Tatjana Pokorny
· 03.05.2023
Team Holcim – PRB hat seinen Imoca in Rio de Janeiro ohne Mast, aber mit Kiel auf ein Frachtschiff verladen. Dessen “Rennen” nach Newport hat jetzt begonnen. Parallel kommt ein Ersatzmast aus Frankreich ebenfalls per Frachtschiff in den US-Hafen. Die große Aufgabe nach dem Mastbruch: Schafft es das Team unter Schweizer Flagge, am 21. Mai mit wiederhergestelltem Boot an der Startlinie zu Ocean-Race-Etappe fünf aufzukreuzen?
Es müssen Tausende Telefonate und Mails gewesen sein, die Team Holcim – PRB nach dem Mastbruch am 27. April den Weg zum Comeback ins Ocean Race gebahnt haben. Einen Einblick in die logistischen Herausforderungen für sein Team gab Skipper Kevin Escoffier bei einer Pressekonferenz. Wenige Stunden vor dem Akt, den Imoca am 2. Mai ohne Mast, aber mit Kiel in Rio de Janeiro auf ein Frachtschiff zu verladen, berichtete Escoffier von den Bemühungen in den vergangenen Tagen.
Wir hätten alles verlieren können.” (Kevin Escoffier)
Erste Überlegungen, das Ersatzrigg nach Rio de Janeiro zum Boot zu bringen, um noch einmal in die Etappe einsteigen und einen Wertungspunkt retten zu können, seien schnell vom Tisch gewesen, berichtete Kevin Escoffier. “Das war aus finanziellen und auch aus Nachhaltigkeitsgründen keine Option”, stellte der Franzose klar. Darüber hinaus sei das Risiko zu hoch gewesen, womöglich so spät in Newport einzutreffen, dass die Mannschaft den Start zur fünften Etappe am 21. Mai verpasst. “Das Timing war nahe dran an der Unmöglichkeit.”
“Für mich war das Risiko zu hoch, den Start zu Etappe fünf zu verpassen. Wir hätten alles verlieren können”, so Escoffier. Doch auch die nun gewählte Option des Seetransports des Schiffs aus Rio den Janeiro und des neuen Masts aus Frankreich nach Newport sei eine “Riesenherausforderung”. Kevin Escoffier weiß: “Es wird sehr eng.” Motivation für die “Mission possible” zieht der Franzose unter anderem daraus, dass seine Mannschaft auch im Fall eines Sieges von Team Malizia auf Etappe vier punktgleich mit dem Boot unter deutscher Flagge noch “vorne” läge.
So formuliert Escoffier es, auch wenn sein Team dem Reglement entsprechend dann im Gesamtklassement auf Platz zwei hinter Team Malizia zurückfallen würde. Escoffiers Standpunkt: “Für mich bedeutet das bei Punktgleichheit immer noch die Führung.” Die Gedankenwelt des ehrgeizigen 42-Jährigen aus Saint-Malo: “In Newport punktgleich mit Malizia vorne zu liegen würde uns glücklich machen.” Mit Raubtier-Lächeln setzte er hinzu: “Nicht glücklich allerdings wären wir, wenn das in Genua immer noch der Fall sein sollte.”
Er könne, so Escoffier, den Mastbruch nicht mehr ändern, aber alle Energie ins Comeback und die Bemühungen im Kampf um den Gesamtsieg stecken. Der bleibt vor der doppelt gewerteten fünften Etappe über den Atlantik ins dänische Aarhus das erklärte Ziel von Team Holcim – PRB, auch wenn die Crew dem aktuellen Ocean-Race-Geschehen auf Etappe vier nur zusehen, arbeiten und hoffen kann.
An Tag zehn der vierten Etappe haben die amerikanischen Spitzenreiter ihre Führung vor Team Malizia nach Kreuzen des Äquators und vor Erreichen der stärkeren Passatwinde leicht ausbauen können: 11th Hour Racing verteidigte am Morgen des 3. Mai einen Vorsprung von rund 18 Seemeilen vor Team Malizia.
Wieder zurückgefallen ist Paul Meilhats Team Biotherm, das inzwischen knapp 50 Seemeilen aufzuholen hat. Noch mehr Federn musste das Guyot Environnement – Team Europe in den unbeständigen Winden der Doldrums lassen. Der Rückstand von Skipper Ben Dutreux, Co-Skipper Robert Stanjek und ihrer Crew war am Mittwoch auf schmerzliche fast 300 Seemeilen angeschwollen.
Alle Boote segeln inzwischen wieder in der nördlichen Hemisphäre. Das Führungsduo hatte am Morgen des 3. Mai noch rund 2.600 Seemeilen bis in den Zielhafen Newport zu absolvieren. Querab eines lang gezogenen Sperrgebiets strebte die kleine Flotte der vier Boote östlich von Französisch-Guayana dem Revier der karibischen Inselwelt von Barbados, St. Lucia und den Britischen Jungferninseln entgegen.
Charlie Enrights Team 11th Hour Racing macht an der Spitze offensichtlich Druck, war zuletzt immer einen Tick schneller als die Verfolger auf “Malizia – Seaexplorer”. Das vor dem Ocean-Race-Start Co-favorisierte Team wartet noch auf den ersten Etappensieg, ist mit Platz drei im Gesamtklassement nicht zufrieden. Zudem führt die vierte Ocean-Race-Etappe in den Heimathafen Newport. Die Frage, wie sehr er diesen Etappensieg auf einer Skala von null bis hundert für sein Team wolle, antwortete Charlie Enright mit nur einem Wort: “Tausend!”