Vor Genua ist der Startschuss zur letzten Etappe im Ocean Race Europe gefallen. In sehr leichten Winden sind die “Ocean’s Seven” im heißen italienischen Spätsommer im Zeitlupentempo über die Startlinie gekrochen. Rund 2000 Seemeilen lagen auf Kurs Zielhafen Boka Bay voraus.
Mit keiner Handvoll Knoten Bootsgeschwindigkeit unterwegs, werden die Imocas so schnell nicht dem teilweise sogar spiegelglatten Ligurischen Meer im Dreieck von Genua, Monaco und Pisa entkommen. Hier waren in den ersten Etappenstunden kaum irgendwo mehr als zwei bis vier Knoten Wind zu finden. Ernsthafte Linderung scheint erst ab Dienstag in Sicht zu sein.
Über mehr als eine Woche werden die Crews im Mittelmeer und in der Adria gefordert sein. Dabei segelt die mit 41 Punkten souverän führende französische “Biotherm” mit Skipper Paul Meilhat ihrem wahrscheinlichen Sieg “ruhig, aber nicht lässig” entgegen, wie es in einem Team-Statement hieß. Dahinter könnten sich gleich mehrere spannende Duelle entspinnen: “Paprec Arkéa” und “Holcim-PRB” ringen bei 1,3 Punkten Differenz um Europa-Silber.
Boris Herrmanns Team Malizia wird bei nur einem Zähler Rückstand auf “Allagrande Mapei” versuchen, die Italiener anzugreifen und wieder auf Platz vier vorzurücken. Zu Team Holcim-PRB auf Platz drei beträgt der Rückstand der Malizianer aber schon 9,3 Punkte. Alan Rouras Team Amaala hätte sechs Punkte auf Canada Ocean Racing – Be Water Positive aufzuholen, um die rote Laterne des Schlusslichts noch loszuwerden.
Maximal 16 Punkte sind mit Siegen auf Etappe fünf, zwei Bonuspunkten für das schnellste Boot am Wertungstor auf dem Breitengrad der Insel Santo Stefano im Thyrrenischen Meer und dem Sieg im Küstenrennen am 20. September im Revier von Boka Bay noch zu holen. Die Flotte wird etwa acht Tage nach dem Start am 15. September in Boka Bay erwartet. Das Klassement nach vier Etappen findet sich hier.
Team Malizias Crew hat sich für den Showdon neu organisiert: „Francesca, Cole und ich segeln in einem Wachsystem, während Will frei von den Wachen ist und sich voll und ganz auf die Navigation konzentrieren kann, wobei er wie beim Einhandsegeln kurze Nickerchen macht“, erklärte Boris Herrmann. „Auf diese Weise kann er das Wetter ständig im Auge behalten, ohne den Stress, wichtige Momente aufgrund von Schlaf zu verpassen. Wir denken, dass dies unter den Bedingungen im Mittelmeer die bessere Methode sein könnte.“
Wir wollen unbedingt mehr Punkte auf dem Konto haben, deshalb streben wir ein starkes Ergebnis an.” Francesca Clapcich
Zum Hintergrund der Entscheidung erklärte Francesca Clapcich, die “Malizia – Seaexplorer” nach dem Ocean Race Europe als Skipperin auf dem Weg zu ihrer Vendée-Globe-Premiere übernimmt: “Das Mittelmeer und die Adria sind schwierige Gewässer, insbesondere für Boote wie unseres, daher wird es nicht einfach werden. Will wird es als Navigator nicht leicht haben, aber wir alle unterstützen ihn und versuchen, das Boot so schnell wie möglich zu segeln, die Segel richtig zu trimmen und eine gute Stimmung an Bord zu bewahren.“
Will Harris nahm die neue Rolle gerne an, sagte: „Normalerweise übernehmen das andere Segler wie Justine, Loïs oder Francesca, aber da ich zwei Etappen pausiert habe, hatte ich mehr Zeit, mich vorzubereiten. Es wird lang und intensiv werden, aber ich glaube auch, dass wir an Bord der ‘Malizia – Seaexplorer’ sehr gut unseren Rhythmus finden. Das ist bei längeren Rennen normalerweise unser Vorteil.”
