Jochen Rieker
· 12.04.2023
Richard Brisius hat schon alle Facetten von The Ocean Race erlebt: 1989 und 1994 als Segler, später als Teamchef und jetzt als Eigentümer und Veranstalter der inoffiziellen Team-WM im Hochseesport. YACHT-Herausgeber Jochen Rieker traf ihn in Itajaí. Im Interview verrät Brisius, wie Boris Herrmann eine ganze Nation begeistert, warum vor dem Start der vierten Etappe noch alles offen ist und weshalb er die Etappen heute mehr genießen kann als je zuvor
Er steht frühmorgens um 6 Uhr am Schwimmsteg, als Charlie Enright mit “11th Hour Racing” festmacht. Er schlendert durch den Ocean Live Park, trifft sich mit Interessenten, die beim nächsten Ocean Race einen Etappen-Stopp ausrichten wollen. Selbst auf den Willkommens-Partys der Crews schaut er gelegentlich vorbei.
Die Tage von Richard Brisius sind eng durchgetaktet. Aber der Schwede bleibt stets ruhig, freundlich. Er hat ja auch schon alles erlebt in diesem Sport, auf jeder Position. Und im Moment läuft es für den Co-Gesellschafter, der zusammen mit Johan Salen das Rennen von Volvo übernommen hat, um es in eine neue Zukunft zu führen. Für die YACHT nahm er sich vorige Woche Zeit, eine Halbzeitbilanz zu ziehen. Hier ist sie!
Ganz und gar Fan! Das ist eine für mich interessante Wendung: Da ich so lange auf der Seite eines Teams stand, sei es als Segler oder als Teamchef, wollte ich immer gewinnen. Das ist dein Hauptziel. Aber seit ich in die Organisation der Veranstaltung eingestiegen bin, genieße ich die Gesamtheit des Rennens auf eine andere Art und Weise. Mit meiner neuen Rolle ist mein Interesse am Segeln wieder voll erwacht. Ich liebe es. Es ist ein schöner Sport.
Ich mache ab und an Wettfahrten und Überführungen. Aber nicht so viel, muss ich sagen. Ich habe mich in meinen jungen Jahren vermutlich zu sehr verausgabt … (lächelt)
Er übertrifft wirklich meine Erwartungen, von Anfang an. Vor Alicante wussten wir noch nicht, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie eventuell noch haben würde. Dann herrschte dort aber von Beginn an eine richtig tolle Stimmung, und es waren mehr Besucher da als jemals zuvor. Das war ein Auftakt nach Maß. Und das gilt seglerisch genauso! Die erste Etappe brachte gleich eine immense Herausforderung mit dem Sturm in der Straße von Gibraltar, dem die Boote nicht ausweichen konnten. Auch der Stopp auf den Kapverden hat uns positiv überrascht. Es war eine Premiere für das Ocean Race, die Inselgruppe anzulaufen. Und das Rennen hat das ganze Land verändert. Künftig ist dieser Stopp gesetzt. Wir werden definitiv wiederkommen!
Der Zieleinlauf in Kapstadt mit gefühlt einem Dutzend Führungswechseln am letzten Tag und dem engen Finish hätte kaum spannender sein können. Und jetzt liegt die längste Etappe hinter uns, alle Boote werden für die Etappe nach Newport bereit sein. Wir erwarten also einen guten Wettkampf bis zum Ende. Denn obwohl wir schon fast um den Globus sind, gibt es noch mehr Punkte zu vergeben als bis hierher. Das Transat von Newport und Århus zählt ja noch mal doppelt.
Das Rennen hatte immer ein Stammpublikum rund um den Globus. Und diese Fans sind wirklich wichtig. Aber wir ziehen auch neue Zuschauer an. Das hängt oft damit zusammen, woher unsere Teams kommen. Deutschland ist ein gutes Beispiel, denn Boris hat mit seinem Team Malizia das Rennen bei euch regelrecht wiedererweckt. Mehr als die Hälfte der Abrufe auf unserer Website kommen aus dem deutschsprachigen Raum.
Es zeigt, dass es eine zeitlose Idee ist, in einer sich ständig verändernden, immer digitaleren Welt im Team um den Globus zu segeln. Es liegt uns in den Genen. Es ist eine Idee, die uns den Atem raubt.
Das sehe ich auch in meiner Arbeit mit der Mange Olsson Memorial Foundation, benannt nach einer der größten Legenden des Ocean Race. Wir verleihen jedes Jahr einen Preis an die beste Person im Segelsport und vergeben außerdem Stipendien an junge Menschen. Sie sind meist zwischen 15 und 20 Jahre alt, und ihr Weg führt in der Regel über die olympischen Jollen-Klassen. Wenn ich mit ihnen über ihre großen Träume spreche, sagen viele, dass sie einmal um die Welt segeln wollen.
