Tatjana Pokorny
· 29.06.2023
Zum ersten Mal in der 50-jährigen Ocean-Race-Geschichte hat ein amerikanisches Boot das wichtigste Mannschaftsrennen um die Welt gewonnen. Charlie Enrights US-Team 11th Hour Racing wird am Abend des 29. Juni die silberne Ocean-Race-Trophäe in den Himmel über Genua heben. Dem späten Triumph war jedoch eine Zitterpartie am grünen Tisch vorausgegangen.
Ein von Team Guyot kurz nach dem Start zur Finaletappe in Den Haag verursachter Crash hatte die Amerikaner auf der Erfolgswelle nach drei Etappensiegen in Folge brutal ausgebremst. Sie konnten den letzten Ocean-Race-Abschnitt nach Genua als Spitzenreiter nach sechs Etappen mit kaputtem Boot nicht mehr bestreiten. Dafür hatte 11th Hour Racing einen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt, dem die Internationale Jury im Ocean Race am Donnerstagvormittag nach Anhörung aller Teams und kurzer Beratung stattgab.
Mit vier weiteren Punkten wurde 11th Hour Racing der Durchschnittswert der auf den ersten sechs Etappen erbrachten Leistungen aufs Ocean-Race-Abschlusskonto überwiesen. Mit insgesamt 37 Zählern sicherten sich Charly Enright und sein Team im dritten Anlauf des Skippers zum ersten Mal die Ocean-Race-Trophäe vor dem Schweizer Team Holcim – PRB (34 Punkte) und Team Malizia (32 Punkte). Auf Platz vier segelte das französische Team Biotherm (23 Punkte) vor dem Unglücksteam Guyot (2 Punkte).
Das Urteil fühlt sich für uns sehr gut an. Wir sind aus Respekt für 11th Hour Racing in Genua. Wir freuen uns sehr, dass eine gerechte Entscheidung getroffen wurde” (Jens Kuphal)
Die Kollisionsverursacher hatten die letzte Etappe aus Respekt vor 11th Hour Racing aufgegeben. Ihr Boot ist bereits wieder im Heimathafen in Les Sables-d’Olonne. Dennoch sind Teammanager Jens Kuphal, Skipper Benjamin Dutreux und Co-Skipper Robert Stanjek zum Finale in Genua. Jens Kuphal sagte: “Wir gratulieren 11th Hour Racing. Wir sind sehr froh, dass hier ein so gerechtes Urteil gefallen ist.” Benjamin Dutreux entschuldigte sich bei der Anhörung aller Teams noch einmal für den Crash, der dem Rennen am Ende seinen Spannungsbogen genommen und Team 11th Hour der Chance beraubt hatte, den Ocean-Race-Sieg auf dem Wasser zu erkämpfen.
Team Malizias Skipper Boris Herrmann sagte: “Wir sind alle sehr erleichtert, dass die Jury hier keine Überraschungen mehr geliefert hat. Es wirkte alles sehr harmonisch. Sogar Holcim – PRB hat bei der Anhörung gesagt, dass 11th Hour Racing die Wiedergutmachung bekommen soll. Wir haben einen wunderbaren Sieger für dieses Ocean Race!”
Boris Herrmann bezieht sich mit der Aussage auch auf den Last-Minute-Protest, den Team Holcim – PRB am Vorabend der Anhörung zum Antrag auf Wiedergutmachung zusätzlich gegen 11th Hour Racing eingereicht hatte. Der Versuch, den Amerikanern auf diese Weise eine mögliche Teilschuld am Crash anzuhängen, kam bei vielen Teilnehmern und Fans nicht gut an. Verhandelt wurde er aber gar nicht, denn die Jury ließ den Protest aufgrund von Formfehlern erst gar nicht zu.
Die glücklichen Sieger waren am Tag der Entscheidungen noch auf See, weil die Überführung nach der Reparatur in Den Haag länger gedauert hatte. 11th Hour Racing wurde erst am späten Donnerstagnachmittag gegen 17 Uhr in Genua erwartet, wo die Vorbereitungen auf den Empfang der Gesamtsieger auf Hochtouren liefen. Die Siegerehrung war für 18 Uhr geplant, bevor die 14. Edition des Meeres-Marathons am 1. Juli mit dem letzten Hafenrennen in Italien zu Ende geht. Für die Gesamtwertung hat die letzte Schau der Ocean Racer aber keine Bedeutung mehr.
Als erstes amerikanisches Team diese Trophäe heben zu dürfen ist eine unglaubliche Ehre” (Charlie Enright)
Die historische Erstleistung seines Teams ist für Charlie Enright die Sahne auf der Siegertorte nach einer krassen Achterbahnfahrt durch dieses Ocean Race, das für die Vorstart-Favoriten mit technischen Problemen suboptimal begonnen hatte. “Das erste US-Team zu sein, das diese Trophäe in den Händen hält, ist eine außergewöhnliche Ehre. Mit Aktionen und Innovationen für die Gesundheit der Ozeane zählte diese Kampagne zu den wirklich einflussreichen, globalen Kampagnen in diesem Rennen”, sagte Enright.
Charlie Enright war der ersten Sieger-Pressekonferenz nach der Jury-Entscheidung am Donnerstag schon von See zugeschaltet. “Ich bin absolut begeistert”, kommentierte der 38-Jährige aus Newport die guten Nachrichten aus Genua. “Dieses Rennen verlangt dir alles ab – emotional, mental und körperlich. Ich bin unglaublich stolz auf unser ganzes Team, das drei Jahre lang unermüdlich gearbeitet hat, um an diesen Punkt zu gelangen. Es gab Höhen, einige unglaubliche Höhen, aber auch Tiefen, die uns alle umgehauen haben. Aber sie waren es alle wert, heute diese Nachricht zu hören.”
Wir hätten gerne die Chance gehabt, die letzte Etappe auf dem Wasser auszufechten” (Charlie Enright)
“Mālamas” Antreiber sagte weiter: “Als wir unsere Kampagne 2019 starteten, hätten wir nie gedacht, dass sie auf diese Weise enden würde. Jeder Segler wird Ihnen sagen, dass er Rennen auf dem Wasser und nicht im Jury-Raum gewinnen möchte. Nachdem wir drei Etappen hintereinander gewonnen hatten, gingen wir außergewöhnlich stark und zuversichtlich in die letzte Etappe. Wir freuen uns über die Entscheidung der Jury, obwohl wir uns gewünscht hätten, dass wir die Chance gehabt hätten, die letzte Etappe auf dem Wasser auszufechten, da Holcim – PRB außergewöhnliche Konkurrenten waren und uns über den gesamten Kurs um die Welt gefordert haben.”