Boris BLog“Der Dezember ist die eigentliche Vendée Globe”

Boris Herrmann

 · 01.12.2024

Boris Herrmann schreibt regelmäßig im Boris BLog über seine zweite Vendée Globe.
Foto: Montage/YACHT
Boris Herrmann beleuchtet die Vendée Globe jeden Sonntag für die Leser von YACHT online im “Boris BLog”. Heute geht es um seine Positionierung im Rennen, den Umgang damit, die Aussichten, silbrige Stimmung am 1. Advent und eine Bestandsaufnahme am Ende von Rennwoche drei der Vendée Globe. Boris Herrmann ist zuletzt wieder auf Platz elf vorgerückt. Dieser “Boris BLog” entstand am Morgen des 1. Dezember gegen Ende von Renntag 21.

Liebe Grüße aus dem Südatlantik und einen schönen 1. Advent! Es ist wieder so eine silbrige Wetterstimmung hier draußen. Ich habe eine kleine Durftkerze im Gläschen mit Deckel dabei. Die kann ich anmachen. Und ich habe zur Vendée Globe einen Adventskalender von meiner Frau Birte, den werde ich gleich mal rausholen.

“Hinter mir liegt keine einfache Woche”

Für mich hat der 1. Advent eine besondere Bedeutung, weil damit der Dezember begonnen hat. Der Dezember ist die eigentliche Vendée Globe. Ich hoffe, am 30. Dezember oder 1. Januar Kap Hoorn zu runden. Vier Wochen stehen jetzt Southern Ocean, in antarktischen Gefilden, im Südmeer an. Das liegt jetzt vor mir. Noch ein Tag und ein paar Stunden sind es für mich bis zum Kap der Guten Hoffnung. Dann sind wir im Indischen Ozean, dann im Pazifik. Ich hoffe, diesen Monat zwei Ozeane zu kreuzen.

Hinter mir liegt keine einfache Woche. Hätte ich etwas anders machen können oder sollen? Ich sehe keine massiven Fehler. Ich hatte einfach diesen Rückstand am Äquator, der zu viel war, um in dem System der vorderen Boote mitzufahren. Man sieht es ganz proportional: Je weiter hinten, desto mehr Meilen verloren – proportional auf die Führung. Selbst 50 Meilen Differenz machten einen großen Unterschied. Man sieht es an Sam Davies.

Der schwärzeste Tag

Insofern war seit einer guten Woche vorherzusehen, was hier passiert. Das schockt mich nicht. Das war jetzt so. Das habe ich inhaltlich verarbeitet. Die Verluste sind im Nordatlantik in dieser Flautenphase entstanden. Da bin ich nicht gut mitgekommen. Ich habe dann am Äquator ein kleines bisschen wieder aufgeholt, aber das war nicht genug.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Ob ich zwischendurch auch mal den Himmel angeschrien oder geheult habe? Beides habe ich in der letzten VG gemacht. Nicht den Himmel angeschrien, sondern einfach so zum Himmel gerufen. Geheult habe ich bei der letzten Vendée Globe ein paar Male. Das sieht man in der Doku „Sturmfahrt“ von der Ufa.

Bisher geht es mir eigentlich ganz gut. Der Tag, an dem ich letzte Woche mal im Video gesagt habe, dass ich gerne mal heulen würde, das war der schwärzeste Tag. Weil sich da mein Rückstand mit der Halse nach Süden durch die Front materialisiert hat. Und die anderen düsten weiter. Das war plus Rumeiern in der totalen Flaute kein leichter Tag.

Ich bin nicht euphorisch hier draußen. Das wäre ich sicherlich, wenn ich im Frontpack wäre.” Boris Herrmann

Die Stimmung hängt natürlich schon auch von der Platzierung ab. Ich bin sehr meditativ. Spirituell versuche ich, mich einzustimmen, mich einzustellen. Meine Challenge ist, trotz aller Umstände zu lernen, jeden Tag präsent zu sein. Es nicht als negativ zu sehen. Das Besondere zu sehen und wahrzunehmen, was hier passiert: Ich bin in einem besonderen Abenteuer des Lebens. Das macht man nicht alle Tage.

Die separierte Vendée-Globe-Flotte

Ich versuche, mich nicht runterziehen zu lassen wegen einer Positionierung, an der ich im Moment wenig ändern kann. Und an der ich auch keine Schuld empfinde, sondern: Ich habe mein Bestes gegeben und hatte ein bisschen Pech. Und es hat sich dann so entwickelt. Man denke an das Transat New York Vendée, wo die ganzen guten Leute bis auf Charlie hinter dieser Front hängengeblieben sind und ich dann Tausende Meilen Vorsprung hatte.

Ich versuche, stark und positiv zu sein.” Boris Herrmann

Solche separierenden Wettersituationen kann es geben. Diese hier ist eine drastische gewesen. Mehr noch als bei der letzten Vendée Globe. Da haben wir dieses Tief deutlich 1000 Meilen vor Kapstadt verloren und Thomas hatte dann auch sein Foil-Problem. Es bleibt abzuwarten, was passiert. Ich versuche, an meiner Stimmung zu arbeiten, stark und positiv zu sein. Ich glaube, das kriege ich ganz gut hin. Ein bisschen Wehmut und ein bisschen Trauer schwingen manchmal mit. Das hängt davon ab, woran ich gerade denke.

