Tatjana Pokorny
· 19.02.2023
Am 26. Februar fällt der Startschuss zur “Monster-Etappe” im 14. Ocean Race. Im Etappenhafen Kapstadt werden die Boote von den Landmannschaften für den Härtetest präpariert. Die meisten Segler genießen ein paar Tage Urlaub in der Kap-Region, bevor ihr Endspurt bei den Vorbereitungen beginnt. Boris Herrmann ist eine Woche vor dem Startschuss aus guten Gründen optimistisch vor der historisch längsten Ocean-Race-Etappe
“Auf uns!”, sagt Boris Herrmann spontan und lächelnd auf die Frage, auf welches Boot man wohl für die längste und schwerste Etappe wetten sollte. Das erfrischende Selbstbewusstsein hat gute Gründe: Für die anstehende Königsetappe über 12.750 Seemeilen werden über weite Strecken stärkere Winde erwartet. Das sind die Schokoladenbedingungen von Team Malizias “Schlachtross” unter deutscher Flagge. Nach zwei Etappen ist eindrucksvoll erwiesen, was sich Boris Herrmann und seine Mitstreiter von ihrem Neubau “Malizia – Seaexplorer” erhofft haben: Das Boot ist in stärkeren Winden eine Rakete.
Boris Herrmann selbst formuliert seine Erkenntnis vor Etappe drei in Schulnoten: “Die Leistung des Bootes ist insgesamt gut. Und sehr gut vor dem Wind bei Welle und mehr als 20 Knoten Wind.” Das entspricht der Beschreibung eines Imoca, was man sich für die dritte von sieben Etappen wünscht, wenn sie die klassischen Southern-Ocean-Bedingungen serviert.
Besonders attraktiv: Beim Nonstop-Härtetest entlang der drei legendären Kaps – dem südafrikanischen Kap der Guten Hoffnung, dem australischen Kap Leeuwin und Kap Hoorn – ist die doppelte Punktzahl abzuräumen. Die ersten Punktpäckchen werden in der Reihenfolge verteilt, in der die Boote den 143. östlichen Längengrad passieren. Die zweite Punktladung gibt es entsprechend den Platzierungen im brasilianischen Ziel vor Itajaí. Die Etappe ist damit für die Positionierungen in der Rangliste so viel wert wie die beiden bisherigen Abschnitte zusammen. Sie hat das Zeug, die Hackordnung im Ocean Race zu verändern.
Mit ihrem aktuell ansteckenden Optimismus stehen Boris Herrmann und das bislang auf Platz vier liegende Team Malizia nicht allein da. Auch die Konkurrenz favorisiert das deutsche Boot für Etappe drei. “Biotherm”-Seglerin Sam Davies sagte: “Team Malizia sieht bei mehr Wind sehr gut aus.” Robert Stanjek, Co-Skipper im Guyot Environnement – Team Europe, sagte: “Ich glaube, dass Boris’ Boot auf der kommenden Etappe extrem stark performen wird. Die fahren bei Wind einen krassen Stiefel.”
Wie auch die Boote der Konkurrenz, wird “Malizia – Seaexplorer” aktuell in Kapstadt auf die fordernde und brutale Südmeer-Etappe vorbereitet. “Wenn man es etwas überspitzt formuliert, darf man sich die aktuellen Arbeiten in Kapstadt wie einen viermonatigen Refit vorstellen, der in vier Tagen durchgezogen wird”, sagt Boris Herrmann. “Alles wird einmal zerlegt: Mast raus, Ruder raus, Foils raus und Service. Alles wird auseinandergebaut: Elektromotoren, Teile, Blöcke.” Inklusive ist die intensive Verstärkung der Foils, die auf der zweiten Etappe oberflächliche Schäden davongetragen hatten.
“Unser Boot wird 100-prozentig fit sein für Etappe drei”, kündigt Boris Herrmann an, der nach auskurierter Fußverletzung wieder in seine Rolle als Skipper schlüpft. Dabei ist er überzeugt, dass sein Team die bisherigen Spitzenreiter Holcim – PRB erfolgreich herausfordern kann. Der Hamburger sagt: “Wir können Team Holcim – PRB auf der Südetappe schlagen.” Was auch mit Blick auf den zuletzt verpassten Podiumsplatz auf Etappe zwei eine Genugtuung wäre …
In der Zwischenzeit hat sich in Kapstadt auch die kurzzeitige Foil-Aufregung um ein technisches Manöver von Charlie Enrights US-Team 11th Hour Racing wieder gelegt. Das Race Committee hat der Mannschaft den beantragten Austausch und Einsatz der alten, schweren Foils erlaubt.
“Nach der Untersuchung der Foils und unter Berücksichtigung der vom Team vorgelegten technischen Berichte sowie nach Gesprächen mit den Konstrukteuren ist das Race Committee zu der Überzeugung gelangt, dass der Schaden an den Foils des 11th Hour Racing Teams nicht rechtzeitig vor dem Start der dritten Etappe behoben werden konnte. Der Antrag auf Ersatz der Foils wurde genehmigt”, sagte Renndirektor Phil Lawrence.
Am 16. Februar hatte das 11th Hour Racing Team beim Race Committee einen Antrag auf Erlaubnis zum Einsatz der Ersatz-Foils für die dritte Etappe gestellt. Daraufhin hatte das Race Committee die mit dem Antrag eingereichten technischen Berichte überprüft. Grundsätzlich legen die Ocean-Race-Regeln (Notice of Race 6.4) fest, dass die Teams nur einen Satz Foils im Ocean Race verwenden dürfen. Ein Team kann jedoch die Erlaubnis beantragen, ein Foil auszutauschen, das “einen ernsthaften Schaden” erlitten hat, der nicht vor dem Start einer Etappe repariert werden kann. Die Erklärung vom Team 11th Hour Racing findet sich hier.
Erste aufgeregte Kommentare dazu, dass der Antrag abgelehnt und die Ocean-Race-Flotte womöglich auf vier Boote dezimiert werden könnte, hatten sich schnell als unbegründet erwiesen. Auch bei der in Streitfällen durchaus stimmgewaltigen Konkurrenz herrschte Einigkeit darüber, dass es keinen Grund zur Ablehnung des Antrags gibt.
Boris Herrmann hatte den Fall gegenüber YACHT online umgehend kommentiert: “Ja, natürlich muss 11th Hour diese anderen Foils einsetzen dürfen! Was wäre es auch für ein Rennen mit vier Booten? Die Regel wurde einmal gemacht, damit nicht jemand im America’s-Cup-Stil ankommt und sich für jede Etappe neue Foils baut. Oder mit Blick auf die Wetterstatistik rechts und links verschiedene. Es ist verständlich, dass man da im Vorfeld einen Riegel vorschieben wollte. Für den aktuellen Fall hat das natürlich gar keine Relevanz. Die alten Foils von 11th Hour Racing sind super, werden also kein Nachteil für das Team sein.”