweitschnellstes Schiff vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Leeuwin. Das ist toll! Es tut mir sehr gut, sorgt für gute Laune und hebt die Stimmung absolut.

Abschied vom Indischen Ozean

Man muss hier ehrlicherweise sagen, dass es weniger über das Boot als über das Wetterglück aussagt. Insgesamt hat das Wetter mehr das Fortkommen bestimmt als die Boote selbst. Genau wie Sam Davies und Justine Mettraux, hatte ich einfach geniale Reaching-Bedingungen.

Der Indische Ozean hat uns durchgelassen. Das war Klasse, danke, Indischer Ozean!” Boris Herrmann

Die anderen mussten vor dem Wind kreuzen. Und wir konnten einfach geradeaus segeln. Das ist ziemlich ungewöhnlich. Daher ergibt sich in diesem Fall die schnelle Zeit. Und nicht unbedingt, weil wir ein schnelles Southern-Ocean-Boot haben. Ich hatte Bedingungen, die für “Macif” ideal gewesen sind, für eine flache Reaching-Maschine. Ich hatte die ganze Zeit Reaching-Bedingungen und Medium-Winde, also nix mit Bedingungen für unser Boot.

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Heute Mittag laufen die letzten Stunden, die wir hier noch im Indischen Ozean sind. Bis zum Längengrad 147 Ost. Was die offizielle Grenze zum Pazifik ist. Auch hier: flache See, Reaching. Dazu ein grauer Himmel und leider wenige Albatrosse. Außer bei den Crozetinseln. Das war natürlich ein Fest!

Jetzt schon ein Kampf um Platz drei?

Wir sind nah an die Gruppe der Boote auf den Plätzen vier bis neun herangekommen. Das ist schon mal gut. Der Abstand schmilzt. Mit Blick auf die ersten drei finde ich es erstaunlich, wie gut sich Sébastien Simon immer noch hält. Er wird wohl ohne sein abgebrochenes Foil naturgemäß keinen Podiumsplatz schaffen können, auch wenn ich ihm das wünschen würde. Wenn wir Seb mal rausnehmen, bedeutet das nüchtern betrachtet, dass einer aus der Mittelgruppe hier Dritter wird.

Abgesehen davon hoffe ich, dass Yoann Richomme an Charlie vorbeikommt, weil es mal ganz cool wäre, einen Führungswechsel zu erleben. Hier in unserer Gruppe wäre es auch nicht schlecht, wenn sich alles mal ein bisschen durcheinanderwürfelt. Ich versuche, reinzukommen und dranzubleiben. (Redaktion: Boris Herrmann fehlten am Vormittag des dritten Advents nur noch 13 Seemeilen zu “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat auf Platz neun und rund 44 Seemeilen zu Titelverteidiger Yannick Bestaven auf “Maître Coq V”.)

Ich habe noch nie in den Bedingungen gesegelt, die wir in die nächsten Tagen vor uns haben.” Boris Herrmann

Inzwischen sind viele Augen auf den Sturm gerichtet, den wir am Montag und Dienstag erwarten. Drückt uns die Daumen! Da geht es dann richtig rund. Das wird nicht einfach. Aber wir sind da zusammen mit dieser großen Flotte. Der Wind wird jetzt graduell immer mehr. Das Tief zieht mit 30 Knoten an uns ran und über uns rüber.

Dramatisch schnelle Windzunahme

Der Wind wird stündlich zunehmen. Bis zur Ecke des Eisgates geht es noch. Dann wird es richtig dramatisch schnell mehr. Spätestens dann geht das zweite Reff rein. Und dann hämmert das von da bis etwa zum 18. Dezember. Dann rumpelt die Kiste ein paar Tage. Da werden wir bis zum Ende der Periode immer noch starkwindig vor dem Wind unterwegs sein. Etwa ab dem 19. Dezember wird der Wind wieder leichter.

Etwa bis zum Mittwoch gibt es jetzt einfach nur Reaching: 90 bis 110 Grad (Redaktion: gemeint sind die wahren Windwinkel/TWAs). 110 ist ja schon ganz schön. Aber 90 Grad und 100 Grad bei 30 bis 40 Knoten Wind – da habe ich überhaupt keine Erfahrung. Das habe ich – ehrlich gesagt – selten gemacht auf jeglichem Boot.

Zur Vorbereitung habe ich meine Sturmfock vorbereitet und mich innerlich auf ein drittes Reff eingestellt. Aber: Wo muss ich stacken? Wie stelle ich das Boot ein? Wie schnell komme ich voran? Welchen Seegang werden wir haben? Wie lange bleiben wir vor der Front? Da sind wir alle ziemlich am Schwimmen und unsicher.

