Tatjana Pokorny
· 21.10.2023
Erst berichtete die französische Tageszeitung “Le Parisien”, dann die renommierte Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP): Der französische Seglerverband FFVoile hat Kevin Escoffier infolge einer Anhörung am 9. Oktober nun am 20. Oktober für 18 Monate gesperrt. Dazu wurde eine fünfjährige Lizenzsperre auf Bewährung ausgesprochen. Für zehn Jahre ist Kevin Escoffier zudem nicht in offizielle Gremien des Verbandes wählbar.
Das Urteil der Disziplinarkommission folgt einer Anhörung am 9. Oktober und einer monatelangen vor und hinter den Kulissen geführten Diskussion. Vor allem um das, was sich beim Ocean-Race-Zwischenstopp in einer Bar in Newport ereignet haben soll. Escoffier wurden für diesen und später auch andere Fälle “unangemessenes Verhalten gegenüber Frauen” und “sexuelle Übergriffe” vorgeworfen. Seinen Posten als “Holcim – PRB”-Skipper hatte er einen Tag vor dem Hafenrennen im dänischen Aarhus am Abend des 3. Juni geräumt.
In einem Post, den er später wieder löschte, ließ Kevin Escoffier damals kurz wissen: “Ich habe entschieden, bis zum Ende dieser Auflage des Ocean Race von meinen Pflichten als Skipper zurückzutreten. Ich trete infolge eines angeblichen Vorfalls zurück.” Hier berichtete die YACHT damals zuerst über den Fall. Konkret, das wurde bald klar, ging es um den Vorwurf eines Fehlverhaltens gegenüber einer Mitarbeiterin seines Teams am Abend des 15. Mai bei einer Feier im The Fastnet Pub in Newport.
Während die Ocean-Race-Flotte am 21. Mai in ihre fünfte Etappe startete, die das US-Team 11th Hour Racing vor Kevin Escoffiers Team Holcim – PRB gewann, nahmen Gerede, Diskussionen und Aufregung um den Newport-Vorfall an Land beständig zu. Ohne Bezug auf die Hintergründe stellte Team Holcim – PRB nach dem Rücktritt Escoffiers in Aarhus eine neue Crew für Etappe sechs unter Führung von Benjamin Schwartz vor. Kevin Escoffier rückte ungenannt ins Abseits.
Bald darauf sorgte das Eingreifen des FFVoile-Präsidenten für neue Bewegung im Fall Escoffier. Jean-Luc Denécheau wollte nach den verschiedenen Statements genauer wissen, was passiert war. Gegenüber der Tageszeitung “Le Télégramme” sagte Denécheau: “Die Dissonanz hat mich herausgefordert. Ich habe ein paar Anrufe getätigt, die mich sehr schnell erkennen ließen, dass es sich bei dem von Kevin erwähnten ‘angeblichen Vorfall’ um ein unangemessenes Verhalten gegenüber einer jungen Frau während eines Zwischenstopps in Newport gehandelt hat.”
Auf Basis der erhaltenen Informationen aus für ihn “zuverlässigen Quellen” brachte Denécheau den Fall vor eine Untersuchungskommission des Verbandes und erstattete auch dem französischen Sportministerium Bericht. Die Untersuchungskommission hat nun ihr Urteil gefällt. Dazu beigetragen hat auch die Zeugenaussage der beim Vorfall in Newport betroffenen jungen Frau, die dem Verband im Rahmen des Verfahrens übermittelt wurde.
Gegen das Urteil will Kevin Escoffier laut eines Statements seiner Anwältin Virginie Le Roy gegenüber der AFP vorgehen. Er bestreite, so die Anwältin gegenüber AFP, die Anschuldigungen “aufs Schärfste” und werde gegen die Sperre Berufung einlegen in der Erwartung, “vollständig entlastet” zu werden. Eigene Kommentare gab Kevin Escoffier zunächst nicht ab.
Sein früheres Team Holcim – PRB hat sich inzwischen längst neu orientiert. Ex-Malizianer Nico Lunven segelt seiner Premiere als Vendée-Globe-Skipper für die Eidgenossen entgegen. Rosalin Kuiper ist designierte Skipperin für Team Holcim – PRBs geplante Teilnahme am Ocean Race Europe. Mit dieser Besetzung und fast komplett neuem Team wollen die Schweizer das Kapitel Escoffier möglichst sympathisch und erfolgreich hinter sich lassen.
