The Ocean RaceHimmel und Hölle voraus – die Königsetappe kommt!

Tatjana Pokorny

 · 25.02.2023

Solche goldenen Aussichten kann auch der Southern Ocean bieten. Die vorherrschende Farbe aber im Südmeer ist Grau
Foto: Stefan Leitner / Austrian Ocean Racing powered by Team Genova

Keine Etappe im Ocean Race wird so verehrt, respektiert, gefürchtet und auch geliebt wie der Gipfelsturm, der jetzt ansteht: Die historisch längste Etappe in 50 Jahren Ocean-Race-Geschichte startet am Sonntag (26. Februar). Sie führt von Kapstadt über 12.750 Seemeilen nach Itajaí. Drei legendäre Kaps werden nonstop an Backbord gelassen

“Als das Rennen vorgestellt wurde, hat jeder schnell sein Augenmerk auf diese Etappe gerichtet. Das ist das große Ding”, sagt Charlie Enright, Skipper im US-Team 11th Hour Racing. Biotherm-Skipper Paul Meilhat nickt: “Als ich unser Projekt bekannt gegeben und gesagt habe, dass ich Mitsegler suche, wollten alle diese Etappe segeln. Das ist die Etappe, über die alle – die Öffentlichkeit und die Medien – reden, weil sie in Seemeilen fast die Hälfte des Rennens ausmacht.”

“Malizia – Seaexplorer” wurde mit dem Southern Ocean im Kopf konstruiert

Boris Herrmann teilt die Überzeugung, wie wichtig die dritte Etappe für das Ocean Race ist. Team Malizias Skipper macht kein Geheimnis daraus, dass sein Boot mit dem Southern Ocean im Kopf konstruiert wurde: “Du kannst kein Boot bauen, das in allen Wind- und Wellenbedingungen gut ist. Wir und unsere Designer von VPLP haben dieses Boot für Downwind-Bedingungen in starken Bedingungen konstruiert. Ich hoffe, wir können davon auf dieser dritten Etappe profitieren und beweisen, dass unser Boot gut ist für solche Bedingungen im Southern Ocean.”

Vor der Flotte liegt, so formuliert es auch Boris Herrmann, “der Gipfelsturm dieses Ocean Race”. Die Etappe unterscheide sich sehr von anderen, sei fast ein anderer Typ von Regatta: “Im Atlantik haben wir uns an enge Rennen und daran gewöhnt, permanent auf die Performance zu achten. Doch das Segeln im Southern Ocean ist auch ein großes Abenteuer”, sagt der 41-jährige Hamburger. Er weiß: “Sollten wir Rettung benötigen, kann es für ein Schiff zehn Tage dauern, bis es diese Regionen erreicht. Wir segeln Tausende Kilometer entfernt vom dichtesten Land.”

Der Ocean-Race-Gipfelsturm zählt doppelt

Die Flotte wird auf der “Monster-Etappe” nonstop alle drei legendären Kaps passieren: zuerst das Kap der Guten Hoffnung, dann das australische Kap Leeuwin und schließlich Kap Hoorn – den Gipfel des Ocean Race. Die Ziellinie der knapp 24.000 Kilometer langen Rennstrecke um etwa drei Viertel der Antarktis liegt vor dem brasilianischen Etappenhafen Itajaí. Wichtig zu wissen für die Gesamtwertung: Das Ergebnis dieser imperativischen Etappe zählt doppelt, ist also fürs Klassement so viel wert wie die bisherigen beiden Etappen zusammen. Die ersten Punktpakete werden beim Kreuzen des Längengrades 143° Ost verteilt, die zweiten im Ziel.

Boris Herrmann will Kap Hoorn bei seiner fünften Weltumsegelung zum sechsten Mal meistern. Die legendäre Landmarke markiert auch für ihn den Höhepunkt von Weltumsegelungen. “Wenn man die ikonische Form des Kaps sieht, weiß man, dass man eine sehr schwierige Passage gemeistert hat”, beschreibt Herrmann die kraftgebende Signalstärke von Kap Hoorn, das Autoren wie Herman Melville, Jules Verne und Edgar Allan Poe zu eindrücklichen Erzählungen inspirierte.

Kap Hoorn als “Vorhof zur Hölle”

Bei Kap Hoorn wurden schon Windgeschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern gemessen. Der Hamburger Profisegler Jörg Riechers hat das unter subpolarem Einfluss stehende Revier vor dem südlichsten Punkt der Feuerland-Archipels einmal als “Vorhof zur Hölle” beschrieben. Wer hier besteht, darf sich zu den Großen des Sports zählen. “Diese dritte Etappe ist die Seele des Ocean Race”, sagt der Berliner “Guyot”-Skipper Robert Stanjek. Der Olympia-Sechste von 2012 im Starboot geht seine Kap-Hoorn-Premiere hochmotiviert an: “Es ist diese Etappe, die ich am meisten will.”

