Tatjana Pokorny
· 26.02.2023
Ein Bilderbuchstart von Team Biotherm. Winde zwischen null und 45 Knoten! Abwechselnd rasende und wieder stehende Boote. Bruch an Bord bei zwei Teams. Dieser Start zur Königsetappe im Ocean Race war alles, nur nicht gewöhnlich. Team Malizia und Team Guyot kamen gut davon …
Die längste Etappe in der Geschichte des Ocean Race läuft. Vor Kapstadt begann der dritte und härteste Abschnitt der Weltumsegelung am Sonntag pünktlich um 13.15 Uhr deutscher Zeit. Geprägt waren die ersten Stunden des Southern-Ocean-Marathons von extrem schwankenden Winden und technischen Problemen bei mehreren Teams.
Auftakt-Gewinner der “Monster-Etappe” waren Boris Herrmanns Team Malizia, das Guyot Environnement – Team Europe und Team Holcim – PRB, die sich in den skurrilen Bedingungen des tückischen Tafelberg-Reviers wacker hielten. Team Malizia und Team Guyot lagen vorn, als der Wind vorübergehend ganz einschlief und die dezimierte Flotte eine ganze Weile vor der Kapstadt-Kulisse umherdümpeln ließ. Als die Boote langsam wieder in Fahrt kamen, lagen die deutschen Akteure zunächst weiter gut im Rennen.
Andere Teams hatten Probleme. Die Start-Sieger vom Team Biotherm mussten mit technischen Problemen in den Hafen zurückkehren, wo sie laut Reglement bis zum möglichen Neustart mindestens zwei Stunden abzuwarten hatten. “Wir haben heute zwischen null und 45 Knoten Wind erlebt – verrückt”, sagte Paul Meilhat, der die Reparaturen auf “Biotherm” als “keine Riesensache” beschrieb. Dennoch war zunächst unklar, ob die zwei Stunden minimaler Verweildauer den Franzosen zur Behebung der Schäden reichen würden.
Auch das Team 11th Hour Racing musste das Rennen unterbrechen, um zwei Großsegellatten zu ersetzen, deren Endbeschläge abgebrochen waren. Die Amerikaner nahmen nach kurzer interner Diskussion zwei “Strafstunden” auf See in Kauf, um sich Ersatzmaterial von außen bringen lassen zu dürfen. Teammanager Mark Towill erklärte: “Wir haben zwar Ersatzteile an Bord, aber die wollen wir mit Blick auf 35 Tage im Southern Ocean nicht jetzt schon einsetzen.”
Rund drei Stunden nach dem Start führte am späten Sonntagnachmittag Kevin Escoffiers Team Holcim – PRB die dezimierte Flotte mit knapp vier Seemeilen Vorsprung vor der co-favorisierten “Malizia – Seaexplorer” an. Sieben Seemeilen Rückstand hatte das Guyot Environnement – Team Europe mit dem Berliner Co-Skipper Robert Stanjek auf das führende Boot. Cahrlie Enrights 11th Hour Racing Team hatte das Rennen zu dem Zeitpunkt wieder aufgenommen und rund zehn Seemeilen Rückstand auf Team Holcim – PRB aufzuholen. Team Biotherm hatte die Reparaturen noch nicht abgeschlossen.
Am Vormittag hatte noch wenig darauf hingewiesen, was für ein verrückter Start es werden würde. Boris Herrmann und seine Crew mit Navigator Nico Lunven, Will Harris und Rosalin Kuiper hatten sich unter viel Jubel und voller Vorfreude aus Kapstadt verabschiedet.
Kurz vor dem Ablegen hatte der 41-jährige Herrmann in bester Segeltradition jeweils einen Schuss Karibik-Rum ins südafrikanische Hafenwasser, aufs Deck seiner Rennyacht und lachend auch auf die Kappe von Teamkameradin Rosalin Kuiper gegossen. Der Schlachtruf des Mannes, der seine sechste Kap-Hoorn-Passage ansteuert: “Wir sind bereit. Unser Boot ist bereit. Die Etappe kann kommen.”
Boris Herrmann wirkte locker und entspannt vor dem Start. Er sagte: “Ich fühle mich heute gut, die Crew auch. Wir haben großes Vertrauen in die Arbeit, die das Team mit dem Schiff hier geleistet hat. Ich freue mich, an Bord zu gehen. Der Start hier ist sehr emotional, und wir sind bereit für dieses große Abenteuer.”
“Guyot”-Co-Skipper Robert Stanjek blickte seiner Kap-Hoorn-Premiere und den neuen Erfahrungen mit Vorfreude und Respekt entgegen: “Wir segeln durch die feindlichsten Wetterbedingungen, die dieser Planet zu bieten hat. Es ist alles ein bisschen härter, größer und natürlich kälter.” Die Sicherheitsvorkehrungen seien mit Blick auf diese Seegebiete enorm. Stanjek berichtete: “Wir haben Schulungen und Briefings zu Sicherheitsfragen absolviert – sei es medizinisches Training, aber auch Krisenmanagement bei größeren Materialbrüchen. Wir haben Abläufe geprobt und Maßnahmen für alle Eventualitäten an Bord ergriffen. Dazu haben wir eine erfahrene Crew. Ich bin im Southern Ocean der einzige Neuling bei uns an Bord.”
Bedenken dürften jedoch laut Stanjek nicht die Gedanken lähmen. Er sagt: “In gewisser Weise muss man eine Kammer finden, in der die menschlichen Sorgen weggesperrt sind. Es bleibt natürlich ein Risiko. Eine schwere Verletzung kann schon kompliziert sein. Aber es ist auch ein gutes Abenteuer, dort hinunter zu gehen. Schließ deine Augen, und marschiere da durch! Es wird schon gut gehen. Es ist die Königsetappe, die DNA dieses Rennens.”
Vor der zunächst etwas gerupften Ocean-Race-Flotte liegen 12.750 stürmische und eiskalte Seemeilen bis in den brasilianischen Etappenhafen Itajaí. Die knapp 24.000 Kilometer lange Rennstrecke im Südmeer führt zu etwa drei Viertel um die Antarktis. “Diese Etappe steht für Ausdauer und Brutalität”, sagte Weltumseglerin und Eurosport-Co-Kommentatorin Dee Caffari, bevor die Flotte auf ihrem Kurs der drei Kaps nach und nach am Horizont verschwand.
Schon in der ersten Nacht zum Montag erwartet die Flotte ein erster Starkwind-Härtetest mit 23 bis 30 Knoten Wind. In den kommenden Tagen gilt es dann, sich zum großen Hochdruckausläufer zu positionieren und wichtige Strategie-Entscheidungen zu fällen.
“Man kann durch das Hoch durchsegeln, um schnellstmöglich nach Süden zu kommen, oder aber um es herum navigieren. Wenn jedoch das erste Team nach Süden geht, werden die anderen vermutlich folgen, weil niemand zurückbleiben will”, erklärte Dee Caffari. Christian Dumard, offizieller Wetterberater für das Ocean Race, bestätigte: “Wenn sich eine Crew nach Süden orientiert, könnten die anderen aus Angst folgen, einen erfolgreichen Trick zu verpassen.”