Jochen Rieker
· 15.02.2023
Einen Tag nach dem Einlaufen war das Dock der Teilnehmeryachten von The Ocean Race auch schon wieder fast leer. Bis auf „Biotherm“ stehen derzeit alle Boote in Kapstadt an Land. Hier ein Baustellenbericht, der deutlich macht, wie anspruchsvoll die Technik der Imocas ist – und was die neuen, größeren Foils an Problemen mit sich bringen
Es geht fast zu wie bei einem Boxenstopp in der Formel 1. Eine Hundertschaft an Technikern und Logistikern, Ingenieuren und Spezialisten wuselt hinter der Hafenmole der Victoria & Alfred Waterfront, dass einem schwindlig werden kann. Und das Treiben ging bereits los, als die Preisverleihung am Sonntagnachmittag noch nicht einmal abgeschlossen war.
Während Team Malizia als viertes Boot im Ziel andockte, wuchteten bei 11th Hour Racing bereits sieben Mann das Großsegel samt Lazy-Bag von Bord. Kurz darauf war auch der Großbaum ab. Die Nachbarlieger aus Deutschland fackelten ihrerseits nicht lange.
Als es gegen 20 Uhr dunkel wurde, fehlten bei „Malizia – Seaexplorer“ ebenfalls Groß, Baum, Spis mitsamt Stagen, vor allem aber – das Backbord-Foil! Eine Operation, die anderen Teams schon an Land und mit Mobilkran-Hilfe einiges abverlangt, mal eben im Wasser durchgeführt. Respekt!
Montag dann war Krantag, zumindest für vier der fünf Imocas im The Ocean Race. Seither gibt es kein Halten. Denn am Samstag geht es schon wieder zurück ins Wasser. So sieht es das Protokoll der Veranstalter vor, die ihr Race Village, das jetzt „Ocean Live Park“ heißt, als Touristenattraktion präsentieren wollen.
An den Stegen, wo vom Wochenende an dann wieder die Sponsorenflaggen in den Riggs knattern werden, liegt derzeit ein bisschen einsam und verwaist nur „Biotherm“, und das auch noch ohne Rigg. Denn das wollte Skipper Paul Meilhat vor der nächsten, der längsten und härtesten Etappe des Rennens, dann doch gründlich durchsehen lassen. Das schiere, hübsch lackierte Boot wirkt verloren im weiten Hafenbecken, wie das letzte Überbleibsel nach dem Auskranen im Spätherbst in jeder Ostsee-Marina – nur eben bei sommerlichen Temperaturen.
Am Montagabend lag die Hälfte eines vorgefertigten Rahmenspants an Deck, außerdem ein Industriestaubsauger und ein Generator. Das eher verschwiegene Team, das zu den am knappsten finanzierten zählt, muss offenbar erneut strukturelle Schwächen beheben. Das war auch schon vor dem Start in Alicante so, wo nach Informationen von YACHT online nicht weniger als drei Rahmenspanten verstärkt oder neu einlaminiert wurden. Das Verdier-Design reift gewissermaßen im Rennen.
Umso erstaunlicher, dass Paul Meilhat und seine Crew trotzdem auf Platz zwei ins Ziel kamen. Er profitierte dabei von den sehr guten Allround-Eigenschaften seines Bootes, das auf dem Entwurf von Thomas Ruyants „LinkedOut“ basiert, dem Siegerschiff der Route du Rhum im vorigen November.
Und er hatte wie Charlie Enright auf „11th Hour Racing“ und Robert Stanjek auf „Guyot Environnement – Team Europe“ einen großen A2-Spinnaker an Bord, ideal für tiefe Kurse bei Leichtwind, was “Biotherm” in der Anfangs- wie in der Schlussphase zugutekam, ebenso in den Kalmen.
Das absehbar schmerzhafteste Refit-Programm läuft an Bord des amerikanischen Teams, obwohl dessen Boot die bei Weitem längste Reifezeit hinter sich hat. Schon auf den Kapverden galt die Aufmerksamkeit der Crew den Foils, insbesondere dem „Ellenbogen“ – jenem Knick zwischen Schaft und Spitze. Dieser ist bei „11th Hour Racing“ sehr stark abgewinkelt, was die Lasten erhöht. Auch deshalb gelten die Profile als sehr schwer. Wie tief und weit die Schäden reichen, war im für die Fans abgesperrten Wartungsbereich in Kapstadt mit bloßem Auge nicht zu erkennen.
Allerdings ließ Teamchef Mark Towill vorsorglich beide Ersatz-Foils einfliegen. Sie sind eine Version älter und nicht so leistungsfähig wie die letzten. Ergebnisse der Ultraschall-Untersuchungen sind bisher nicht kommuniziert worden. Aber es spricht einiges dafür, dass das Boot mit den alten, intakten Foils auf die Etappe drei nach Itajaí geht. Denn das Risiko eines kapitalen Bruchs einzugehen auf einem 12.750 Seemeilen langen Schlag, der die doppelte Punktzahl bringt (fünf statt zehn Zähler für Platz eins), wäre wenig sinnvoll.
Zumal Charlie Enrights Crew die Erfahrung und sein Verdier-Design die Leistungsfähigkeit hat, um dennoch um den Sieg mitzusegeln. „11th Hour Racing“ fehlen bisher nur drei Punkte in der Ergebnisliste auf Kevin Escoffiers topplatzierte „Holcim – PRB“. Und es sind noch nicht einmal 25 Prozent der Gesamtwertung gesegelt. Da ist also noch alles drin.