Die Sturm-Vorbereitungen sind getroffen

Ich weiß auch nicht, wie es relativ zu den anderen sein wird. Ich glaube, es könnte mal wieder so aussehen: 50 Seemeilen weiter vorne könnten schon einen relativ großen Vorteil bedeuten. Möglicherweise gilt: Je weiter man vorne ist, je mehr kann man länger vor der Front bleiben. Und damit vielleicht auch das Schlimmste des starken Windes vermeiden, möglicherweise sogar komplett vor der Front bleiben.

Das würde natürlich wieder zu riesigen Distanzunterschieden führen, wenn einige vor der Front bleiben und einige von der Front überholt werden. Das müssen wir abwarten. Ich mache keine Versprechungen und nehme es, wie es kommt. Safety first!

Gut vorbereitet bin ich. Ich habe den Furler meines Sturmsegels, der J4, installiert. Der ist sonst die meiste Zeit in meiner Tasche hier unten im Schiff. Dazu muss ich die Tackleine einmausen, also mit der Mausleine reinziehen (Red.: Die Tackleine wird mit der sogenannten Maus-/Pilotleine durch die Beschläge und Führung durchgezogen) und die Furlerleine anbringen. Das Ding ist fertig. Damit kann ich das J4 setzen. Das werde ich dann auch rechtzeitig tun – bevor ich es brauche. Es kann dann gefurlt hinter der J3 stehenbleiben.

Pazifik-Sturm mit konstant über 40 Knoten

Das Sturmvorsegel J4 habe ich lange nicht mehr genutzt. Seit den ersten Tagen im Ocean Race, wo wir vor Gibraltar so viel Wind hatten. Aber das war warme Luft und nicht vergleichbar mit dem, was hier jetzt passiert. Ich gehe von konstant von über 40 Knoten aus. Mit Böen gut in die 50. Mit 90 Grad von der Seite. Das kenne ich so nicht. Da bin ich auch mal gespannt, was da für einen Seegang erzeugen wird.

Die Vorhersage liegt für eine recht kurze Periode bei etwa fünf Metern. Aber es kann auch sein, dass sich die Modelle noch ein bisschen beruhigen. Die Tendenz der letzten Tage war eine abnehmende Maximalstärke der Winde in diesem Tief. Wenn es dann ein paar Knoten weniger sind, macht das schon einen großen Unterschied.

Ich könnte nicht sicherer sein als mit diesem Boot.” Boris Herrmann

Ich fühle mich sicher. Die Hauptgefahr besteht darin, die Segel zu beschädigen. Die J3 oder das Großsegel. Die J3 ist vielleicht noch einfacher zu droppen und zu reparieren. Aber das Großsegel – wenn da was ist, dann verliert man viele Meilen. Eine Reparatur hier – vielleicht eine Latte oder ein gerissenes Leach – erfordert einen hohen Energieaufwand.

Respekt vor dem dritten Reff

Ich habe hauptsächlich Respekt davor, das dritte Reff einzulegen. Was machst du, wenn es dann schon Böen bis 50 Knoten gibt? Du kannst nicht wirklich abfallen, weil sich dann die Latten des Square-Topps unter den Wanten verhaken. Du musst dann etwa so 70 Grad am Wind bleiben, damit das da oben glatt vorbeigeht. Dann flattert aber das Leach wie verrückt. Dabei ist mir bei der letzten Vendée Globe das Leach auseinandergeflogen. Ich glaube, auch bei gut 50 Knoten Wind.

Das heißt, ich werde recht prudent sein, recht vorsichtig und relativ früh ein erstes Reff einlegen, wenn ich die ersten Dinger über 40 sehe. Da geht man dann natürlch nach dem Bauchgefühl: Wenn das Boot da schon ‚fully powered up“ segelt und durch die Gegend springt, dann vielleicht auch früher.

Herrmann und Mettraux im Härtetest?

Da fehlen mir Erfahrungswerte, weil wir einfach in den letzten Jahren keine starken Winde hatten. Beim letzten Ocean Race hatten wir keinen starken Wind im Southern Ocean. Relativ starke Reaching-Winde so wie jetzt gerade, die hatten wir schon. Aber keinen Sturm. Das ist jetzt mal wieder was zum Lernen.

Ich denke, es wird Justine und mich am meisten treffen.” Boris Herrmann

Ob den Sturm alle abbekommen? Für Dalin kann ich das nicht überblicken. Aber unsere Gruppe hier, die schon. Für mich sah es in Routings, die ich gemacht habe, so aus, dass sie vielleicht ganz vor dem Tief bleiben können. Das die den Sturm also nicht ganz so doll abkriegen, dass sie so bei 30 Knoten Wind bleiben. Ich denke, Justine und ich es sind, die es am meisten trifft. Aber wir werden sehen.

Hier geht es zum deutschsprachigen Wochenrückblick mit der Vendée Globe und der YACHT:

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