Lars Bolle
, Tatjana Pokorny
· 10.01.2023
Die Geschichte des Ocean Race ist von Heldentaten, Leiden und Dramen, Siegen, Niederlagen und Triumphen geprägt. Angefangen hatte alles vor 50 Jahren mit einer Idee
Wilde Zeiten waren das: die Weltmeere in den Sechzigern, was den Yachtsport betrifft, nahezu unberührt, Langfahrer eine rare, exotische Spezies. Es waren die Tage der Pioniere, die überhaupt erst nachwiesen, was auf dem Wasser alles möglich ist, etwa eine Einhand-Weltumsegelung ohne Zwischenstopp, die als Erstem Robin Knox-Johnston gelang. Ozeansegeln war ein noch sehr fremdes Terrain.
Doch schon bald nach Knox-Johnstons Rückkehr 1969 taten sich mit Regattaorganisator Guy Pearce sowie dem Hochseesegler und Publizisten Anthony Churchill zwei Männer mit einem Ziel zusammen. Sie veröffentlichten eine Broschüre, die für ein Mannschaftsrennen um die Welt im Heckwasser der alten Rahsegler warb, die weltweit auf ihren Handelsrouten unterwegs gewesen waren.
Umgehend kündigten mehrere Skipper ihr Interesse an einem solchen Rennen an. Dabei gab es zunächst weder einen ausrichtenden Yacht-Club, geschweige denn einen Financier. Das Seesegeln hatte viele Tragödien produziert, bei potenziellen Unterstützern herrschte Zurückhaltung.
Die Navy aber war gerade dabei, mehrere 55-Fuß-Hochseeyachten zu erwerben, um ihre Soldaten auf See zu trainieren. Ihr gefiel die Idee eines Mannschaftsrennens um die Welt so gut, dass sie kaum abwarten wollte, ob Pearce und seine Mitstreiter ihr Ziel erreichten. Man vereinbarte: Sollten Pearce’ Leute bis Ende April 1972 keinen Erfolg haben bei ihrer Suche nach Unterstützung, würde die Royal Naval Sailing Association (RNSA) das Rennen eben selbst austragen.
Pearce und Churchill wichen schon bald vom eingeschlagenen Kurs ab. Sie einigten sich mit der „Financial Times“ auf die Ausrichtung eines Rennens um die Welt, mit Zwischenstopp in Sydney. Dieses Rennen fand Jahre nach dem ersten Whitbread Round the World Race tatsächlich statt, lockte aber nur vier Teams an den Start und war zum Scheitern verurteilt.
In der Zwischenzeit trieb RNSA-Clubsekretär Pat Godber die Pläne voran. Er war es auch, der nach zähem und letztlich vergeblichem Werben um Geldgeber mit seinem Kontakt zur britischen Traditionsbrauerei Whitbread & Company den Durchbruch erzielte.
Whitbread unterstützte das Projekt finanziell und logistisch. Die Marine stellte ihre Basis in Portsmouth als Vorstart-Sammelpunkt zur Verfügung und spielte ohnehin die tragende Rolle mit ihren weltweiten Kontakten, den in der Organisation großer Ereignisse geübten Mitgliedern und herausragenden Kommunikationsmöglichkeiten.
Das Titelsponsoring Whitbreads konnte erfolgen, obwohl die Segelregeln der Zeit Werbung verboten. Die Yachten durften ausnahmsweise nach einem Sponsor benannt werden. Dieses Zugeständnis war der Tatsache geschuldet, dass die RNSA-Boote „Adventure“ und „British Soldier“ hießen. Eine solche Möglichkeit zur Image-Werbung sollte der Fairness halber allen Teams offenstehen. Genutzt wurde sie von „CSeRB“ (italienische Möbel), „Burton Cutter“ (britische Schneiderei-Kette), „33 Export“ (französisches Bier), „Kriter“ (französischer Wein) und „Great Britain II“ (als Werbung für ein Dampfschiff aus dem 19. Jahrhundert und eine damalige Touristenattraktion).
