1159 bewegte und bewegende Tage werden es am kommenden Samstag vom Stapellauf am 19. Juli 2022 bis zum letzten Rennen von Boris Herrmann als Skipper seiner „Malizia – Seaexplorer“ gewesen sein. Dannn schließt sich eines der wichtigsten Kapitel in der Segelkarriere des sechsmaligen Weltumseglers. Er übergibt das Steuer der von ihm stark mitentwickelten VPLP-Imoca an die in Italien geborene und aufgewachsene Francesca Clapcich, die heute mit ihrer Familie in den USA lebt.
Die neue Skipperin und ihr Team 11th Hour Racing übernehmen das Boot, das aber auch in Zukunft von Team Malizia mitgemanagt und sein Zuhause im Hangar von Team Malizia im Hafen La Base in Lorient haben wird. Dann aber unter seinem neuen Namen „11th Hour Racing“. Im ausführlichen Interview erzählt die 37 Jahre alte Italo-Amerikanerin Frankie Clapcich auch, warum sie sich auf dem Kurs zu ihrer ersten Vendée Globe für Boris Herrmanns Boot entschieden hat.
Zuerst einmal war es schön, dass das Team mich gerne an Bord genommen und in die Crew aufgenommen hat. Ich genieße es, Zeit mit dem Team und auch mit dem Techteam zu verbringen. Sie haben eine gute, natürliche Art. Alle zusammen arbeiten wir sehr hart. Für mich war das Ocean Race Europe eine massive Möglichkeit, das Boot richtig gut kennenzulernen. Ich bin auch in Etappenhäfen jeden Tag zum Boot gegangen, um zu lernen.
Ich habe viel Zeit mit dem Techteam verbracht, gefragt, womit sie sich gerade befassen, warum sie sich mit diesem oder jenem Thema auseinandersetzen. Sie haben mir alles gezeigt. Wie jedes Detail funktioniert. Dann denkst du, ah, du hast wieder eine Sache verstanden. Am nächsten Tag trifft du den Rigger und er zeigt dir etwas anderes, und du weißt wieder etwas Neues. Es ist eine großartige Art, direkt von den Jungs zu lernen.
Einige von ihnen haben das Boot gebaut. Sie kennen es in- und auswendig.” Francesca Clapcich
Ich habe viel Zeit mit Will Harris auf dem Boot verbracht. Wir haben zusammen die Qualifikation fürs Transat Café L‘Or im Herbst gesegelt: 1000 Seemeilen zweihand. Das war eine gute Chance, in Ruhe an Bord zu arbeiten, weil wir nur zu zweit waren. Er war es auch, der sagte, wir sollten uns alle drei Stunden abwechseln. sodass jeder von uns Solo-Zeit mit dem Boot hat.
So könne ich solo Manöver durchführen und anfangen darüber nachzudenken, wie ich es machen will. Wir waren schnell, haben mehr als 1000 Seemeilen in zwei Tagen gemacht. Zu einem Punkt haben wir Durchschnittsgeschwindigkeiten von 28 Knoten erreicht. Da habe ich angefangen darüber nachzudenken, ob wir vielleicht den 24-Stunden-Rekord brechen können.
Besonders, wenn es eng zugeht (grinst)! Es gibt auch keinen Unterschied zwischen Leuten, die für Olympia gearbeitet haben oder es zu Olympia geschafft haben. Da ist kein Unterschied in der Arbeitsethik. Es ist grundsätzlich eine sehr gute Schule.
Ich denke, da sind Unterschiede. Aber es ist auch von den Leuten abhängig. Es gibt viele typische, reine Offshore-Segler, die extremes Durchhaltevermögen haben, die sehr pushy sind. Das hat auch mit der Persönlichkeit zu tun, wie du deinen Sport angehst. Ich glaube, Will hat auch keinen olympischen Background. Ihn habe ich als stark fokussiert erlebt. Er gibt die ganze Zeit Gas.
Vielleicht, dass du der menschlichen Seite eine höhere Priorität einräumst? Für mich klingt es ziemlich crazy, wenn ich Geschichten von Skippern höre, die die Vendée Globe machen, aber niemals einen physischen Test gemacht haben, um etwa zu wissen, wie viele Kalorien sie verbrauchen. Oder nie getestet haben, wie fit sie sind. Das klingt für mich verrückt.