Kevin Escoffier indessen muss sich weiter damit auseinandersetzen, wie sein Weg in die Zukunft aussehen kann. Dabei hat er es mit zwei Lagern zu tun: Die einen verdammen ihn als übergriffigen, nicht tragbaren Sportler, an dem im notwendigen Kampf gegen sexuelle Übergriffe in Sport und Gesellschaft ein Exempel statuiert werden muss. Es ist ohne Zweifel ein wichtiger Kampf. Die FFVoile hat ihr breit angelegtes Engagement gegen “Gewalt im Sport” auf der Homepage als direkt anklickbares Thema hinterlegt. Ausführlich wird auf mehreren Seiten erklärt, wohin sich Betroffene wenden können.
Andere schätzen aber weiterhin Kevin Escoffiers Expertise – und auch den Menschen jenseits seines nun verurteilten und geahndeten Fehlverhaltens. Ocean-Race-Rekordteilnehmerin Abby Ehler, Teamkameradin von Kevin Escoffier im Ocean Race bis zu seinem Aus, hatte zum Ende des Mannschaftsrennens um die Welt und vor dem jetzt gefallenen Urteil auf Bitte um einen Kommentar zu ihrem umstrittenen Ex-Skipper den folgenden Kommentar geschrieben:
“Ich traf Kevin zum ersten Mal im November 2022, kurz vor der Rücküberführung von Guadeloupe zurück in Alicante, und trat dem Team im Dezember bei. Ich dachte, dass Kevin als Solosegler einen überwiegend autokratischen Führungsstil haben würde, da er das Boot so gut kennt, aber das Gegenteil ist der Fall: Er schafft eine sehr offene und ermutigende Atmosphäre.
In den mehr als 45 Tagen, die ich mit Kevin und seinem Team auf See verbracht habe – meist unter beschwerlichen und körperlich sehr anstrengenden Bedingungen – haben wir uns gegenseitig mit dem größten Respekt behandelt” Abby Ehler
Seine Energie und Leidenschaft für diesen Sport und die Kampagne sind ansteckend. Tatsächlich habe ich noch nie jemanden getroffen, der so viel Energie hat wie Kevin. Da hätte ‘Sonic the Hedgehog’ ein bisschen Mühe mitzuhalten. Kevin ist an Bord zu 100 Prozent bei der Sache, egal ob er ein Segel schleift, stapelt oder sich die Zähne putzt - eine Eigenschaft, die sehr gut zum Hochseesegeln passt, sowohl mit einem Team als auch allein.
In den mehr als 45 Tagen, die ich mit Kevin und seinem Team auf See verbracht habe – meist unter beschwerlichen, körperlich sehr anstrengenden Bedingungen – haben wir uns gegenseitig mit größtem Respekt behandelt und uns bei Bedarf gegenseitig Privatsphäre gewährt (was manchmal schwierig ist, wenn man in einem Schuhkarton lebt). Kevin hat mich auf positive Weise herausgefordert zu lernen, zu wachsen und mich als Seglerin zu verbessern. Ich bin unendlich dankbar für diese Gelegenheit, in die Imoca-Klasse einzusteigen, und freue mich sehr darauf, in Zukunft wieder mit ihm zu segeln.”
Kann es im Widerspruch der Extreme einen Weg für den tief gefallenen Helden zu Rückkehr und Versöhnung geben? Der Bretone war in den vergangenen Wochen mehrfach als Coach in Imoca-Kreisen im Einsatz. Inhaltlich wird seine Arbeit hoch geschätzt. Doch wird er in absehbarer Zeit kaum damit rechnen können, die Gunst neuer Sponsoren für eigene Projekte gewinnen zu können.
Mit dem geplatzten Traum von der Teilnahme an der kommenden Vendée Globe, dem Verlust der einst begeisterten Partner, dem ramponierten Image und dem Urteil der FFVoile hat Kevin Escoffier beruflich schwer an den Folgen seines behaupteten Verhaltens zu tragen. In diesem Ausmaß verdient oder nicht: Das angestrebte Berufungsverfahren gegen die Disziplinarstrafen der FFVoile bleibt abzuwarten.