Das Ocean Race Europe tobt seiner Entscheidung entgegen. Oder ist der Kampf um den Sieg schon entschieden? Rechnerisch deutet alles auf den Triumph für Paul Meilhats Team Biotherm hin. Die Crew auf der französischen 2022er-Imoca im Design von Guillaume Verdier hat alle bisherigen drei Etappen gewonnen. Dazu kassierten sie an allen drei frühen Wertungstoren als erstes Boot die maximalen zwei Punkte.
So hat sich inklusive doppelter Punktzahl auf Etappe zwei von Portsmouth via Matosinhos-Porto nach Cartagena die Idealpunktzahl von 34 Zählern auf dem “Biotherm”-Konto angehäuft. Paul Meilhat, Amélie Grassi, Sam Goodchild und Jack Bouttell oder – wie erneut auf Etappe vier – Benjamin Ferré dominieren die Flotte vor den den letzten beiden Etappen mit weiteren Bonuspunkte und dem Boka-Bay-Kurzrennen im Wert einer Etappe. Kann die Konkurrenz die so zwingend agierende “Biotherm”-Crew noch aufhalten?
Nach dem dritten Etappensieg in der Baie des Anges vor Nizza sagte “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat zum zuletzt packenden Duell mit “Holcim-PRB”, seine Crew sei sich des Sieges auf diesem Abschnitt nie sicher gewesen. Sein Blick auf die beiden Boote: “Sie sind sich in der Philosophie ziemlich ähnlich. Wir haben unterschiedliche Foils, aber wenn wir nicht foilen, dann sind die Geschwindigkeiten sehr, sehr ähnlich.”
Zwei Kilometer vor der Ziellinie von Etappe drei, so Paul Meilhat bei seinem ersten Ocean Race Europe, “sind wir praktisch Seite an Seite gesegelt, Es war unglaublich! Sie waren genau hinter uns, keinesfalls weit weg.” Das Szenario ist ein Grund, warum Team Biotherm trotz bislang perfekter Bilanz von 34 Punkten noch nicht in verfrühten Siegestaumel verfallen, auch wenn “Holcim-PRB”-Navigator und Etappe-4-Skipper Nicolas Lunven den Dominatoren “Meisterklasse” bescheinigte und “Holcim-PRB”-Segler Corentin Horeau den Spitzenreitern die “totale Kontrolle attestierte.
Team Holcim-PRB und auch Team Paprec Arkéa haben bei jeweils 23 Zählern zwar elf Punkte Rückstand auf “Biotherm” angesammelt, aber noch lange nicht aufgegeben. Immerhin maximal 25 Punkte winken noch für zwei mögliche Etappensiege, zweimal Bonuspunkte und den Sieg im Boka-Bay-Kurzrennen im Wert einer vollen Etappe – nur ohne Bonuspunkte.
Roslain Kuiper und die “Holcim-PRB”-Crew waren trotz den knapp verlorenen Duells mit “Biotherm” kraftstrotzend in Nizza angekommen. Zweite in Cartagena und wieder Zweite in Nizza – das Team Holcim-PRB hat nach dem schweren frühen Rückschlag in Kiel ein bemerkenswertes Comeback hingelegt. Die Mannschaft um Skipperin Rosalin Kuiper zieht daraus viel Energie und Selbstvertrauen.
Gefragt nach Rang zwei, sagte Franck Cammas in Nizza: „Wir wären lieber Erster!“ Nico Lunven präzisierte: “Wir sind froh, Zweite zu sein, aber es ist nicht perfekt.” Einen Grund dafür nannte Lunven mit Blick auf “Biotherm” auch: „Wir können am Wind und auf dem Kurs schneller sein, aber in den Übergängen schaffen sie es, sich abzusetzen – und wir müssen hinterherjagen.“
Das Ziel bleibt dennoch klar für Team Holcim-PRB, das mit Siegambitionen ins Ocean Race Europe gestartet war. „Es ist eine große Herausforderung, Biotherm hinter uns zu lassen. Es wird nicht einfach, aber wir werden weiter Druck machen”, sagte Franck Cammas. Auf Etappe drei wollen das Vorhaben Nico Lunven. Franck Cammas, Carolijn Brouwer und Alan Roberts umsetzen, während Skipperin Rosalin Kuiper planmäßig aussetzt.
