Es ist, wie so oft, kompliziert. Mehrere Hundert Seiten umfassen die Akten von Anklage, Verteidigung, die Urteilsbegründungen, Zeugenaussagen und Medienberichte, die das Verfahren um einen „mutmaßlichen Vorfall“ während des Etappenstopps in Newport im Rahmen von The Ocean Race beschreiben. Sie zeichnen ein widersprüchliches, teils verzerrtes und in Summe ein zutiefst verstörendes Bild, bei dem Annahmen und Meinungen oft schwerer wiegen als Fakten.
Was inzwischen als gesichert gilt, zeigt, wie sich Verbandsfunktionäre in der selbst gewählten Rolle von Aufklärern verstolpern, die sich von gut gemeinten Absichten haben leiten lassen, dabei aber essenzielle Rechtsprinzipien missachteten. Wie der Schweizer Baustoffkonzern Holcim – PRB aus Furcht vor öffentlichem Ansehensverlust lediglich auf Verdacht seinen Skipper ins Aus und in den wirtschaftlichen Ruin drängte. Wie einzelne Medien ohne Kenntnis der Hintergründe und unter Missachtung entlastender Aussagen Stimmung machen. Und wie der Fall in Teilen der französischen und internationalen Hochseesegelszene instrumentalisiert wurde, lange bevor das Disziplinar-Komitee des Seglerverbands sein erstes – und wie sich inzwischen herausstellte grob falsches – Urteil gesprochen hatte.
Die sogenannte Affäre Escoffier nahm im Mai vorigen Jahres ihren Lauf. Damals soll der bis zu diesem Zeitpunkt überlegene Skipper von The Ocean Race, den selbst ein Mastbruch auf der vierten Etappe von Itajaí nach Newport nicht die Führung kostete, die Mitarbeiterin einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit in einer Bar unangemessen berührt haben. Erst jetzt, zehn Monate später, steht fest, dass der französische Seglerverband, die Féderation Française de Voile (FFVoile), den Fall nicht mit der nötigen Klarheit, Unvoreingenommenheit und nach geltenden Rechtsprinzipien behandelt hat.
Diese Feststellung traf eine Schlichtungskommission des Nationalen Olympischen Komitees Frankreichs (Comité National Olympique et Sportif Français, kurz CNOSF) vor zehn Tagen. Kevin Escoffiers Anwältin hatte die übergeordnete Instanz am 31. Januar angerufen, um das Urteil des Seglerverbands anzufechten und die Sperren gegen ihren Mandaten aufzuheben.
Diesem war ein 18-monatiges Verbot der Teilnahme an Sportveranstaltungen der FFVoile auferlegt worden, ferner ein fünfjähriger Lizenzentzug, was einem Berufsverbot gleichkommt, sowie eine Sperre für alle Führungsgremien des Verbandes.
Die Sanktionen sah Bernard Foucher, der Vorsitzende der Schlichtungskommission, freilich für nicht hinreichend begründet an. In seinem Urteil vom 15. März empfahl er der FFVoile, die Entscheidungen aufzuheben und sämtliche Sperren fallen zu lassen, weil sie vor Gericht nicht Bestand hätten.
Foucher erkannte in der Arbeit der Disziplinarkommission sowie des Berufungsrates des Seglerverbands schwerwiegende Verfahrensfehler und sah die Vorwürfe gegen Kevin Escoffier als „unzureichend begründet“ an. Dies lasse „ernsthafte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aufkommen“.
Es ist, man muss das so deutlich sagen, ein vernichtendes Fazit.
Der Seglerverband zögerte deshalb auch nicht lange, dem Spruch des Schlichters zu folgen. Am vergangenen Freitag, nur eine Woche nach Verkündung der Analyse von CNOSF-Aufklärer Bernard Foucher, hob die FFVoile die Sperren auf – nicht jedoch, ohne die Klatsche, die der Verband erlitten hatte, in einer langatmigen, teils von Auslassungen geprägten Stellungnahme zu relativieren. Spätestens da wurde deutlich, dass es dem Verband und seinem Präsidenten Jean-Luc Denéchau mehr um Gesichtswahrung ging als darum, die Verheerungen, die er selbst verursacht hat, zu minimieren und die offensichtlichen Fehler einzuräumen.