Ocean Race Europe"Mein letztes Rennen mit diesem Schiff" - Boris Herrmann im Interview

Lars Bolle

 · 08.08.2025

Ocean Race Europe: "Mein letztes Rennen mit diesem Schiff" - Boris Herrmann im InterviewFoto: Team Malizia, Ricardo Pinto
Boris Herrmann.
​Im Interview spricht Boris Herrmann über seinen "Heimvorteil" in Kiel, die Herausforderungen des sechswöchigen Rennens und warum dieser Wettbewerb besonders emotional für ihn ist: Es wird sein letzter mit dem aktuellen Boot, bevor es neue Wege geht.

Das Ocean Race Europe steht vor der Tür, am 10. August geht es los. sieben Rennställe starten dann zur ersten Etappe von Kiel nach Portsmouth in England, wo sie vier bis fünf Tage später erwartet werden. 4.500 Seemeilen und sechs Wochen knallhartes Imocaracing warten auf die besten Skipper, die es zurzeit gibt. Wir stehen mit Boris Herrmann vom Team Malizia vorm Kieler Yacht Club direkt an der Förde und warten schon darauf, dass sich eine Menschentraube um uns herum bildet:

YACHT: Boris, wie gehst du mit dem riesigen Interesse der Menschen an dir um?

Boris Herrmann: Zum Glück stehen wir hier ein bisschen weiter unten, dass wir hoffentlich ungestört weiterreden können. Aber ja, wenn ich hier auf der Kiellinie langgehe, dann kann man sich schlecht durchgehend unterhalten. Aber es ist einfach toll, die Resonanz der Leute hier, dass Segelsport begeistert und große die Unterstützung der Kieler. Aber es gibt auch viele Zugereiste, die sich das hier angucken.

Du hast in Kiel studiert, kommst jetzt zurück „nach Hause“. Wie ist das für dich?

Es ist jetzt eigentlich immer so in meinem Segelleben, dass ich weit reisen muss zum Start, zum Event, nach Frankreich oder in andere Länder. Und jetzt wirklich mal zu Hause zu starten, ist natürlich auch ein Heimvorteil. Ich kenne mich hier aus und ich fühle mich hier zuhause. Und das macht es deutlich einfacher für mich.

Was sagst du zu den Fans? Du wurdest gestern ja schon fast wie ein Fußballstar empfangen.

Es ist ja ganz erstaunlich, wie toll hier die Leute den Flyby angenommen haben. Und das zieht sich ja zurück durch alle großen Segelveranstaltungen. Kiel hat einfach dieses Kiel Sailing City-Feeling. Viele Leute kommen auch aus anderen Städten. Wäre mal interessant, die Statistiken zu sehen, woher die so kommen. Wie Segelsport in Deutschland eine ganz tolle Resonanz findet, das ist wunderbar zu sehen.

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Wie geht es dir persönlich damit, dass du nicht mehr einfach nur Boris Herrmann bist, sondern du bist jetzt einfach eine Berühmtheit?

Gute Frage. Im Alltag ist es ja nicht die ganze Zeit so. Hier so um ein Event rum ist es klar, da spielt man einfach mehrere Rollen. In einer Rolle bin ich gerne da für die Leute, kleine Unterschriften, und das ist auch echt nett. Also wir haben wirklich ganz ganz tolle Fans. Und vielen Dank an alle. Es ist eigentlich nur positiv. Ganz selten, oder ich kann mich ehrlich gesagt kaum daran erinnern, dass wir so gebasht werden und Leute uns kritisieren, wie anderswo. Das muss total anstrengend sein, wenn man sowas hat. Wir haben einfach nur positive Vibes. Also vielen Dank dafür.

Wie wichtig ist dir das Ocean Race Europe? Ist es auch wieder nur irgendeine Etappe, die man so abfrühstückt, um sich am Ende noch weiter zu verbessern?

Das Ocean Race ist das Wichtigste dieses Jahr und auch nächstes Jahr mit eingeschlossen. Letztes Jahr war es die Vendée Globe. Die ist für mich nicht ganz so gelaufen mit dem zwölften Platz am Ende, wie ich geträumt hätte. So ist das Ocean Race auch ein bisschen eine Chance, vielleicht zurückzukommen. Also Zwölfter kann ich hier nicht werden, weil wir sind sieben Schiffe sind. Aber ich hoffe, wir werden nicht Siebter. Und insofern wollen wir hier natürlich auf das Podium und eine Top-Platzierung und nochmal so richtig ein Ausrufezeichen setzen mit diesem Schiff, wo ich so viel Herzblut reingesteckt habe, was danach neue Wege geht mit neuen Farben, einem neuen Namen und einer italienischen Skipperin, die das ab Oktober übernimmt. Und bis dahin ist es jetzt mein letztes Rennen auf diesem Schiff. Und da will ich nochmal richtig zeigen, was in diesem Schiff steckt.