Natürlich geht es ums Boot. Aber ab einem Punkt auch sehr um den Menschen.” Francesca Clapcich
Wie kannst du so viel darüber nachdenken, wie du dein Boot baust, aber nicht über deinen mentalen und physischen Zustand? Für mich ist das seltsam. Ich arbeite schon jetzt daran. Ich habe ein Team von drei Leuten: Einer ist ein Physiotherapeut und Ernährungsberater, einer ist Mentalcoach und einer ist ein Trainer. Wir wollen in einer ganzheitlichen Weise miteinander arbeiten: Wie kannst du die beste Version deiner selbst sein?
Die anderen Dinge werden sowieso passieren. Das Boot wird Bruch haben und du musst es fixen. Du hast viel Wind, starken Wellengang. Das alles ist das Umfeld. Aber wie kannst du wirklich auf der Höhe deines Spiels sein? Für mich ist dieser Bereich sehr wichtig. Und ich glaube, das kommt von meinem Background vom olympischen Segeln.
Ich glaube, es ist ein Mix. Wir haben definitiv Fehler gemacht. Wenn man beispielsweise ‚Biotherm‘ ansieht: Sie haben einfach weniger Fehler gemacht als alle anderen. ‚Holcim-PRB‘ hat einige Fehler gemacht. Jeder macht Fehler. Auch die Gewinner. Aber es geht um die Anzahl der Fehler. Aber natürlich macht es die Tatsache, dass wir keine OneDesign-Boote haben, wirklich schwer zu verstehen, wie viel am Boot hängt.
Auch für uns. Wir schauen uns die Zahlen an und sehen, dass wir auf dem Papier weit über der Maximalleistung des Bootes segeln, bei 105 oder 110 Prozent der maximalen Leistungserwartung beispielsweise. Du weißt also theoretisch, dass du besser bist…
Es gab mehrere Gründe, nicht nur einen starken Punkt. Zuerst einmal wollte ich kein neues Boot bauen. Wir haben in meinem Team und mit den Sponsoren darüber gesprochen. Wir haben alle verschiedenen Optionen auf den Tisch gepackt. Ein Neubau war natürlich eine Option, aber ich bin keine Ingenieurin, habe nicht den Hintergrund fürs Bootsdesign oder eine starke Meinung dazu, wie es genau zu bauen wäre.
… ja, ich bin in Jollen aufgewachsen, habe einen Abschluss in Sportwissenschaften. Ich bin keine Ingenieurin. Ich hatte das Gefühl, es würde eine massive Verantwortlichkeit und massiven Stress für mich bringen, ein neues Boot bauen zu müssen, ohne wirklich eine komplette Vorstellung davon zu haben, was ich will und wie ich es will. Diese Option ging also schnell vom Tisch.
Punkt zwei war, dass ich so schnell wie möglich segeln wollte. Es war für mich sehr wichtig, direkt mit dem Racen beginnen zu können. Es war ein großes persönliches Ziel für mich, schon in diesem Jahr das Transat Café L’Or zu bestreiten. Für das Rennen standen nicht so viele Boote zur Verfügung.
Der dritte Punkt war zu versuchen, Teil eines Teams zu werden, das schon etabliert ist.” Francesca Clapcich
Es ist für mich das erste Mal. Ich will die Vendée Globe machen und habe nicht viel Erfahrung im Solosegeln. Ich komme nicht schon mit einer vollen Tech-Mannschaft, nicht mit einem ganzen eigenen Team. Deswegen war es für mich wichtig, ein gutes Team zu finden, das einen Skipper hat, der die Vendée Globe mehrmals gesegelt ist. Ein Team, das ein Camp und eine Struktur hat. Und als Seglerin Teil des Teams zu sein.
Dazu kommt natürlich das Boot selbst: Wenn alles gut läuft und ich mich qualifiziere, wird es meine erste Vendée Globe sein. Für mich ist die Top-Priorität, das Rennen zu beenden. Und ich will es mit einem guten Ergebnis beenden. Ich mache das nicht nur fürs Abenteuer. So ein Mensch bin ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass es ein extrem zuverlässiges Boot ist. Es hat außergewöhnliche Leistungen in starken Winden und Wellen gezeigt. Das hat für mich hohe Priorität. Du gehst in den Southern Ocean und hast für ein Drittel des Rennens oder ein bisschen mehr ein Boot, das du wirklich pushen kannst.