Mit Blick auf die Zwischenstände im Ocean Race Europe sagte Will Harris: “Nach den Ergebnissen war es bisher ein schwieriges Rennen für uns. Wir wussten, dass es mit einer so starken Flotte hart werden würde, aber es wäre schön, mit einem guten Ergebnis abzuschließen. Wir werden unser Bestes geben und sehen, was wir erreichen können.“
Die am Freitagmorgen bekannt gegebene Strecke sieht vor, dass die Flotte von Genua nach Süden segelt und Korsika, Sardinien und Sizilien passiert, bevor sie nach Süden in Richtung Griechenland fährt und dann wieder nach Norden in die Adria abbiegt. Den Kurs hat die Wettfahrtleitung mit einer Reihe von Wegpunkten entlang der Strecke gespickt.
Die angkündigten extrem leichten Winde erlebten die Teams auch Stunden nach dem Start weiter. Im Pulk von Leidensgenossen bewegten sie sich von Genua aus am frühen Sonntagabend etwa auf Höhe von Savona nach Südwesten. “Wir werden vom Start heute Nachmittag bis Dienstag extrem leichte Winde haben“, hatte “Frankie” Clapcich das XXL-Flautenszenario für gute Nerven beschrieben.
Wir werden um jede Windböe und jedes bisschen Beschleunigung kämpfen. Es wird schwierig werden, aus der Bucht von Genua herauszukommen.” Francesca Clapcich
Die Hoffnung der Italo-Amerikanerin: “Hoffentlich können wir im Golfe du Lion etwas Wind erwischen, der uns hilft, Geschwindigkeit aufzubauen.“ Das Zauberwort in der bleiernen Flaute heißt Santo Stefano. Auf dem Längengrad der nordöstlich von Sardinien gelegenen Insel liegt auf dieser Etappe das Wertungstor für die Bonuspunkte.
Will Harris sagte: „Dort könnten wir auf neue Mistralwinde treffen. Wer den klassischen starken Mittelmeerwind zuerst erwischt, könnte von fünf Knoten auf 25 oder 30 Knoten beschleunigen. Das könnte zu einer ersten großen Trennung in der Flotte führen.”
Sinnvolle Prognosen und langfristige Etappenpläne seien jedoch, so die Meinung in der Flotte und auch die von Francesca Clapcich, “jenseits des Südens von Sardinien verfrüht”, weil sich das Wetter im südeuropäischen Revier ständig verändere. “Wir erhalten alle paar Stunden neue Vorhersagen”, so Clapcich, “daher ist es entscheidend, das Beste aus diesen ersten 48 Stunden zu machen, an der Spitze zu bleiben, nicht in Rückstand zu geraten und das zu tun, was wir für richtig halten. Wir werden auch um das Wertungstor kämpfen, das zwei Punkte wert ist.”
Wir brauchen alle Punkte. Es wird sehr interessant werden.“ Francesca Clapcich
Ein wenig Melancholie schwang bei Boris Herrmann vor dem Start dieser letzten Etappe des letzten großen Rennens mit seiner “Malizia – Seaexplorer” mit. Er hat das Boot stark mitentwickelt und einmal gesagt, dass es immer “mein wichtigstes Boot” bleiben würde. Jetzt sagte Herrmann in Genua: „Das ist mein letztes Offshore-Rennen mit diesem Boot, und ich möchte es mit einem Höhepunkt beenden. Danach werden wir die Schlüssel an Francesca übergeben.” Es sei sein “größter Wunsch, wieder auf das Podium zu kommen und eine starke Etappe zu segeln”.