Du hast ein ganz frisches Team am Start, international. Wie funktioniert euer Teamwork?

Teamwork haben wir sowohl an Land als auch auf See. Wir haben 28 Tage Events an Land, 28 Tage Segelzeit ungefähr, geschätzt, grob. Das heißt, das Rennen wird auch an Land gewonnen. Es ist ja auch Teil des Reglements hier, dass man nur eine begrenzte Anzahl an Technikern einsetzen darf, um das Schiff in Stand zu halten. Die müssen also gut wissen, was sie tun. Und dann ist es natürlich auch eine logistische Aufgabe, diese ganze Sache zu bewältigen. Das Team besteht aus über alle Zweifel erhabenen Champions, die mich hier begleiten. Und bemerkenswert ist auch, dass wir halb Männer, halb Frauen sind. Aber eigentlich alle Mannschaften aller Schiffe sind internationale Teams. Das Rennen, unsere Rennfamilie und Community hier, ist sehr international. Deswegen hat passt der Slogan des Rennens, Connecting Europe, ganz gut. Da einem Schiff eine eigene Nationalflagge zu geben, macht eigentlich gar nicht so viel Sinn, weil wir alle internationale Teams sind.

Wie stimmt ihr euch untereinander ab?

Wenn wir am Sonntag zur Startlinie rausfahren, segeln wir das erste Mal zusammen. Wir sind zwar alle schon auf dem Schiff gesegelt, aber noch nie in der Konstellation. Wir sind insgesamt sechs. Das heißt, wir haben zwei Auswechselspieler. Wir sind pro Etappe zu viert an Bord, davon immer mindestens eine Frau. Ich glaube, das wird richtig gut.

Und unsere Leute sind natürlich nicht irgendwer, sondern fast die besten, die man so finden kann. Deswegen haben wir sie auch ausgesucht. Will Harris, der mit an Bord ist, ist seit 2019 mein Co-Skipper, meine rechte Hand und mein enger Vertrauter im Team. Er ist sehr, sehr viel mit dem Schiff gesegelt und zuletzt beim Rennen rund England hervorragend Vierter geworden mit Cole, die jetzt auch an Bord ist. Also in verschiedenen Kombinationen haben wir natürlich alle sehr, sehr viel zusammen gemacht. Auch Justine kennt sich unheimlich gut aus. Und unsere Navigatorin bei dieser Etappe, die Schweizerin Justine Mettraux, ist die beste Seglerin der Welt. Insofern glaube ich, wird das super funktionieren.

Die Startlinie am Sonntag liegt relativ weit draußen. Das hat Sicherheitsgründe, ist aber für die Zuschauer nicht so gut. Wie schätzt du das ein?

Beides finde ich legitim und das ist sicherlich gut entschieden und gut abgewägt worden. Es ist ja auch eine Diskussion mit den lokalen Behörden, was kann man erlauben, was nicht. Die Boote können auf jeden Fall nicht die acht Knoten Maximalgeschwindigkeit hier berücksichtigen. Insofern hat das vielleicht auch bei der Entscheidung eine Rolle gespielt. Es wird ja für die Leute hier an der Kiellinie möglich sein, die Parade morgens am Sonntag zu sehen, die Boote zu sehen. Und dann wird alles sehr gut auch live zu sehen sein, digital meine ich. Und wer dann in Bülk, Schilksee oder Laboe ist wird sicherlich auch einiges sehen können. Oder von den Booten aus, die rausfahren.

Erzähl uns ein bisschen von den Qualen, die euch beim Ocean Race Europe erwarten. Wie hart wird das Ganze?

So ein langes, kaltes Rennen durch das Südmeer, wie wir es im letzten Ocean Race gemacht haben, von Kapstadt bis nach Brasilien, das kann sehr entbehrungsreich sein und würde ich sagen, so etwas ist am Ende des Tages härter oder zumindest phasenweise härter als dieses Rennen. Aber auf andere Weise wird es hier auch hart sein, brutal intensiv, alle halbe Stunde zu wenden oder irgendwas zu ändern, die Segel zu wechseln um auf die neuen Windbedingungen zu reagieren, die sich an der Küste ständig ändern. Es ist eine ganz andere Art von Herausforderung als diese ganz langen Etappen, die wir sonst segeln.