Ein Pistolenschuss eröffnete am 8. September 1973 die Whitbread-Saga im Geiste der Zeit: Ein buntes Feld von Serienschiffen machte sich auf, an Bord Amateure, Abenteurer und Studenten. Der Name prägte die schillernde Historie der Hatz um den Globus über ein Vierteljahrhundert. Schon dem siebten und letzten Rennen unter altem Namen aber hatte der kommende neue starke Sponsor Volvo seinen Stempel aufgedrückt: Die Regatta 1997/98 hieß ganz offiziell Whitbread Round the World Race for the Volvo Trophy. Es markierte die Übergangsphase.
Seit der achten Austragung 2001/02 managte der schwedische Automobilkonzern Volvo das Rennen. Und er begann, dieses Werbeinstrument konsequent weiterzuentwickeln. So wurde ein Großteil der extremen Südpolarmeer-Etappen nach und nach der Ansteuerung von kommerziell und medial relevanteren Häfen und Revieren geopfert. Das Rennen führte nicht mehr um alle drei, sondern nur noch um zwei Kaps. Aus dem an den Klipper-Routen orientierten Kurs wurde ein Zickzack-Parcours durch Atlantik, Indischen Ozean und Pazifik.
Zur Auflage 2014/15 wurde ein neues Boot eingeführt, der Volvo Ocean 65 (VO 65). Eine strikte Einheitsklasse, alle Komponenten kamen von denselben Herstellern, nichts durfte verändert werden. Das sparte den Teams die hohen Kosten für eigene Konstrukteure und Bootsbauer und erhöhte die Chancengleichheit für mehr Spannung während der Etappen. Der Einsatz dieser Boote war für zwei Auflagen geplant, doch in den vier Jahren bis zum Race 2017/18 passierte viel. Beim America’s Cup hoben die Boote ab, erreichten bis zu 50 Knoten. Auch bei der Vendée Globe, wo mit ähnlich großen Imoca 60 gesegelt wird, bekamen die Rümpfe Foils.
Dagegen wirkten die VO 65 mit ihrem Neigekiel und normalen Seitenschwertern fast schon altbacken, obwohl es beileibe keine zahmen Cruiser sind. Die Konkurrenz bei der Sponsorensuche wurde härter.
So sah sich Mark Turner, damaliger Hauptverantwortlicher auf der Organisatorenseite, zu einem ungewöhnlichen Schritt gezwungen. Schon Monate bevor das Volvo Ocean Race 2017/18 überhaupt startete, gab er den Wechsel zu einem neuen Bootstyp bekannt – sogar zu zwei neuen. So sollte ein neuer, 60 Fuß langer Einrumpfer konstruiert werden, der foilen sollte und sich mit geringen Veränderungen auch bei der Vendée Globe einsetzen ließe, damit künftige Teams mit derselben Ausrüstung beide Regatta-Schwergewichte bestreiten könnten. Zugleich sollte es einen neuen fliegenden Katamaran geben, mit dem die In-Port Races bestritten werden sollten, quasi wie Mini-America’s-Cups. Doch aus all dem wurde nichts.
Nach dem Rennen 2017/18 stieg Volvo als Titelsponsor aus. Für das Race begann eine neue Ära, eine Neuorientierung. Ursprünglich sollte schon 2021 gesegelt werden, doch da kam die Corona-Pandemie dazwischen. Zugleich wurde die zweite große Regatta um die Welt, die Vendée Globe, einhand gesegelt auf 60 Fuß langen Yachten der Imoca-Klasse, immer populärer, verzeichnete etliche Neubauten. Und immer mehr Rennställe hatten pandemiebedingt Probleme, die Budgets für eine Teilnahme zusammenzubekommen. So entschieden die Veranstalter, das Ocean Race für zwei Klassen auszuschreiben, für die 2014 eingeführten Volvo Ocean 65 und für Imocas, mit Crew gesegelt. Es meldeten jedoch lediglich fünf Imocas und sechs Volvo Ocean 65. Letztgenannte segeln außerhalb der Wertung einen verkürzten Kurs.
Dennoch, dieses Ocean Race war und ist die bekannteste Mannschaftsregatta um die Welt. So packend das Renngeschehen, so unglaublich, mitunter auch tragisch die Episoden, so namhaft die Protagonisten, die sich in der bald 50 Jahre andauernden Saga mit den Elementen gemessen haben.
