Tatjana Pokorny
· 20.02.2023
Boris Herrmanns Team Malizia sehnt die Ocean-Race-Königsetappe herbei. Eine Woche vor Beginn des dritten Abschnitts der Weltumsegelung kann das Segel-Quartett es kaum erwarten, in den Härtetest entlang der drei großen Kaps zu starten. Die Stimmung im Team ist optimistisch, den vierten Platz im Klassement verbessern zu können
Normalerweise neigt Boris Herrmann bei Prognosen eher zur Zurückhaltung. Doch bei der Vorschau auf die anstehende Mammut-Etappe der Weltumsegelung kann und will der 41-Jährige seine Vorfreude und seinen Optimismus nicht verbergen. “Ich freue mich auf die dritte Etappe, weil ich daran glaube, dass wir sehr gut performen und vielleicht sogar gewinnen können”, sagte der 41-Jährige bei einer Pressekonferenz seines Teams am Montag in Kapstadt.
Der 12.750 Seemeilen lange Südmeer-Kurs von Kapstadt entlang der drei Kaps ins brasilianische Itajaí ist dem Imoca “Malizia – Seaexplorer” auf den Rumpf geschneidert. Zumindest dann, wenn die Bedingungen etwa die sein werden, die man von einem Mammut-Ritt durch den Southern Ocean erwarten darf. “Es geschieht nicht oft”, sinniert Herrmann, “dass du ein Programm laufen hast, bei dem die Bedingungen so gut zusammenkommen.”
Gemeint ist damit sein Boot, das mit inzwischen doppelt verstärkten Foils in den Härtetest geht und laut Herrmann “hundertprozentig fit” an der Startlinie aufkreuzen wird. Der robusten deutschen Starkwind-Rakete wird intern wie extern eine Gala-Vorstellung auf Etappe drei zugetraut. Gemeint hat Herrmann mit seinem Optimismus aber auch Team Malizias Segelgarderobe, die im Gegensatz zur Konkurrenz bislang keine nennenswerten Schäden davongetragen hat. “Unser Großsegel ist mehr verstärkt als das der anderen”, erklärt Co-Skipper Will Harris, “das mag ein bisschen mehr Gewicht mit sich bringen, aber man sieht ja, welch’ üblen Ärger die anderen schon mit ihren Großsegeln hatten.”
Natürlich wissen Boris Herrmann und sein Team, dass im Segelsport auf höchstem Weltniveau auch alles anders kommen kann. Der 41-jährige Hamburger sagte: “Wenn wir auf Etappe drei bestimmte Bedingungen erleben, könnte es sehr zu unseren Gunsten laufen. Aber da kann man natürlich nie sicher sein. Wir könnten nach dem Start in Kapstadt auch leichte Winde bekommen. Oder mitten auf der Etappe ein riesiges Hochdruckgebiet erleben. Wir könnten auch am Ende rund Kap Hoorn segeln und dort stecken bleiben …”
Lieber als solchen Gedanken zu folgen, freut sich Boris Herrmann aber auf sein Comeback in der Rolle als Skipper. Sein auf Etappe eins verbrühter Fuß sei sehr gut verheilt. Herrmann lobte das südafrikanische Gesundheitssystem und sagte: “Ich habe einen sehr guten Brandwundenspezialisten gefunden. Die Verletzung ist schneller verheilt, als es mit klassischer Schulmedizin möglich gewesen wäre.”
Neben dem Wettkampf freut sich der Südmeer-Lover auf eine besondere Begegnung: “Ich hoffe, wir passieren Kap Hoorn so, dass wir es in guter Position erreichen und sehen können. Manchmal hält einen das Wetter zu weit weg. Es ist eine so coole und legendäre Landmarke!” Die Mammut-Etappe entlang den drei Kaps – dem südafrikanischen Kap der Guten Hoffnung, dem australischen Kap Leeuwin und Kap Hoorn – startet am 26. Februar. Die Crews werden rund einen Monat nonstop und meist im Southern Ocean um doppelte Punkte kämpfen.