Ich habe während der Vendée Globe angefangen, ein bisschen mit Boris zu sprechen. Während er segelte. Ich fragte, hey, was denkst du darüber? Er fand es spannend. Er teilt auch immer viel von seiner eigenen Erfahrung. Für mich sind Boris und das ganze Team sehr offen, sehr international. Das ist mir wichtig. Ich bin keine Französin, ich lebe nicht in Frankreich und meine Familie lebt auch nicht in Frankreich.
Ehrlich, ich wollte nicht mein Leben komplett auf den Kopf stellen. Ich weiß, dass es für meine Familie echt hart wäre. Ich wollte ein Team, das international ist und versteht, dass die Skipperin keine französische Skipperin ist. Ich wollte eine Balance im Leben finden. Ich wollte meine Familie nicht pushen müssen, mir zu folgen und in Frankreich zu leben. Und ein Leben aufbauen, dass sie nicht wollen. Für mich ist es sehr wichtig, Zeit mit meiner Familie zu verbringen.
So gut kenne ich ihn immer noch nicht. Aber jedes Mal, wenn ich ihm begegne, lerne ich ein bisschen mehr, wie er ist. Ich denke, er kennt das Boot dem Gefühl nach so viel besser als jeder andere! Auch, wenn ich in den vergangenen Monaten sehr viel mehr Zeit mit Will verbracht habe, der einen sehr analytischen Ansatz zum Boot hat. Mit Boris ist es ganz anders. Da ist viel mehr Gefühl im Spiel. Ich versuche, alles stark aufzusaugen und zuzuhören.
Wenn du die beiden Ansätze zusammenfügst, dann kommt dabei vielleicht die Wunderpille heraus” Francesca Clapcich
Natürlich brauchst du schon einen analytischen Ansatz. Denn, wenn du was Dummes machst, fliegt der Mast runter. Aber dann brauchst du auch den Gefühlsansatz, der dir diese spezielle Kraft gibt. Und ich glaube, Boris hat das genauso kreiert: mit etwas Extravaganz diese spezielle Kraft zu haben. Es war so gut, ihn dabeizuhaben.
Er kennt das Boot so gut, versteht es. Jedes Mal, wenn etwas nicht stimmt oder das falsche Segel gesetzt ist, spürt er das einfach. Er schläft in seiner Koje, wacht auf und sagt: ‘Ich weiß nicht, ob wir jetzt mit dem J3 segeln sollten?’ Dann frage ich: ‘Du hast doch geschlafen. Woher weißt du das?’ Er spürt solche Dinge einfach, weil er drei Monate seines Lebens allein auf dem Boot verbracht hat, jedes einzelne Geräusch und jede einzelne Bewegung des Bootes wahrgenommen hat.”
Boris ist kein Franzose. Er hat sich in einem Umfeld durchgesetzt, das extrem französisch ist. In einer Zeit, in der er der einzige war in diesem Umfeld, das nicht sein Umfeld war. Er hat sich selbst darin aufgebaut. Für mich hat er etwas, das viele der anderen französischen Helden nicht haben. Das ist sehr besonders. Manchmal ist er vielleicht ein bisschen crazy. Aber das liebe ich auch.
Auf dem Boot ist es ähnlich. Manchmal kann ich fühlen, dass vier Leute an Bord für Boris zu viele sind. Er hat aber dieses ‚freakin‘ Boot oft schon über lange Zeiten alleine gemanagt. Ohne jedes Problem. Da kannst du dann einen Schritt zurücktreten, ihm den Raum geben. Ich glaube, du segelst nicht alleine um die Welt, wenn du nicht auch gerne Zeit mit dir selbst verbringst.
Ja. Ich bin manchmal gerne für mich. Drei Monate sind natürlich viel. Viel, um von der Familie getrennt zu sein. Ich weiß, dass ich sie sehr vermissen werde. Ich vermisse sie jetzt schon. Ich sehe sie jetzt auch eineinhalb Monate nicht. Das ist eine halbe Vendée Globe.
Momentan fühle ich mich zuhause in den USA. Wir haben dort ein Haus gekauft. Unsere Tochter wurde dort geboren. Wir leben in Park City in Utah. Wir sind auf einer Höhe von fast 2000 Metern in den Bergen. Ein Meer gibt es dort nicht. Wir haben nur Seen und einige Flüsse. Wir könnten segeln, tun es aber nie. Wir machen alles andere, gehen in die Berge, Radfahren, Skifahren. Ich bin als Kind Skirennen gefahren. Es war mein Traum als kleines Mädchen, Skirennläuferin zu werden.
