The Ocean RaceWarum ein Sieg in Kapstadt doppelt zählt

Jochen Rieker

 · 11.02.2023

Leere Stege in der Victoria Waterfront Marina in Kapstadt. Morgen machen hier die Imocas fest
Foto: YACHT/J. Rieker

Es ist eine kuriose Situation. Während die Stege für die Ocean-Race-Teilnehmer in der Waterfront-Marina von Kapstadt bis auf ein paar sonnenbadende Robben noch gähnend leer sind, schenken sich draußen im Südatlantik die Segel-Crews keinen Meter. Doch es gibt noch ein zweites Rennen neben dem ins Etappenziel: das der Technik-Teams. Seit Tagen bereiten sie sich minutiös auf die Ankunft der Imocas vor.

Unvorstellbar, dieses Wimpernschlag-Finale. Beim letzten Volvo Ocean Race, damals noch auf One-Design-Booten vom Typ VO65 gesegelt, war es schon kaum zu glauben. Aber jetzt, mit so unterschiedlichen Yachten, die so unterschiedliche Stärken und Reifegrade haben?

Was schon für die Skipper und ihre Crews ein Martyrium sein muss – nach mehr als zwei Wochen harter, unermüdlicher Arbeit zur Flotille verdichtet nahezu im Formationsflug vor Kapstadt zu stehen –, ist freilich auch für die Teams an Land potenziell nervenaufreibend.

Denn die Reihenfolge im Ziel entscheidet über die Reihenfolge, in der die Imocas, einer nach dem anderen, zur Überholung an Land gekrant werden. Wer Erster wird, hat einen enormen Zeitgewinn – selbst wenn an der Ziellinie nur Minuten zwischen Sieg und Platz liegen sollten.

Auch wenn die meisten Teams nur sparsam über Probleme an Bord berichten, um die Konkurrenz nicht ungewollt selbst stark zu machen, ist absehbar, dass einiges an Arbeit auf die Kompositexperten, Rigger, Elektroniker und Segelmacher zukommen wird.

Bei 11th Hour Racing, so ist im Race Village zu hören, steht möglicherweise der Wechsel eines Foils an. Jedenfalls lagert eine ziemlich große Transportbox auf deren Areal, die eigentlich kaum einen anderen Inhalt haben kann, wenn man heiße Luft einmal ausschließt.

Auf dem Wartungsgelände hinter Quai 6 an der Hafenkante stehen vier Lagerböcke bereit, um die gekranten Boote aufzunehmen. Offenbar will nur Paul Meilhat mit seinem Team Biotherm auf einen Boxenstopp auf dem Trockenen verzichten – aus Budgetgründen oder weil sein Boot weitestgehend unversehrt geblieben ist? Unklar.

In Alicante jedenfalls musste bis zum letzten Tag vor dem ersten Start fieberhaft an dem Verdier-Design laminiert und getüftelt werden. Drei Rahmenspanten, so heißt es, seien dabei zusätzlich eingesetzt oder verstärkt worden, nachdem die Struktur bei der Route du Rhum und der anschließenden Rücküberführung geschwächelt hatte.

Team Malizia, die wohl transparenteste Kampagne im Ocean Race, ließ schon kurz nach den Kalmen wissen, dass die Achterkante des Steuerbordfoils Risse aufweist. Deswegen konnte das von VPLP konstruierte Boot nicht ganz voll gefahren werden – was die Crew um Will Harris, der für den am Fuß verletzten Boris Herrmann die Skipper-Rolle übernommen hatte, jedoch nicht von 500plus-Seemeilen-Etmalen abhielt.

Mit ihrer Stärke in schwererem Seegang und bei viel Wind, aber auch mit der frühen westlichen Positionierung vor den Rossbreiten schaffte es “Malizia – Seaexplorer” vom letzten auf den ersten Platz, den sie bis Samstagabend verteidigte.

Wie lang also ist die Job-Liste für das Technik-Team? Stu Mc Lachlan, der Boat Captain, gab sich am Vortag der Ankunft entspannt. Das ist er zwar allermeistens, weil er in seiner Karriere schon alles erlebt und auch gefixt gekriegt hat, aber der Gleichmut wirkte absolut überzeugend.

Das Foil-Problem scheint niemand ernsthaft zu beunruhigen; es ist wohl so, dass nur die Hinterkante am Schaft des Steuerbordflügels beschädigt ist, die keine strukturelle Funktion hat. Der Reparaturplan steht und sollte nicht mehr als zwei, drei Tage in Anspruch nehmen.

Sicherheitshalber lässt das Team aber einen Kompositexperten aus Frankreich einfliegen, der sich auf Strukturanalysen spezialisiert hat und beide Foils “durchleuchten” wird. Werden keine weiteren Delaminationen entdeckt, geht das Boot im 100-Prozent-Modus auf die dritte, längste und härteste Etappe, von Kapstadt nach Itajaí.

Für die Reparatur der Foils hat Team Malizia eigens Vollcarbon-Profile im Autoklaven backen lassen, die beidseitig die Achterkanten verstärken und versteifen sollen, um besser den zwischen oberem und unterem Foil-Lager auftretenden Torsionslasten zu widerstehen. Sie ersetzen die Laminate, die in Alicante kurz vor dem In-Port Race im Boot aufgebracht wurden. Ihre Festigkeit wird deutlich höher liegen.

Heute korrigierten drei Mann am Schaft des Ersatzruders noch dessen vertikale Ausrichtung – um gerade mal 0,5 Grad. Da in Alicante die Zeit fehlte, beide Ruder zu optimieren, wurde dort nur eines bearbeitet. Das andere wird jetzt gegen das Ersatzprofil getauscht – auch das wird “Malizia – Seaexplorer” noch besser machen.

Nur eins wird wohl kaum zu lösen sein, und für die Segelcrew ist es eines der größten Probleme: das nervtötende Heulen bei Geschwindigkeiten oberhalb von 20 Knoten, was im Southern Ocean ja über weite Strecken Minimaltempo sein dürfte. Stu Mc Lachlan sagte gegenüber YACHT online: “Auch wenn es niemand hören mag: Das kriegen wir nicht weg.”

Der Grund: Der Rumpf ist anders als bei der Konkurrenz nicht als Sandwichkonstruktion mit hochfestem Schaumkern gebaut, sondern aus Vollcarbon. Man muss sich das wie eine Trommel vorstellen: Die dämpfende Wirkung des Schaums fehlt völlig. Daher rührt der in jedem Video von Bord präsente Heulton, der auf den anderen Imocas deutlich geringer ist.

Im Hinblick auf die 12.750 Seemeilen lange und wohl mehr als 30 Tage währende Etappe drei ist das für die Segler keine gute Nachricht. Andererseits haben sie aufgrund dessen das stärkste Boot, das dank seiner Bugform auch bereits seine Überlegenheit bei schwerem Wetter unter Beweis gestellt hat.

Vor die Wahl gestellt, lieber langsamer und dafür etwas kommoder unterwegs zu sein oder schneller und lauter, wird die Antwort für Boris Herrmann, Will Harris, Rosalie Kuiper und Nico Lunven wohl eindeutig ausfallen.

Viel Spaß beim packenden Finish. Möge das beste Team mit den stärksten Nerven gewinnen! Wir berichten morgen auf allen Kanälen und auch live von der Zielline. Am Montag dann ein ausführlicher Hintergrund – und sicher auch die ein oder andere bisher unerzählte Schmonzette von Bord.