Hast du noch Bammel vor so einem Rennen? Hast du noch dieses schreckliche Bauchkribbeln, bevor es losgeht?

Ja, ich bin auf jeden Fall aufgeregt, weil es auch das letzte Rennen mit meinem Schiff ist, das wir jetzt vier Jahre hatten. Mit dem Schiff beschäftigen wir uns jetzt seit sechs Jahren. Ich will einfach mit diesem Schiff auch einen schönen Abschluss schaffen. Natürlich haben wir hier starke Konkurrenz. Wir haben sieben Schiffe am Start und alle können auf dem Podium landen. Viele von denen können das Rennen gewinnen. Es wird an kleinen Details entschieden werden, deswegen diese große Intensität und Aufmerksamkeit. Das macht mich schon ein bisschen beklommen, respektvoll vor dem Rennen und ich bin auf jeden Fall sehr aufgeregt.

Machst du dir Gedanken darüber, dass es auf der Förde sehr eng zugehen wird?

Es kann ganz schnell durch blöde Umstände zu Ende sein. Das hat man beim letzten Ocean Race Europe gesehen, da hatte das Team Elevens Hour zwei Kollisionen und konnte dadurch den eigentlich verdienten Sieg am Ende nicht umsetzen.

Es ist eine eminenteste Gefahr, hier an der Startlinie zusammenzustoßen oder bei einem Speedrun irgendwo gegen ein anderes Boot zu kommen, gegen eine Fahrwassertonne. So ein Foil, das bei uns an der Seite rausragt, ist ein großes Risiko für so eine Kollision. Es dauert fast ein Jahr, so ein Ding zu bauen. Es ist immens teuer und nicht versichert. Also da ist schon ein bisschen Risiko und Aufregung. Wenn wir dann erstmal raus sind, weg von den anderen, weg von diesen ganzen Untiefen, dann können wir uns wirklich auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren.

Wie bereitest du dich vor? Also erstmal körperlich und natürlich auch mental. Oder bist du einfach so fit in allen Bereichen, dass du sagst, nee, ich gehe da so rein, ich bin fit?

Wir haben organisiertes Training in Frankreich, wo wir uns mit Coaches, Debriefing und Datenanalyse vorbereiten und mit unseren stärksten Konkurrenten messen, regelmäßig. Das haben wir jetzt gemacht. Danach ist das Team ohne mich beim Rundenglandrennen dabei gewesen. Ich wollte einfach die Saison auch nicht zu intensiv gestalten, um den Kopf ein bisschen frei zu haben und mich auch vorerst mal von der Vendée Globe zu regenerieren, wieder zu landen. Das braucht auch Zeit. Jetzt bin ich bereit zu neuen Schandtaten. Jetzt kann es losgehen. Gesegelt habe ich auf dem Boot die äquivalente Distanz von der Erde bis halb zum Mond. Ich habe meinen Soll erfüllt, mit diesem Boot zu üben.

Du hast eine Onboard-Reporterin mit dabei. Sag uns kurz, wie ist ihr Job? Wie schafft sie das bei dem Wellengang, bei dem Geballer da draußen, bei der Enge. Was macht die? Wie geht das? Was ist das für ein Job?

Ich glaube, der Job der Onboard-Reporter ist einer der härtesten Jobs, die es gibt auf der Welt. Man ist wochenlang alleine, als Outsider in diesem Team nicht richtig integriert. Man darf ja nicht selber segeln, man darf die Windschkurbel und Leinen nicht anfassen, man hat keinen Arbeitsplatz, man muss den Laptop irgendwie auf den Knien festklemmen, wird hin und her geworfen im nassen Boot, hat keinen richtigen Schlafplatz. Dann ist man immer im Weg der Segler, die einen vielleicht hin und her kicken und eigentlich das Boot schnell segeln wollen, für diese ganzen Anfragen des Onboard-Reporters so wenig Zeit wie möglich hergeben wollen. Und der Onboard-Reporter kriegt gleichzeitig den Druck vom Rennveranstalter und den Sponsoren, Dinge zu produzieren und Anfragen zu beantworten. Also, ich glaube, es ist wirklich keine einfache Aufgabe.

Wir hatten schon während deiner ersten Vendée Globe miteinander gesprochen und da sagtest du, „erinnere mich dran, wenn ich wieder an Land bin, dass ich nie wieder sowas mache“. Dann hast du die zweite gemacht und am Ende wird es wahrscheinlich auch eine dritte, vierte und fünfte geben, oder?