Ich bin in Triest aufgewachsen. Der Segelclub war zehn Minuten um die Ecke. Da segelt jeder. Es war ein wenig eine natürliche Entwicklung. Mein Dad hatte viel Leidenschaft dafür. Bicht unbedingt fürs Segeln, aber für die Boote. Dann wurde er krank und ich begann, viel Zeit mit anderen Kids und meinen Freunden im Club zu verbringen. Als er starb er, fand ich dort meinen Weg.
Ich war noch sehr jung, erst 13 Jahre alt. Ich wollte einfach nur zum Club, segeln gehen. Niemand schaut dich dort mitleidig an. Ich fand meinen Weg, mit meinem Leben klarzukommen. Es hat mich auch zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Segeln ist eine gute Lebensschule.
(Lacht). Das habe ich mir nicht ausgedacht. Das haben andere gesehen. Ich habe Dinge in meinem Leben immer wegen der Herausforderung gemacht. In meiner Kindheit hatte ich nie Träume von der Vendée Globe. Mein Traum war es als Sechsjährige, die Olympischen Spiele zu gewinnen. Ich war ein kleines Kind, saß beim Abendessen mit meinen Eltern und im Fernsehen lief Olympia. Das war alles so besonders für mich!
Du schaust Leichtathletik und siehst, wie sie laufen, wie sie sich bewegen. Du siehst Turner und wie sie sich bewegen. Das ist körperliche Perfektion. Du siehst Schwimmer, die wie Fische durchs Wasser gleiten. Ich war noch klein, aber ich wusste: Das ist es! Das will ich einmal machen. Also sagte ich meinen Eltern, dass ich eines Tages bei den Olympischen Spielen sein werde. Und sie so: ‚Klar, logisch…‘ Mein Vater fügte dann aber hinzu: ‚Du kannst das machen, musst dafür aber sehr hart arbeiten.‘ Ich nahm das auf, dachte ‚Okay, ich kann das machen.‘ Das war mein Lebenstraum.
Dann empfand ich alles andere als Weg und Möglichkeit, mit dem Sport in Verbindung zu bleiben. Eine Karriere aufzubauen, neue Herausforderungen zu finden, Neues zu lernen – ich bin sehr neugierig. Ich entdecke gerne Städte. Und ich bin auch neugierig, was die kleinen Dinge im Leben betrifft. Mich interessiert: Was kann ich heute lernen. Was kann ich morgen lernen? Was habe ich gestern gelernt, dass ich heute gebrauchen kann?
Ja, ich liebe diese Art der Herausforderung! Ich liebe es, mich selbst zu pushen. Und ich mag es, wie mich die Herausforderung pusht. Aber die Vendée Globe ist nicht mein Traum.
Ich könnte leben, ohne die Vendée Globe zu machen. Trotzdem will ich sie machen. Das ist ein anderer Ansatz.” Francesca Clapcich
Ich werde heimfliegen. Auf dem Weg bin ich 24 Stunden in New York. Da haben wir ein cooles Event mit der Initiative ‚Protect our Winters‘ und 11th Hour Racing, die gemeinsam das Netzwerk ‚Water Alliance‘ mit einem Fokus auch auf das Meer aufbauen. Darauf freue ich mich sehr. Dann bin ich zwei Wochen zu Hause in Utah.
Genau. Ein Teil von mir würde gerne schon eher wieder nach Frankreich zurückkehren, aber das ist Teil der Balance, von der ich schon sprach. Das Boot wird nach seiner Rückkehr maximal zehn Tage in Lorient sein. Es bekommt ein sehr schnelles Rebranding. Die Malizia-Sponsoren gehen runter, 11th Hour Racing drauf. Die Farben bleiben. Es ist noch keine Zeit für etwas anderes. Das Boot wird noch sehr ähnlich aussehen, aber „11th Hour Racing“ heißen. Wir müssen am 16. Oktober in Le Havre sein, wo am 26. Oktober das Transat Café L’Or beginnt.
DAVOR steigt am Samstag das finale Küstenrennen im Ocean Race Europe. Für Boris Herrmann, Francesca Clapcich und Team Malizia geht es im Duell mit Ambrogio Beccarias Team Allagrande Mapei um Platz vier. Der NDR überträgt ab 12 Uhr hier live aus Montenegro. Das Rennen beginnt um 14 Uhr. Der Überblick über die Punktsände nach fünf Etappen zeigt, warum vor allem zwei Duelle für Spannung sorgen werden, während die Gesamtsieger vom Team Biotherm schon feststehen.