Starke, bärenstarke Charaktere gaben dem Ocean Race ein Gesicht. Solche wie der „Fliegende Holländer“ Cornelis van Rietschoten mit zwei aufeinanderfolgenden Siegen auf „Flyer“ und „Flyer II“ als früher Pionier der Professionalisierung. Solche wie der 2001 bei einer Expedition in Südamerika von Piraten ermordete Sir Peter Blake, der zudem auch im America’s Cup dominierte. Bei seinem fünften Antritt 1989/1990 gewann er auf „Steinlager II“ jede einzelne Etappe. Das ist vor und nach ihm keinem Skipper gelungen. „Es war Zeit, dass wir den Everest bezwingen“, sagte Blake. Er nahm danach nie wieder am Ocean Race teil.
Der Traum vom Triumph hat auch Rekordteilnehmer Bouwe Bekking angetrieben – bei acht Starts in mehr als dreieinhalb Jahrzehnten. Doch das Rennen seines Lebens hat der Niederländer – wie einst Ivan Lendl Wimbledon – nie gewinnen können. Zuletzt fehlten Bekking 2018 mit „Brunel“ im spannendsten Finale der Ocean-Race- Geschichte ganze 23 Minuten und 20 Sekunden zum Sieg. Den sicherte sich Charles Caudreliers „Dongfeng“-Team. Beim Finish vor heimischer Kulisse musste Bekking zusehen, wie seiner Landsfrau Carolijn Brouwer als Teil von Caudreliers Crew im Zielhafen Scheveningen wie einer Königin gehuldigt wurde. „Das war das wichtigste Rennen meiner Karriere“, sagte sie. „Für mich ist ein Traum wahr geworden.“
Der eindrucksvolle Schlussakt am 26. Juni 2018 zeigte auf anrührende Weise aber auch, wie eng Triumph und Tragik beieinanderliegen. Im Schatten der Sieger reflektierte „Scallywag“-Skipper David Witt ganz leise die Tour de Force seiner Crew. „Ich bin unglaublich stolz auf mein Team, wir hatten viel zu überstehen. Ich bin aber auch sehr traurig, denn ich habe das Rennen nicht mit meinem besten Freund John Fisher beendet, mit dem ich gestartet bin.“
Fisher war am 26. März 2018 in einem schweren Sturm im Southern Ocean etwa 1.400 Seemeilen westlich von Kap Hoorn über Bord gegangen. Trotz intensiver Suche in harten Bedingungen konnte sein Team ihn nicht finden. Der 47-jährige Brite blieb verschollen.
Es war das bisher sechste Todesopfer, welches das Rennen seit seinem Bestehen gefordert hat. Zuvor kam bei der Kollision zwischen dem Team Vestas 11th Hour Racing und einem chinesischen Fischerboot im Januar kurz vor Zieldurchgang in Hongkong ein Fischer ums Leben.
Bis dahin war das Ocean Race zwölf Jahre ohne den Verlust von Menschenleben geblieben. Nun wurden Erinnerungen daran wach, dass die Segelgemeinde in der Nacht des 18. Mai 2006 den 32-jährigen Holländer Hans Horrevoets verloren hatte. Der lebensfrohe Jungunternehmer war 1.300 Seemeilen westlich von Land’s End von „ABN Amro Two“ über Bord gegangen. Er hinterließ seine schwangere Ehefrau Petra, die elf Monate alte Tochter Bobbi und schwer getroffene Crew-Kameraden, die ihn bergen, aber trotz Reanimationsversuchen nicht wiederbeleben konnten.
Nur zwei Tage nach dieser Tragödie waren es ausgerechnet die jungen Segler auf „ABN Amro Two“, die mit ihrem toten Crew-Kameraden an Bord zu Rettern wurden. Als am dichtesten gelegenes Boot eilten sie einem sinkenden Schiff zur Hilfe: Bouwe Bekkings „Movistar“, die nach Bruch der Kielaufhängung aufgegeben werden musste. Schutz fanden die Havaristen bei den Männern mit den schweren Herzen.
Seit der folgenden zehnten Edition erhält der beste Youngster in jedem Rennen die Hans-Horrevoets-Trophäe. Der Kieler Michi Müller hat sie bei seiner Ocean-Race-Premiere 2008/2009 erhalten.