Ein Rückblick auf Boris Herrmanns Vendée-Globe-Einsatz vor gut zwei Jahren, in dem es ums Segeln im Südmeer und auch um Kap Hoorn geht:

Auch Boris Herrmann, der gut weiß, was ihn und sein Team Malizia erwartet, ist mehr als bereit: “Ich freue mich auf die ganz besonderen Eindrücke des Südpolarmeeres”, sagte er. “Der sehr lange Wellengang, lange Sonnenauf- und -untergänge, die kurzen Nächte, es ist irgendwie kalt, es erinnert mich an Norddeutschland. Und da sind die Albatrosse, die mit uns fliegen.” Den brutalen Kurs prägen Stürme, haushohe Wellenberge, frostige Temperaturen, Eisgefahren und der Wettkampf mit der Konkurrenz. Man denke nur an die epischen Halsen-Duelle entlang der Eisgrenze bei der letzten Ocean-Race-Auflage.

Die Gefahren sind zahlreich – und können Leben kosten

Es ist nicht lange her, dass in den erbarmungslosen Gefilden des Southern Ocean 2018 der Brite John Fisher im 13. The Ocean Race auf See geblieben war. Der sympathische Segler vom Team Sun Hung Kai/Scallywag war in einem Sturm über Bord gegangen. Sein Team hatte ihn trotz verzweifelter Suchaktion im tosenden Meer mit seinen fünf Meter hohen Wellenbergen nicht wiederfinden können.

Mit dem Start der “Monster-Etappe” werden auch Erinnerungen wach an das Unglück von Kevin Escoffier, dessen Boot bei der Vendée Globe 2020 im Südmeer in dramatischer Weise durchbrach und sank. Der Franzose konnte gerade noch einen Notruf absetzen und im Überlebensanzug in seine Rettungsinsel springen. Elfeinhalb bange Stunden später war er von seinem Landsmann Jean Le Cam wie durch ein Wunder in den Wellenbergen entdeckt und gerettet worden.

Boris Herrmann: “Es ist schön, diese Etappe jetzt im Team zu bestreiten”

An der Rettungsmission in dunkler stürmischer Nacht war damals auch Boris Herrmann als Soloskipper beteiligt. Er wird sie wie die Mitstreiter nie vergessen. Jetzt kämpfen Herrmann und Escoffier nicht mehr allein, sondern mit ihren Teams um das bestmögliche Ergebnis in den “Roaring Fourties”. Als “Brüllende Vierziger” wird die Region der Westwindzone zwischen dem 40. und 50. Grad südlicher Breite bezeichnet, weil die Winde hier oft donnernd laut sind.

Dem Härtetest blicken auch die weltbesten Segler mit einer Mischung aus tief empfundener Leidenschaft und gehörigem Respekt entgegen. Die dreimalige Weltumseglerin Abby Ehler zählt zu den erfahrensten weiblichen Kräften im 14. The Ocean Race. Dennoch hatte sie ihrem Skipper Kevin Escoffier zunächst eine Absage für die Königsetappe erteilt. Der Britin erschien der potenziell wilde Fünf-Wochen-Ritt auf den neuen Ocean-Race-Foilern vom Typ Imoca nach der ersten Atlantik-Überführung als zu gefährlich.

Zwei Deutsche im Rennen, zwei pausieren

Inzwischen hat sie ihre Meinung nach besseren Erfahrungen auf Etappe eins und unter dem “positiven Einfluss” ihres Skippers Escoffier geändert: “Ich möchte diese Etappe wirklich machen. Ich wäre wütend auf mich, wenn ich es nicht täte.” Abby Ehlers Comeback bedeutete das Aus für Susann Beuckes Traum, die Herz-Etappe des 14. Ocean Race bestreiten zu können. Bei seiner Entscheidung zugunsten von Abby Ehler gab Escoffier der erfahreneren Southern-Ocean-Veteranin den Vorzug. Beucke signalisierte ihr Verständnis und setzt vorerst die eigene Figaro-Kampagne in Lorient fort. Im Guyot Environnement – Team Europe setzt der Berliner Phillip Kasüske auf Etappe drei planmäßig aus. Die deutsche Flagge halten auf Kurs Kap Hoorn Boris Herrmann und Robert Stanjek hoch.

Der Start zur Königsetappe im TV: Eurosport 1 überträgt den Auftakt vor Kapstadt am Sonntag (26. Februar, ab 12.30 Uhr) live und kostenfrei über Kabel und Satellit.