Also auf jeden Fall eine dritte. Das ist alles schon in trockenen Tüchern. Das neue Schiff ist im Bau, wird nächstes Jahr im Juni ins Wasser kommen. Ich freue mich riesig drauf. Es wird ein ganz tolles Schiff. Ganz anders als das jetzige. Es hat Steuerräder. Wir werden das aktiv steuern im Ocean Race um die Welt. Nicht die ganze Zeit natürlich, aber damit wollen wir noch ein letztes Quäntchen in bestimmten Bedingungen rausholen. Und das sieht total schnittig aus, ein ganz schönes Schiff wird das. Dann geht es weiter. Ocean Race 2028/29 ist dann sozusagen mein nächstes Karriere-Highlight und mein ganz großes Ziel. Natürlich will ich erstmal das Ocean Race gewinnen. Das werden dann ganz spannende Jahre. Aber eine vierte Vendée Globe? Das ist schwer zu sagen. Also es reicht jetzt erstmal, wir haben einen Plan bis 2030. Bis zum Ende der Dekade sind wir aufgestellt und das kann man ja auch nicht von vielen Akteuren sagen, dass sie jetzt schon so lange sortiert und aufgestellt und finanziert sind. Insofern das ist schon eine ganz privilegierte Situation.

Du bist jetzt Mitte 40. Wie geht es dir damit?

Ich glaube, Mitte 40 ist ein gutes Alter für ein Leistungsmaximum in unserem Sport. Vielleicht auch noch einen Ticken älter. Der Sieger der Vendée Globe 2021 war 47. Das ist ein typisches Alter für Vendée Globe Sieger. In der Tendenz werden die Segler ein bisschen jünger, weil die Schiffe eben auch physisch anspruchsvoller werden. Aber es ist ein Erfahrungssport und es gibt deswegen in unserem Sport auch immer ganz starke Leute, die über 50 sind, an die 60 ran. Man muss sich natürlich körperlich erhalten, aber man muss jetzt nicht der 100 Meter Läufer sein, der Athlet, wo es auf jede Sekunde ankommt. Es ist ein Erfahrungssport, ein Kopfsport, und ob ein Manöver eine Sekunde länger dauert, ist bei einem Rennen um die Welt nicht der ausschlaggebende Faktor. Die Strategie, das ist das Entscheidende.

Lass uns über die Umwelt sprechen. Es gibt ganz viele Menschen, die sagen, ja toll, der tut so, als ob er was für die Umwelt tut, fährt aber mit so einem Imoca rum, was sicherlich nicht ideal ist, sagen wir mal. Welche Argumente gibst du dem?

Ich finde, dass wir nicht unsere Existenz, unser Tun, unser Handeln per se in Frage stellen müssen. Dass ist nicht mein erster Impuls. Ich bin ja erstmal Segler und das schon lange und gucke dann, was kann ich innerhalb meiner Aktivität beitragen und machen und das schrittweise verbessern. Ich glaube, so ein militanter Standpunkt, wo man seine Aktivität komplett in Frage stellt, da kann ich nicht mitgehen. Das halte ich nicht für richtig. Wenn ich mich auf den Standpunkt dieser radikalen Kritiker stelle, dann kann ich eigentlich nur noch im Garten sitzen. Wenn ich denn einen habe. Dann kann man nicht mehr viel machen. Außerdem glaube ich, dass wir viel bewegen können. Wir wollen die Öffentlichkeit bewegen, sensibilisiert zu sein über die Wichtigkeit des Schutzes der Meere, der Aktivitäten für Klimaschutz. Wenn wir unsere Emissionen pro erreichter Person messen würden, wären wir mit so einem Rennen wie diesem unheimlich gut, unschlagbar im Vergleich zu anderen Sport- und Kulturveranstaltungen. Wir sind hier eine ganz kleine Community, die mit ein paar Bullis rund Europa einen Roadtrip macht.

Wenn du irgendwann aufhörst, was kaufst du dir für ein Boot und wo segelst du hin?

Ich liebe die Kieler Förde. Strande ist einer meiner Lieblingsorte. Da habe ich wirklich so ein Heimatgefühl. Da habe ich ganz, ganz viel gesegelt und trainiert. Intensiv gesegelt. Früher immer gegen Wolfgang Hunger, der war der Vorreiter. Im Sommer gibt es nichts schöneres, als in die dänische Südsee zu segeln. Ein kleines Boot wäre gut, weil in Dänemark, in der Ostsee, kann man nicht viel werden mit einer großen Yacht. Und ein kleines, handiges Boot, das reicht.

Das Interview führte Timm Kruse. Sie können es auch in unserem Podcast hören.

Timm Kruse (l.), Boris Herrmann.Foto: KruseTimm Kruse (l.), Boris Herrmann.

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