Ansonsten sind die Schäden und Wartungsarbeiten nämlich überschaubar: Der Wassermacher muss überprüft, seine Installation verbessert werden. Und die Verschraubungen der Luke am achteren Ballastwassertank hatten sich teilweise gelöst. Peanuts im Vergleich zu dem möglichen Totalschaden an den Foils, der sich, so er bei der NDT-Analyse bestätigt würde, allein auf um die 600.000 Euro summiert.
Mit so was kennen sich die Deutschen aus, die ihre Profile in Alicante vor dem Start in aller Eile tauschen mussten – was eine umfangreichere Aktion war, da die Aufnahmen nicht genau zu den Ersatz-Foils passten, die von einem Sam-Manuard-Design stammen.
Mit denen kam „Malizia – Seaexplorer“ gut in Fahrt. Sie sind nach Einschätzung von Boris Herrmann und seinem Co-Skipper Will Harris sogar einfacher zu bedienen, erfordern weniger Justage und liefern am Wind und beim Reachen etwas bessere Leistung.
Allerding rissen die Achterkanten am Schaft, der sich innerhalb des Bootes im Foil-Kasten befindet, zwischen oberem und unterem Lager. Das bremste die Crew nur geringfügig ein, weil sie bei viel Druck vorsichtshalber das Foil leicht in den Rumpf einzog, um die Scherkräfte zu verringern. Dennoch war das VPLP-Design mit dem extrem weit aus dem Wasser ragenden Löffelbug raumschots bei viel Wind und Seegang klar schnellstes Boot.
„Wir konnten volles Groß fahren und mussten nicht befürchten, mit dem Bug in die vorauslaufende Welle zu krachen“, sagte Will Harris nach dem Debriefing gegenüber YACHT online. Genau darauf zielte Boris Herrmann bei der Konstruktion ab. Der Geschwindigkeitsunterschied zu “Holcim – PRB” und “11th Hour” betrug über weite Phasen bis zu zwei Knoten – nicht viel eigentlich, wenn alle in den 20ern unterwegs sind, aber bei der nächsten Etappe womöglich der Schlüsselfaktor.
Der Schaden an den Foils ist definitiv nicht strukturell. Das stand schon am Dienstagnachmittag fest, als der eigens aus Frankreich eingeflogene Experte für Komposit-Untersuchungen grünes Licht gab. Am Mittwoch war das Backbord-Foil auch schon beidseitig verstärkt.
Die Techniker hatten in Kapstadt zwei Millimeter starke Carbonschienen im Autoklaven backen lassen, die bereits eine leichte Vorbiegung aufwiesen und mittels Spabond-Strukturkleber und unter Vakuum auf der Achterkante aufgebracht wurden. Die Schraublöcher, mit denen sie verbunden wurden, um einen gleichmäßigen Anpressdruck während des Aushärtens zu gewährleisten, wurden anschließend aufgebohrt. Eingeklebte Carbonstangen schlossen die Löcher wie ein Pfropfen; sie sollen zusätzlich Stabilität gegen die Torsionskräfte bieten.
Wie bereits berichtet, wird parallel am Ersatzruder gearbeitet. Der Schaft soll um ein paar Zehntelgrad in der Längsachse optimiert werden, was in Alicante aus Zeitgründen nur an einem Anhang möglich war. Außerdem wird das „Piano“, der mittig im Cockpit montierte Organizer für nicht weniger als 53 Trimmleinen, ersetzt werden. Halsleinen und Rigg-Laschings stehen auch auf der Wartungsliste. Nicht viel im Vergleich zu Alicante.
Die Boote auf Platz eins und fünf scheinen keine Foil-Probleme zu haben, ebenso wie „Biotherm“. Deren Tragflügel blieben unangetastet. Es soll bei den Schweizern insgesamt nur kleinere Optimierungen geben.
Das überrascht nicht, denn Kevin Escoffier ist nicht nur ein extrem willensstarker und auf Sieg gepolter Skipper, sondern auch ein höchst erfahrener Ingenieur. Sein Imoca gehört unter den Neubauten neben „11th Hour Racing“ zu den ausgereiftesten und basiert auf der gleichen Konstruktion von Guillaume Verdier, wenn auch mit anderen Foils, modifiziertem Bug, Deck und Cockpit.
Robert Stanjek, wie alle Segler derzeit auf Erholung, war bisher zum Status von „Guyot“ nicht erreichbar. Mit Jens Kuphal sprachen wir heute Mittag. Das anfangs lange führende Boot zeigte sich durchaus auf Augenhöhe mit den Besten. Etmale um 520 Seemeilen im tiefen Südatlantik sind extrem achtbar für ein Boot von 2016. Da fehlte nicht viel zum alten 24-Stunden-Rekord von Alex Thomson.
Die größten und einzigen ernsthaften Schäden nahmen die Segel. Der A2-Spi zerriss am Steuerbord-Foil, außerdem fiel nach ungewolltem Öffnen des Fallenschlosses die J Zero ins Wasser, und ein weiteres Vorsegel wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sie dürfen repariert, aber nicht ersetzt werden, weil die Gesamtzahl der Segel für das ganze The Ocean Race auf elf beschränkt ist. Zumindest den A2 wird auf der dritten Etappe aber wohl niemand ernstlich vermissen. Und sonst: “Keine Schäden”, sagt Jens Kuphal. “Wir könnten morgen zurück ins Wasser und los.”
Insgesamt sieht alles danach aus, dass nach dem recht engen Finish das komplette Feld weitgehend im Vollbesitz seiner Kräfte nach Itajaí starten kann, auf die Hatz durchs Südmeer. Das ist absolut keine Selbstverständlichkeit, aber gut fürs Rennen, spannend für die Fans!