Kap Hoorn zu Silvester oder Neujahr?

Wichtig ist einfach zu lernen, mein eigenes Rennen, meine Vendée Globe zu segeln. Was kommt jetzt? Die Routings zum Kap der Guten Hoffnung sagen: etwa ein Tag und paar Stunden. Wird das Kap der Guten Hoffnung mein Programm sein? Klar! Es heißt ja nicht das Kap der Hoffnung, sondern das Kap der Guten Hoffnung! Ich habe tatsächlich gute Hoffnung, am 30. Dezember oder am 1. Januar Kap Hoorn zu runden. Das ist meine große persönliche Challenge. Da bin ich dann sehr stolz und freue mich, es zu schaffen. Bis dahin liegt noch viel vor mir.

Die kommenden Tage geht es flott voran. Ein GFS-Routing gestern hatte mich an Kap Leeuwin eineinhalb Tage hinter den Führenden. Also 700 Meilen, genau genommen. Was ein Vorteil wäre zu jetzt. Jetzt ist der Abstand größer. Das akuelle Wetter hier ist gräulich. In der Flaute hatte ich schöne Quecksilberfarben, das sah richtig toll aus. Die Wassertemperatur beträgt aktuell 17 Grad, die Lufttemperatur nachts 16 Grad. Im Schiff ist es relativ warm, zum Teil reicht ein T-Shirt, weil hier in der Kajüte so ein Greenhouse-Effekt ist.

Ich glaube, ich könnte es nicht so gut wegstecken, negative Kommentare zu lesen. Vor allem nicht in der Flaute.” Boris Herrmann

Es gibt weiterhin insgesamt auffallend wenig technische Probleme in der Flotte, weil wir eben auch wenig Wind hatten bisher. Wir hatten nicht die harte Biskaya und nicht den harten Atlantik, die man sonst immer hat. Aber Malizia ist super vorbereitet. Von hier sind keine technischen Probleme zu vermelden. Die Aufmunterung der Fans sind in meiner aktuellen Situation klasse! Negative Kritik bekomme ich nicht mit. Ich sehe die Fan-Kommentare, die mir geschickt werden.

Fette Manöver und ein schöner Linksdreher

Ich bin ganz okay drauf. Ich fahre vor dem Wind des nächsten Tiefs her. Nach Norden fahre ich dem abziehenden Hochdruckgebiet hinterher, habe deswegen recht flache See. Ich pushe daher mit dem großen Gennaker in einer etwas höheren Range als sonst. Eben hatten wir mal kurz 24 Knoten. Aber es ging vor einer Stunde auch mal auf 17 Knoten runter. Das beobachte ich jetzt mal.

Die nächste Aktion wird sein: der Wechsel vom großen Gennaker auf das J0. Das ist so das fetteste Manöver überhaupt. Den großen Gennaker einzurollen, ist ein langer Grind. Den in den blöden Sack zu packen auch. Der Wind ist ein bisschen shiftiger. Da hatte ich einen schönen Linksdreher, 280, das war super. Dann mache ich schön VMG nach Südosten.

Jetzt geht es wieder ein bisschen nach rechts, auf 300, 303. Da sieht es dann auf dem Tracker nicht mehr ganz so schön aus. Aber ich versetze mich jetzt hier ein paar Stunden nach Süden. Vielleicht vier Stunden oder so. Wo die beiden Mädels (Red.: gemeint sind Justine Mettraux und Clarisse Crémer) auch langdüsen.

Echte und AIS-Begegnungen auf See

Das ist ein bisschen günstiger, da ist der Wind etwas mehr rechts, glaube ich. Um dann auf Backbordbug einen etwas günstigerer Winkel weiter nach Nordosten zu fahren, wo wir Ende des Tages oder in der Nacht halsen und dann eine ganze Weile weiter nach Südosten auf Steuerbordbug fahren. Wahrscheinlich mit J0 noch bis zum Kap der Guten Hoffnung.

Gerade ging der AIS-Alarm los. Justine passiert knapp vor mir. Sie ist auf Backbordbug. Mal sehen, ob sie auch nochmal nach Süden halst. Ich glaube eher nicht. Wir haben hier ja super Wind. Aber ich werde noch ein bisschen weiterfahren. Ich würde gerne in ihrer Nähe bleiben, um so einen Matchpunkt zu haben, eine Match-Referenz.

Es war ganz cool, die letzten zwei Tage, Justine in der Nähe zu haben. Zum Teil dann auch am AIS. In der Flaute konnte ich sie mit den Augen sehen, aber nicht mit dem AIS. Ihr AIS ist recht schwach, reicht nur so drei, vier Meilen. Clarisse kann ich 15 Meilen sehen. Da sind große Unterschiede.

1. Advent im Südatlantik – der aktuelle Sonntags-Clip von Boris Herrmann:

Diesen Werbe-Clip hat Ausrüster Musto gerade veröffentlicht. Zu Wort kommen zum Thema Bekleidung für die ultimative Solo-Herausforderung viele der aktuellen Top-Segler der Flotte. Zu sehen und zu hören sind Boris Herrmann, Justine Mettraux, Charlie Dalin, Sam Davies, Clarisse Crémer, Jérémie Beyou, Louis Burton, Damien Seguin, Benjamin Dutreux, Tanguy Le Turquais, Violette Dorange und starke Segelszenen:

Meistgelesen in der Rubrik Regatta