Boris BLog“Das Worst-Case-Szenario für unser Leistungsprofil”

Boris Herrmann

 · 24.11.2024

Boris Herrmann reflektiert sein Rennen jede Woche exklusiv bei der YACHT im "Boris BLog".
Foto: YACHT
Woche zwei der zehnten Vendée Globe geht heute zu Ende. Boris Herrmann hat einen schweren Rückschlag zu verkraften. Er kann den “Express” zum Kap der Guten Hoffnung nach seiner Einschätzung nicht mehr erreichen. In seiner Ziwschenbilanz befassst er sich mit dem aktuellen Szenario und den Folgen. Dabei helfen ihm seine innere Ruhe – und der eigene Traum.

Ich fasse einfach einmal die vielen Fragen zu dem Tief zusammen: Ich habe jetzt mehr als 200 Seemeilen Rückstand. Ich hatte weniger Wind als die vor mir liegenden Boote. In der Folge war mein Schnitt im Vergleich zu den vor mir liegenden Booten in den vergangenen Tagen immer langsamer. Mein Rückstand führt dazu, dass ich das Tief am Dienstagabend, Mittwoch, Donnerstag verpasse.

Der Kaptstadt-Express fährt wohl ohne Herrmann ab

Die vorderen Boote werden mit dem Tief bis Kapstadt rauschen. Ich werde in einem System dahinter in Kapstadt ankommen. Mein Rückstand hat sich bis dahin vielleicht verzehnfacht. Das können leicht 500 bis 1200 Seemeilen Rückstand werden. Also so um die 1000, würde ich schätzen. Auch auf Justine und Paul (Red.: Justine Mettraux und Paul Meilhat), an die ich gerne Anschluss gefunden hätte, was ich aber im Moment nicht hinkriege, hätte ich dann einen guten ganzen Tag Rückstand.

Das Tief, das ich bekommen kann, ist recht leichtwindig. Es wird mir keinen Vorteil gegenüber der Konkurrenz bringen. Das ist etwas niederschmetternd im Moment, aber mein Gemütszustand ist trotzdem gut. Ich glaube, es wird im Indischen Ozean Aufholchancen geben. Vorher nicht. Die Leute vor mir sind alles Top-Athleten. Es sind alles sehr gut vorbereitete Teams mit einer unglaublichen Leistungsdichte. Chapeau vor den Leuten, großer Respekt!

Ich tue alles was ich kann, ich segel so gut wie ich kann. Ich habe auch kein grundsätzliches Speedproblem. Die haben einfach einen irren Lauf – und dahinter ist weniger Wind. Die kommen halt immer zuerst in den stärkeren Wind. Die ganze Sache läuft für die ein bisschen runder. Mit dem Tief werden die jetzt abdüsen. Also: Das sieht nicht gut aus.

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Man ist nie sicher vor guten Überraschungen.” Boris Herrmann

Wenn wir dann aber raue Bedingungen im Indischen und Pazifischen Ozean haben, hoffe ich trotzdem, den einen oder anderen wieder einholen zu können. Aber ich glaube, dass dieser Rückstand jetzt insgesamt rennentscheidend ist, insofern, dass ich bis Kapstadt nicht mehr zur Führungsspitze werde aufschließen können. Einfach, weil ich ein System hintendran bin. Aber das Rennen ist lang und es gibt viele Überraschungen. Man ist nie sicher vor guten Überraschungen!

Ungewöhnlicher Vendée-Globe-Auftakt

Die zweite Rennwoche geht heute zu Ende. Es ist ungewöhnlich, dass wir bislang keine Aufgabe aus technischen Gründen hatten. Maxime Sorels Aufgabe wegen seines Knöchels ist ein Sonderfall. Auf der anderen Seite hatten wir aber auch noch keinen Wind. Wir hatten bisher im Durchschnitt selten mehr als 15 Knoten Wind. Am Kap Finistère gab es einmal stärkeren Wind. Da bin ich gleich durch die ganze Flotte durchgeprescht.

Mit unserem 4-Wheel-Drive haben wir einfach in diesen flachen Atlantik-Bedingungen nicht so viel zu melden.” Boris Herrmann

Es herrscht also so ein bisschen ein Worst-Case-Szenario für unser Leistungsprofil mit unseren Schiff hier. Aber mal abgesehen davon: Wenn ich neben anderen Konkurrenten war, konnte ich mich gut halten oder sogar was gewinnen Ich konnte mit Justine gut konkurrieren, die sich jetzt vorne gut mithält.

Es ist eher so, dass ich mich in der letzten Woche in der Flautenzone verheddert habe. Dort wo wir versucht haben, mit mehreren Halsen nach Südwesten zu kommen. Da hatte ich kein glückliches Händchen. Die anderen sind einfach außen um mich herum gesegelt. Ich bin direkt mit Justine da reingesegelt. Und sie ist mit 50 Meilen vor mir rausgekommen.

Zwei schwarze Nächte und ein Tag waren fatal

Dann sind die vor mir liegenden Boote gut durch die Doldrums gekommen. Sie haben als erste den stärkeren Südostpassat bekommen und ihren Vorsprung ausgebaut. Im Prinzip ein ziemlich einfacher Ablauf des Rennens: Zwei Nächte und ein Tag waren es wirklich, die mir das Genick gebrochen haben – so könnte man es nennen, wenn man es etwas übertreibt. Also, die mir diesen Rückstand eingebrockt haben. Seitdem hält es sich ja einigermaßen stabil.

Natürlich wäre ich jetzt viel lieber neben zwei Schiffen, die ich auf dem AIS sehen und mit denen ich matchen könnte. Und mit denen ich auch sehen könnte: Okay, die haben den gleichen Wind, ich brauche mir keine Gedanken machen, dass ich irgendwie weniger Wind hätte als die anderen. Das ist immer entspannter.

Das ist jetzt hier nicht so die Traumsituation.” Boris Herrmann

Mein Gemütszustand, der sich in den Videos zeigt, der ist tatsächlich so. Ich bin gut drauf. Ich lasse mich nicht beeindrucken. Mein Motto ist im Moment: Ich bin hier, ich lebe auch einen Traum: meinen Traum, mein eigenes Rennen. Ich mache es so gut ich kann. Wir sehen am Ende, was dabei herauskommt.

Vendée Globe: “Was ist da los?”

Wie ich mit allem umgehe und woran ich Freude habe? Ich finde eine innere Ruhe, sehe die tollen Sterne nachts, die blaue See. Das Boot läuft gut im Moment, es ist einfach schönes easy Reaching. Es macht mir auch Freude, im Gespräch mit Freunden und Familie eine tolle Videokonferenzqualität zu haben. Und ich habe jetzt ein paar Male gut geschlafen. Ich schätze, ich kommen in 24 Stunden auf vier bis fünf Stunden Schlaf.

Aber oft ist es nur halbe Stunde am Stück und man wacht wieder auf, weil irgend etwas piept, weil vielleicht das Boot langsamer wird, so wie jetzt gerade, während wir sprechen. Eben fuhren wir 16 Knoten, jetzt nur zehn Knoten. Dann wacht man natürlich auf, steht auf und guckt nach: Was ist da los?

“Bitte einen Schneeball in mein Gesicht!” – Boris Herrmanns jüngster Clip mit Abkühlungswunsch vom Abend des 23. November:

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