Ich bekomme übrigens auch sehr nette Rückmeldungen von älteren Menschen, die schon einmal an diesem Rennen teilgenommen haben und mir dafür danken, dass wir weitermachen. Das bedeutet mir so viel. Und das spüre ich auch bei Crewmitgliedern, mit denen ich vor mehr als 30 Jahren um den Globus gerast bin. Sie sind immer noch meine besten Freunde. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, in der wir uns jede Woche über das Rennen austauschen.
Ich bin immer beschäftigt. Es gibt so viel zu tun. Ich wünschte, es wäre anders. Aber jetzt ist es an der Zeit, die Zukunft des Rennens zu gestalten, mit den Verantwortlichen der Gastgeber-Städte zu sprechen. Es ist eine Schlüsselphase für uns!
Etwa 75 Prozent gelten dem aktuellen Rennen und 25 Prozent der Zukunft, würde ich sagen.
Das ist eine interessante Frage. Ich bin seit 20 Jahren an vorderster Front dabei, wenn es darum geht, Unternehmen in den Segelsport zu bringen und ihnen einen guten Nutzen zu bieten. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass wir uns ein wenig zurücknehmen müssen. Denn wenn die kommerzielle Seite zu sehr in den Mittelpunkt rückt, gibt es einen Kipppunkt.
Der Weg zum Erfolg führt über die Zusammenarbeit, über gute Partnerschaften. Ich habe in meiner Zeit als Teamleiter gesehen, wie wichtig es ist, den richtigen Partner zu haben. Es geht dabei nicht nur um Geld. Man schafft gemeinsam einen gewissen Geist, man jubelt gemeinsam, man profitiert voneinander.
Wir arbeiten ja mit verschiedenen Interessengruppen zusammen: den Teams und den Austragungsstädten, die beide sehr wichtig für uns sind, außerdem Partnern und angeschlossenen Organisationen. Unsere Aufgabe ist es, sie alle zu unterstützen und gemeinsam Werte zu schaffen. Je neutraler wir dabei sind, desto besser können wir auf alle eingehen.
Dass es „The Ocean Race“ heißt, haben wir uns nicht nur selbst ausgedacht, es war eine gemeinsame Entscheidung mit Volvo, dem bisherigen Besitzer und Ausrichter. Für sie ist und war es wichtig, dass das Rennen eine gute Zukunft hat. Und Volvo war wie wir auch der Meinung, dass die Umbenennung besser passt.
Ich denke, ja. Das ist unsere Absicht. Wenn wir den richtigen Partner hätten, einen, der das Ocean Race für alle Beteiligten voranbringen könnte, würden wir vielleicht wechseln. Aber sicher nicht nur für eine Ausgabe.
Vor fünf Jahren haben wir die Strategie festgelegt, das Rennen zu öffnen. Fast alle Mitglieder der Imoca-Klasse stimmten damals für das Ocean Race. Danach dachten wir, dass sich viele Teams anmelden würden. Aus verschiedenen Gründen – Covid, Budget, Ambitionen – war es offenbar nicht für alle geeignet. Aber wir sind zufrieden mit dieser Ausgabe und sicher, dass wir 2026/27 mehr Boote am Start haben werden.
Als Rennveranstalter müssen wir natürlich das Radar offen halten. Im Laufe der 50 Jahre hat es eine Reihe von Klassen im Ocean Race gegeben. Und wir wollen uns anderen Ideen oder Konzepten nicht verschließen. Aber die Imocas sind sicher der Weg, den wir vorerst gehen wollen.
Langfristig könnte es sogar eine neue Klasse geben, was wir schon dreimal mit den 60ern, 70ern und dann den VO65ern gemacht haben. Das ist eine gute Sache, aber auch eine ziemliche Herausforderung.
Was uns an der Imoca-Klasse gefällt: Es ist ein bestehendes Ökosystem, es ist eine ernst zu nehmende Klasse, basierend auf Regeln, die viele Iterationen durchlaufen haben. Und wie eng die Rennen waren – wer hätte das erwartet?! Das wurde ja mal als ein großer Vorteil von One-Design-Klassen angesehen. Aber tatsächlich kreisen die Boote dort wie ein Bienenschwarm um den Globus; wenn man den Tracker anschaut, passiert nicht viel ... Hier in der Imoca-Klasse wechselt die Führung so oft, das macht es noch spannender.
Beim Start in Kapstadt hatte ich das Gefühl – sowohl als Organisator als auch als ehemaliger Wettkämpfer –, dass man nie vergessen sollte, wie ernst diese Etappe sein kann, was auf dem offenen Meer alles passieren kann, wenn menschlicher Ehrgeiz und Spitzentechnologie zusammenkommen. Ich habe mir eine sichere Passage gewünscht. Und die haben wir bekommen. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass alles gut gegangen ist.
Aber wir sollten nicht davon ausgehen, dass die Sache damit erledigt ist. Die nächsten Etappen können auch noch mal hart werden.