Boris BLog“Die Länge der Vendée Globe ist beängstigend – der Wahnsinn!”

Boris Herrmann

 · 17.11.2024

Der Boris BLog.
Foto: YACHT
Woche eins der 10. Vendée Globe ist Geschichte. Sie begann langsam, ging kurz und heftig in den Schleudergang über und endete mit viel Positionsgerangel beim atlantischen Segelschach auf Kurs Äquator. Im Boris BLog für die Leser der YACHT reflektiert Boris Herrmann seinen Einstieg ins zweite Solo um die Welt.

Die erste Woche der Vendée Globe liegt hinter uns. Ich bin zufrieden mit dem Boot. Alles ist bislang zuverlässig und gut. Ich war downwind wieder sehr schnell. Dann war auch taktisches Geschick in dieser Woche gefragt. Da hatte ich jetzt nicht das beste Händchen, aber das Rennen ist noch lang.

Tatsächlich ist die Länge der Vendée Globe beängstigend – der Wahnsinn! Damit muss man immer wieder mental klarkommen. Im Moment ist es immer noch ein eher virtuelles Gefühl. Ich weiß noch: Letztes Mal wurde mir die Länge zum Teil im Indischen Ozean so bewusst. Oder um Weihnachten herum. Die Vorstellung, dass ich jetzt bis Weihnachten und darüber hinaus auf dem Boot bin, ist schon manchmal etwas beeindruckend.

Der Vendée-Globe-Start in Les Sables ist ein irres Fest!” Boris Herrmann

Auch der Start war sehr beeindruckend. Ich musste gerade wieder daran denken, manche Bilder begleiten mich weiter. Die vielen deutschen Flaggen, viele „Go, Boris!“-Schilder. Danke auf diesem Weg hier an alle, die nach Les Sables gekommen sind. Danke an alle, die das Rennen verfolgen und unterstützen. Das ist schon toll zu sehen.

Vendée Globe: Angst vor dem Einsamkeitsgefühl

Schade, dass es nur ein Tag ist, an dem die Boote auslaufen. Man müsste vielleicht nächstes Mal vielleicht ein paar Pre-Races machen. Das die Leute da öfter im Hafen feiern können. Auf jeden Fall herrschte da eine irre Stimmung. Es war auch schön, mit Pierre (Red.: Team Malizias Mitgründer Pierre Casiraghi) da auf dem Vorschiff zu stehen. Was wir eigentlich gar nicht sollten. Es war schön, den Moment mit Cole (Red.: Cole Brauer) und Pierre zu teilen.

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Von mir aus könnte so eine Stimmung jeden Tag kommen. Jetzt hier draußen kämpfe ich manchmal ein bisschen mit der Angst vor dem Einsamkeitsgefühl. Ich bin ein bisschen nervös, dass es kommen könnte. Aber ehrlich gesagt, ist momentan noch alles im grünen Bereich. Es gibt auch sone und solche Tage. Heute fällt es mir ein bisschen schwerer. Die Stimmung ist auch immer daran gekoppelt, wie ich im Rennen liege. Heute ja nicht so toll. Ich habe mich etwas zu weit nach Süden manövriert und es läuft nicht so super hier. Ich dümpel gerade in sehr wenig Wind so dahin.

Sind eigentlich Stürme oder Flauten stressiger? Flauten sind dann stressig, wenn der Wind unter vier Knoten geht. Wenn sich das Boot anfängt im Kreis zu drehen. Vor allem bei Seegang. Das ist das Unangenehmste. Wobei Sturm natürlich auch irgendwo nach oben eine Grenze hat, wo es dann nicht mehr schön ist. Ich sage mal: Lieber 30, 35 Knoten Wind als unter vier Knoten.

Damals “schwuppdiwupp” auf der Südhalbkugel

Ich habe seit dem Start noch nicht so viel über die Unterschiede zwischen meiner ersten und der zweiten Vendée Globe nachgedacht. Diese Gedanken habe ich mir eher vorher viel gemacht. Aktuell fallen die Unterschiede in den Wetterbedingungen auf. Letztes Mal war das Wetterszenario normaler mit dem Passatwind am Anfang.

Es ist also mehr so, dass man vielleicht einzelne Phasen vergleicht. Damals sind wir mit dem Passatwind schnell nach Süden runtergebrettert. Wir waren recht zügig am Äquator und schwuppdiwupp auf der Südhalbkugel.

Redaktion: Den Vendée-Globe-Rekord von Les Sables-d’Olonne zum Äquator hält Alex Thomson seit 2016 mit 9 Tagen und 7 Stunden. Bei der letzten Vendée Globe war auch Alex Thomson auf “Hugo Boss” nach 9 Tagen und 23 Stunden als Erster am Äquator.