Die punktgleichen Rivalen vom Team Paprec Arkéa haben Ähnliches im Sinn. Die Crew hatte auf Etappe drei erstmals im Ocean Race Europe das Podium verpasst. „Das war eine kleine Enttäuschung“, hatte Yann Eliès nach Rang vier auf Etappe drei zugegeben. Technische Probleme mit dem J0 und auch der Druck von Team Malizia kamen sie teuer zu stehen. Jetzt kommen Skipper Yoann Richomme und Pascal Bidégorry für Etappe vier zurück an Bord und wollen das Blatt mit Mariana Lobato und Gaston Morvan wieder wenden.
Team Malizia liegt mit der begonnenen zweiten Halbzeit im Ocean Race Europe bei 16 Punkten auf Platz vier sieben Punkte hinter den Podiumsplätzen zurück, doch Boris Herrmann erinnert an der Verlauf der dritten Etappe im Ocean Race Europe: “Wir waren immer nah an unseren Konkurrenten dran, und obwohl es nicht gereicht hat, hätten wir das Podium erreichen können.“ Hier geht es zum Report von Etappe 3.
Auf den letzten beiden Etappen kann noch viel passieren.” Boris Herrmann
Noch in der Nacht vor dem Zieldurchgang vor Nizza war Team Malizia bis auf Rang drei vorgestoßen, bevor ein schneller und scharfer Reach-Kurs sowohl Allagrande Mapei Racing als auch Team Paprec Arkéa noch hatte vorbeiziehen lassen. “Und dann ist da auch noch das Kurzrennen in Boka Bay. Bei solchen Rennen sind wir oft ganz gut. Noch ist nichts entschieden, es ist noch nicht vorbei”, sagte Boris Herrmann.
Mit Herrmann starten Co-Skipperin Francesca Clapcich, Cole Brauer und Loïs Berrehar in die vierte Etappe von Nizza nach Genua. Für die in Turin aufgewachsene und heute in den USA lebende künftige “Malizia – Seaexplorer”-Skipperin “Frankie” Clapcich geht es damit in ihr Heimatland.
Hinter den Malizianern lauert Ambrogio Beccarias wiedererstarktes Team Allagrande Mapei Racing, das sich nach dem Kiel-Crash mit “Holcim-PRB” und ohne Punkte für Etappe eins mit dem dritten Podiumsplatz auf Etappe drei wieder ins Spiel gebracht hat.
Nicht zu vergessen: Der Italiener und seine hochkalibrigen französischen Mitstreiter – Thomas Ruyant, Morgan Lagravère und Manon Peyre – nehmen mit Etappe vier Kurs auf Beccarias Heimat. “Es wird ein so schwieriger Abschnitt wie die letzte Etappe. Aber wie immer es ausgeht: es wird ein großes Rennen!”, kündigte Ambrogio Beccaria in Nizza an, für dessen Team es nach der verpatzten Auftakt mit den Rängen vier und drei immer nur aufwärts ging.
Unsere Verbesserung ist real.” Ambrogio Beccaria
Gekämpft wird auch auf den hinteren Plätzen. Das Team Canada Ocean Racing – Be Water Positive startet ohne Scott Shawyer, aber mit Skipperin Pip Hare, Sébastien Marsset, Christopher Pratt und Robin Follin in Etappe vier des Ocean Race Europe. Bei nur zwei Zählern Rückstand auf Allagrande Mapei Racing könnte für das schnell lernende Team auf der ehemaligen Ocean-Race-Siergerin ‘Mãlama’ durchaus noch etwas drin sein.
Auch Alan Rouras Team Amaala bleibt auf dem siebten und letzten Platz bei nur sechs Punkten auf dem Konto angriffslustig. “Wir sagen uns bei jeder Etappe, dass wir sie kriegen werden. Dieses Mal haben wir den Abstand schon kleiner gehalten, obwohl die Bedingungen dafür nicht optimal waren.”
Eines Tages kriegen wir sie!” Alan Roura
Der Schweizer nutzt mit dem spät vor dem Rennen durchgestarteten Team Amaala die Chance, junge Segler in die Imoca- und Ocean-Race-Welt einzuführen. “Es ist eine wundervolle Erfahrung, die wir ihnen geben können. Die bleibt hoffentlich”, sagte Roura in Nizza. Er startet mit dem sehr erfahrenen und populairen Vendée-Globe-Solisten Conrad Colman, Lucie de Gennes und Mathis Bourgnon in Etappe vier.
Der Startschuss fällt an diesem Sonntag um 17 Uhr. Der vorausliegende Abschnitt führt von Nizza via Wertungstor vor Monaco ins italienische Genua. “Biotherm”-Co-Skipperin Amélie Grassi zum möglichen Ausgang: “Wir sind hier im Mittelmeer – es ist unvorhersehbar, und die Dinge können sich sehr schnell ändern!”