Dass diese Punkte zur Hälfte am 143. östlichen Längengrad und zur Hälfte im Ziel vergeben werden, gefällt Boris Herrmann gut: “Ich mag dieses Konzept und freue mich, dass wir da nicht stoppen. Wir werden auf diese Weise die Chance haben, ganz in unsere Blase, in unseren kleinen Mikrokosmos an Bord einzutauchen. Niemand in Neuseeland oder Australien oder wo auch immer zieht uns da raus. Weitersegeln ist cool. Und es ist auch eine interessante Aufgabe im Rennen, die beim ersten Wegpunkt eingefahrenen Punkte zu konsolidieren. Das gibt mehr Sicherheit. Wenn die Etappe nur am Ende die doppelte Punktzahl gäbe, wäre es sehr nervenaufreibend.”
Team Malizia setzt für die dritte Etappe vor allem auf drei Segel, wie Boris Herrmann erklärt: “Wir haben drei sehr gute und effiziente Downwind-Segel: zwei verschiedene Code Zeros und dann ein kleineres Code-Segel (Fractional Zero) mit einem kürzeren Vorliek, das an einem niedrigeren Fall gesetzt wird. Diese drei Segel werden vermutlich rund 80 Prozent der Etappe bestreiten. Wir erwarten, diese Segel intensiv zu nutzen. Von denen wollen wir keins verlieren.”
Insgesamt ist Boris Herrmann mit der Segelgarderobe seines Teams bislang hochzufrieden: “Wir glauben nicht, dass wir einen großen Austausch vornehmen müssen, um die Zuverlässigkeit unserer Segel auf der kommenden Etappe zu sichern. Sie sind gut in Form, wurden vom Team während der Etappen gut gemanagt. Auf der letzten Etappe wurde kein Segel beschädigt. Die kamen alle in gutem Zustand hier in Kapstadt an.” Mit insgesamt 13 Segeln darf ein Team beim 14. The Ocean Race operieren. Acht dürfen pro Etappe an Bord sein.
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Spannend wird mit Blick auf Etappe drei sein, wie hoch die Wettfahrtleitung die Eisgrenze in Relation zur jeweils aktuellen Eisgefahr nach Norden ziehen wird. “Je höher die Eisgrenze geht, desto schmaler wird unser Segelkorridor”, sagt Team Malizias Navigator Nico Lunven. Der Franzose erklärt: “Auf dieser Etappe segelt man im Südmeer wie in einem Korridor. Nach Süden ist er von der Eissperrzone begrenzt, nach Norden von einer Art Hochdrucksperrzone. Je höher also die Eisgrenze gezogen wird, je enger wird der Korridor mit seinen Westwinden, in dem du bleiben willst.”
Die andere theoretische Formel, die an diesem Szenario dranhängt, könnte Team Malizia treffen: Wird die Eisgrenze hochgezogen, bleibt möglicherweise weniger Raum zum Segeln in sehr starken Winden. Nico Lunven nickt und sagt: “Richtig ist, dass es für uns nicht so gut ist, wenn das Eis-Limit zu weit in den Norden gezogen wird.”
Für den brutal kalten Südmeer-Marathon hat Team Malizia nach den Erfahrungen der ersten Etappen aufgerüstet: “Mehr Honig, mehr Käse, mehr heiße Schokolade und mehr Lagen für die Schlafsäcke”, sagt Malizia-Seglerin Rosalin Kuiper spontan. Die Sportpsychologin fiebert der Etappe dennoch entgegen: “Ich freue mich am meisten darauf, in unsere Blase an Bord zurückzukehren.”
Den Antrieb dafür beschrieb Rosalin Kuiper so: “Als wir in Kapstadt angekommen waren, habe ich mich etwas verloren gefühlt. Ich hatte das Gefühl, dass ich mein Zuhause verlassen musste. Wir hatten so einen schönen Flug und ein einfaches Leben mit strikten Routinen an Bord. Dann kommst du an Land, und da sind diese vielen Einflüsse von außen … Deswegen freue ich mich so sehr auf Sonntag, aufs Ablegen, auf die Rückkehr in den Wachrhythmus und das normale Leben an Bord.”
Philosophisch beantwortete Nico Lunven die Frage danach, auf was er sich in Gedanken an die “Monster-Etappe” am meisten freut: “Mich reizen die entlegenen Reviere der Welt. Dass du dort spüren kannst, dass es eine große Chance ist, mit einer Mannschaft dort sein zu dürfen. Du fühlst einerseits, dass du dort gar nicht sein solltest. Andererseits hast du die Gelegenheit, es dennoch zu sein. Das ist für mich ein ganz besonderes Gefühl.”