Rückblickend gesehen ging es schneller als wir jetzt hier gerade unterwegs sind. Es war aber auch deutlich härter. Wir werden dann sicher auch die anderen Phasen Schritt für Schritt vergleichen. Grundsätzlich liegen die Unterschiede zwischen meiner ersten und dieser Vendée Globe sicher darin, dass ich mehr Erfahrung und ein Schiff mit viel mehr Platz habe. Ein Schiff, dass Downwind viel schneller segelt. Das fühlt sich schon gut an. Besser!

Die Enormität der Vendée Globe

Ich bin darauf angesprochen worden, dass ich mich vor dem Rennen eine Weile zurückgezogen hatte. Die Fokussierung war auf einmal nötig geworden. Das hatte ich so nicht vorhergesehen. Aber auf einmal habe ich gemerkt: Oh, jetzt kommt die Vendée Globe wirklich! Es ist nicht mehr nur so ein Spruch. Dieses Rennen ist doch wirklich etwas ganz anderes, als in eine Ocean-Race-Etappe oder in ein Transat zu starten. Die Transats hatte ich fast ein bisschen routinemäßig behandelt, bin da vielleicht sogar morgens vor einem Start noch einkaufen gegangen.

Es ist auch gut zu sehen, was das für ein großer mentaler Unterschied ist. Erstaunlich! Die Vendée Globe ist einfach verdammt lang, so ein großes Ding! Das ist mir dann auf einmal wie ein Stein aufs Herz gefallen. Oder wie Schuppen von den Augen. Auf einmal, zack, merkte ich, oh, das ist jetzt aber nicht business as usual. Jetzt kommt das ganz große Ding. Da muss ich mich jetzt wirklich einmal zurückziehen, besinnen und drauf vorbereiten.

Unser Team Malizia ist eine richtig eingeschweißte Gruppe.” Boris Herrmann

Gut ist, dass ich mich zu 100 Prozent auf mein Team und mein Boot verlassen kann, weil beide einfach eine super Arbeit leisten. Das Team ist ein bisschen unsere Familie, unsere Freundesclique, aber natürlich auch unsere Firma. Die machen alle einen super Job mit den verschiedenen Projekten, die wir inzwischen haben. Wir bauen unsere neue Malizia 4 und auch ein Schwesterschiff für Armel Tripon. Da ist schon eine ganze Menge los. Es ist eine schöne Lebensuafgabe, mit denen zusammenzuarbeiten und da mitzumachen.

Im laufenden Renngeschehen fühlt sich doof an, dass Maxime Sorel hat aufgeben müssen. Ich weiß nicht genau, warum er sich den Fuß verknackst hat und wie schlimm es war. Wenn jemand so früh aufgeben muss, ist es schwierig, sich da hineinzuversetzen. Nehmen wir an, man müsste in Australien aufgeben. Dann würde ich mein Boot auf eigenem Kiel und mit Mannschaft zurückbringen wollen, weil das eine besondere Bedeutung hat.

Es müsste dann nicht unbedingt einhand weitergehen, wenn ich eh außerhalb des Rennens wäre. Das wäre so ein bisschen mein Gedanke. Aktuell ist mein Motto hier draußen allerdings ein ganz anderes: Dranbleiben, ‘no way back’ beziehungsweise ‘burn the bridges’. Wir sind hier im Rennen und es gibt keine Gedanken ans Aufgeben.

Verkehrte Welt bei der Vendée Globe

Dabei beschäftigt mich das Ranking gerade nicht so sehr, weil es durch die spezielle Wettersituation ziemlich verdreht ist. Weil wir nicht auf einer geraden Linie nach Süden segeln. Das kommt erst in zwei, drei Tagen wieder. Bis dahin versuche ich es jetzt einfach zu genießen, wenn das Boot schön geradeaus in Rauschefahrt kommt. Also ich habe gerade neun Knoten. Da fährt das Boot langsamer. Aber wenn 13, 14 Knoten kommen, dann kommen wir schon aufs Foil. Dann fährt es schön los. Und die Momente versuche ich einfach zu genießen.

Jean Le Cams Wettersituation im Osten habe ich nicht so genau studiert. Deswegen kann ich sie auch nicht genau einschätzen. Aber ein Jean Le Cam macht ja nichts aus Schwachsinn oder Prinzip. Der ist ein super Segler! Der wird die Risiken der Option dort genau durchdacht haben.

Was ich – außer Schlaf – hier draußen am meisten vermisse? Die Antwort ist einfach: Ich vermisse es, mit anderen Leuten zusammenzusitzen und zu quatschen. Ich bin doch immer gerne unter Leuten. Im Proviantbereich sieht es an Bord aber gut aus: Ich habe noch etwas Brot und Eier, war aber zuletzt mit normalem Standard-Essen zufrieden. Heute hatte ich ein super Müsli mit Joghurt von einer Marke, die ich vorher noch nicht hatte: Trail Organic Food aus Dänemark mit Haferflocken, Honig, Kürbiskernen, Sonnenblumenöl. Dazu noch ein kleines Fläschchen O-Saft.


Boris Herrmanns Morgengruß an diesem zweiten Sonntag der 10. Vendée Globe:

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