The Ocean RaceZu viel Ruhe nach dem Sturm – Kreiseln im Agulhasstrom

Tatjana Pokorny

 · 27.02.2023

Das US-Team 11th Hour Racing
Foto: Sailing Energy/The Ocean Race

Der Auftakt zur dritten Etappe bleibt mühsam: Nach den wilden Startszenen und Bruch an Bord bei zwei Teams am Sonntag hat sich die Ocean-Race-Flotte in den ersten 24 Stunden erst auseinandergezogen und schiebt sich jetzt wieder zusammen. Die nach Reparaturen ins Rennen zurückgekehrten Teams holen auf, weil die führenden Boote im Agulhasstrom in der Flaute dümpeln

Wer aktuell auf die Ocean-Race-Trackerstände schaut, der mag sich verwundert die Augen reiben. Dass Team Holcim – PRB vor dem Guyot Environnement – Team Europe führt, ergibt noch Sinn. Erstaunlicher ist, dass im Klassement der am Sonntag gestarteten dritten Königsetappe Paul Meilhats Team Biotherm auf Rang drei geführt wird, obwohl die Franzosen nach ihrem Reparaturstopp im Starthafen Kapstadt erst mit rund neunstündiger Verspätung wieder ins Rennen entlang der drei Kaps gestartet sind. Jetzt schon Dritte?

Das Tracker-Bild zeigte am Morgen nach dem Start ein verrückt anmutendes Bild, auf dem die Boote in alle möglichen Richtungen zu segeln scheinen, tatsächlich aber im Agulhasstrom kreiselnFoto: Screenshot/The Ocean Race
Das Tracker-Bild zeigte am Morgen nach dem Start ein verrückt anmutendes Bild, auf dem die Boote in alle möglichen Richtungen zu segeln scheinen, tatsächlich aber im Agulhasstrom kreiseln

Wie ein fallen gelassenes Bündel Mikadostäbe

Die Interpretation des Trackers ist der Nähe der “Biotherm” zur sogenannten Rhumbline, der direkten Kurslinie von Starthafen Kapstadt in den brasilianischen Zielhafen Itajaí, geschuldet. Die Tracker-Berechnungen basieren auf einer sehr simplen Formel: Position – Rhumbline – kürzester Weg zum Ziel. Tatsächlich haben die jetzt schon südlicher positionierten Boote in den Süden investiert, um schneller in die von West nach Ost ziehenden Tiefdruckgebiete zu kommen. Dadurch haben sie sich von der Rhumbline entfernt.

Die Bootssymbole auf dem Tracker sehen aktuell aus wie ein fallen gelassenes Bündel Mikadostäbe. Ihre Bugspitzen zeigen in alle Richtungen. “Malizia – Seaexplorer”-Skipper Boris Herrmann vermeldete am Morgen: “Wir haben Strom gegenan – der berühmte Agulhasstrom – und keinen Wind. Wir treiben in Kreisen.” Damit bleibt die Südinvestition vorerst ein zähes Geschäft.

Die Tücken des Tafelberg-Reviers

Da bleibt Zeit, noch einmal auf den wilden Kapstadt-Start zurückzublicken. So schön und imposant er auch ist: Nicht wenige Segler werden den Tafelberg am Startsonntag heimlich verflucht haben. Der Windschatten, den der Monsterfelsen wirft, hat schon bei früheren In-Port-Rennen eine Rolle gespielt. Zum Auftakt der Mammut-Etappe hat dieser Windschatten den etwa quadratischen Regattakurs während des Starts in zwei krass unterschiedliche Hälften aufgeteilt.

Es gab einen Bereich ohne Wind und den Abschnitt mit zu viel Wind. Dabei war es nicht die Windstärke am oberen Ende, die der Flotte Probleme bereitete, sondern die plötzlichen Böen, die aus dem Nichts kamen und die Segel der Boote mit voller Wucht von bis zu 45 Knoten trafen, wie es Paul Meilhat berichtete. Zeitweise neigten sich die Boote von Team Malizia, Team Holcim – PRB und Team Guyot in einem Winkel von 45 Grad, wenn die Böen auf ihre Riggs traf.

Reparaturpause mit gebrochenen Lattenenden

Die Ausrüstung ächzte unter der plötzlichen Stoßbelastung, doch mehrheitlich kamen die Crews damit zurecht. Allerdings war es eine dieser Böen, die zwei Latten im Großsegel des 11th Hour Racing Teams beschädigt hatte. Das Segeltuch flatterte danach im oberen Bereich hilflos umher. Für die Crew von Charlie Enright muss es eine große Erleichterung gewesen sein, wieder in den windstillen Teil der Regattabahn zu segeln.

Das amerikanische Team konnte das Großsegel aufs Deck herunterlassen, um den Schaden zu begutachten. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen relativ kleinen Schaden handelte, wie der Teamchef Mark Towill erklärte: “Die Latten selbst sind nicht gebrochen, sondern die Flügelspitzen, die die Latten an ihrem Platz halten.” Das Team unterbrach das Rennen offiziell. Gemäß Reglement bedeutete das eine Mindestwartezeit von zwei Stunden bis zur Wiederaufnahme des Rennens. Das gilt auch dann, wenn die Reparatur deutlich schneller durchgeführt werden kann.

Charlie Enright: “Es ist billiger, das Rennen jetzt zu unterbrechen”

Enright äußerte sich eher philosophisch zum Schaden seines Teams und der daraus resultierenden Verzögerung. “Wir haben es nicht ganz unbeschadet aus der Tafelbucht herausgeschafft. Beim letzten risikoreichen Manöver haben wir das Vorsegel nicht schnell genug herumbekommen und das Manöver möglicherweise etwas überstürzt. Wir bemerkten sehr schnell, dass die Flügelspitzen in Latte eins und zwei explodiert waren. Es war nicht sofort klar, ob die Latten gebrochen waren oder nicht – und wie sich herausstellte, sind sie es nicht.”

Enright erklärte auch, warum sein Team den Schaden nicht mit Bordmitteln behoben hat: “Wir haben eigentlich alles an Bord, was wir für die Reparatur brauchen. Aber das würde uns ohne Ersatzteile in den Süden schicken. Es ist billiger, das Rennen jetzt zu unterbrechen, da man dies für mindestens zwei Stunden tun kann, während nach den ersten zwölf Stunden des Rennens eine mindestens zwölfstündige Unterbrechung vorgeschrieben wäre.”

Bruch-Kettenreaktion an Bord von “Biotherm”

Enrights weiterer Ausblick auf die Etappe: “Eine zweistündige Verspätung über 35 Tage mit all den verschiedenen Systemen und Übergängen, die zwischen jetzt und dann passieren werden, wird wahrscheinlich nicht den Unterschied ausmachen. Ich sage nicht, dass die Boote nicht innerhalb von zwei Stunden ins Ziel kommen werden, aber das ist wahrscheinlich erst der Fall, nachdem die Karten ein paar Mal neu gemischt wurden.” Das amerikanische Team nahm das Rennen nach der obligatorischen zweistündigen Wartezeit um 16.07 Uhr deutscher Zeit wieder auf.

Während das 11th Hour Racing Team kein Bedürfnis verspürte, in den Yachthafen an der V&A Waterfront zurückzusegeln, tat Paul Meilhats Team Biotherm genau das. An Bord der blau-weißen Puristin “Biotherm” hatte ein Problem zum nächsten geführt.

Blitzreparatur im Team Biotherm, das nach Bruch an Bord zunächst in den Hafen von Kapstadt zurückkehrteFoto: Sailing Energy/The Ocean Race
Blitzreparatur im Team Biotherm, das nach Bruch an Bord zunächst in den Hafen von Kapstadt zurückkehrte

“Wir haben den doppelten Stropp an der Großschot gebrochen. Und eines der Padeyes, das Tauwerk selbst, ist explodiert. Die Großschot ist dann beim Halsen weiter als normal ausgerauscht, und wir haben den Endstopper an der Baumniederholerschiene gesprengt. Alle Travellerschlitten sind von der Baumniederholerschiene gerauscht. Dabei haben wir alle Kugeln der Wagen (Kugellager) verloren. Das Großschot-Padeye zu reparieren ist auch nicht ganz einfach, weil wir es abdichten müssen. Und dann brach der Decksbeschlag des Jockeypoles (Ausbaumer) von Deck. Das ist aber nicht allzu schlimm, sodass wir in den zwei Stunden, die wir hier bleiben müssen, ohnehin fertig sein sollten.”

Sam Davies: “Es wäre sehr mühsam gewesen, das auf See zu reparieren”

Die positive Prognose für eine kurze Reparaturzeit hatte Meilhat gewagt, bevor sein Team feststellte, dass die Beschaffung der erforderlichen Ersatzteile an einem Sonntag in Kapstadt doch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Dennoch war auch seine Mitstreiterin Sam Davies sicher, dass die Rückkehr an Land die richtige Entscheidung war, obwohl die Mannschaft sie nach dem Traumstart und anfänglicher Führung als schmerzhaft empfunden hat. Davies sagte: “Es wäre sehr mühsam gewesen, es alles auf See zu reparieren, weil wir nicht genug Kugeln für die Travellerschlitten hatten. Also war es eine klare Entscheidung, hierher zu kommen und es richtig zu machen.”

Und so ging es für Team Biothem vor Kapstadt zur Sache:

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Skipper Paul Meilhat nahm den wilden Bruch-Ritt und den Rückschlag zum Auftakt dennoch gelassen auf: “Wir sind immer noch gut gelaunt und motiviert, das Rennen fortzusetzen. Es ist eine lange Etappe, und es ist besser, dass es jetzt passiert und nicht auf See. Glücklicherweise haben wir uns entschieden, den Küstenabschnitt des Startkurses zu absolvieren, sodass wir sofort wieder in See stechen können, ohne alle Tonnen noch einmal absegeln zu müssen.”