Sieben Imoca-Rennställe starten am 10. August ins Ocean Race Europe. Sechs sind schon in Kiel, das italienische Team Allagrande Mapei Racing kommt am Donnerstagvormittag. Das Niveau ist im Vergleich zur Premiere des Europa-Rennens stark gestiegen. In der Flotte gibt es mehr Favoriten als Außenseiter. Über den Rennausgang werden auch die Bedingungen entscheiden.
Am Sonntag startet das 2. Ocean Race Europe in Kiel. Die sieben Rennställe erwartet ab dem 10. August um 15.45 Uhr eine fordernde erste Etappe nach Portsmouth an der englischen Südküste, wo die Crews vier bis fünf Tage später erwartet werden. Die Herausforderer zählen zu den besten Hochseeseglern der Welt, kommen aus 13 verschiedenen Nationen.
Elf Skipper der letzten Vendée Globe und sechs ehemalige Gewinner des Ocean Race werden von Beginn an oder im Verlauf des Rennens über 4500 Seemeilen und sechs Wochen im Einsatz sein. “Es klingt auf dem Papier wie ein einfaches Rennen: Du segelst einfach rund Europa. Dabei sind es die Segler gewöhnt, um die Welt zu segeln. Aber denkt nicht, dass es einfach ist”, sagt Ocean-Race-Co-Eigentümer und Race Chairman Richard Brisius.
Das Ocean Race Europe ist eines der erbarmungslosesten Rennen, die man erleben kann.” Richard Brisius
Den Grund dafür lieferte Richard Brisius am offiziellen Eröffnungsabend auf der Kieler Bühne im Ocean Live Park gleich mit: “Über die zwei, drei, manchmal auch vier Tage der einzelnen Etappen schlafen die Segler so wenig. Dann kommen sie ins Ziel – von hier in Kiel geht es nach Portsmouth in England. Dann denkst du: Jetzt kann ich mich ausruhen. Nein, kannst du nicht! Du musst dich auf den nächsten Start vorbereiten, der schon wenige Tage später folgt. Es ist wirklich ein Rennen in dem du deinen Kraftverbrauch sehr effizient managen musst.”
Wer immer die Trophäe in Boka Bay am 20. September hochheben darf, wird sehr stolz sein. Wie jeder, der das Ocean Race Europe beendet.” Richard Brisius
Die Flotte fürs Ocean Race Europe bilden einige der leistungsstärksten Foiler der aktuellen Imoca-Welt. Neben dem von Boris Herrmann stark mitentwickelten VPLP-Design „Malizia – Seaexplorer“ sind da zum einen die beiden von Antoine Koch/Finot Conq entworfenen Schwesterschiffe „Allagrande Mapei Racing“ und „Paprec Arkéa“, zum anderen die Guillaume-Verdier-Entwürfe „Holcim-PRB“, „Biotherm“ und „Canada Ocean Racing – Be Water positive.”
Das kanadische Boot ist eine der erfolgreichsten Imocas der letzten Jahre. Sie gewann The Ocean Race um die Welt 2023 als „Mālama“ und ist auch die Vendée-Globe-Dritte, die Sébastien Simon als „Groupe Dubreuil“ im Solo um die Welt sogar auf einem Foil aufs Podium steuerte. Als siebtes Boot für das Ocean Race Europe kam spät, aber mit viel Schweizer Passion noch Alan Rouras Team Amaala mit seinem VPLP/Hobson-Entwurf (Ex-„Hugo Boss“, Ex-„Hublot“) dazu.
Fünf der gemeldeten Boote sind 2022 vom Stapel gelaufen. Die meistgenannten Favoriten im am Mittwoch eröffneten Ocean Live Park in Kiel waren Team Holcim-PRB, Team Biotherm und Team Paprec Arkéa. Vor allem den beiden Koch/Conq-Booten wird hohes Leistungsvermögen in den leichteren europäischen Sommerwinden und häufig erwarteten Übergangsbedingungen zugeschrieben.
Stärker als sonst im Offshore-Segelsport, werden die Starts eine wichtige Rolle im Ocean Race Europe spielen. Bei jeder Etappe gibt es immer schon kurz nach den Starts ein erstes Wertungstor, an dem das dann führende Boot bereits zwei Punkte, das zweitplatzierte Boot einen Punkt kassiert. Alle anderen gehen hier leer aus. Nach dem Start in Kiel werden diese Bonuspunkte beim Leuchtturm Kiel vergeben.
“Diese Regel gefällt mir wirklich nicht. Das einzige, was zählt, ist der Zieldurchgang. Auch wenn du 99 Prozent eines Rennens vorne gelegen hast und als Fünfter ankommst – dann bist du Fünfter. Es ist wie im Fußball: Wenn du dreimal die Latte getroffen hast, sind es immer noch null Tore. Wir müssen eigentlich nicht gepusht werden, starke Starts zu fahren, weil wir starke Rennen segeln. Wir tun die ganze Zeit alles was wir können, um so schnell wie möglich zu sein. ”, sagt Ambrogio Beccaria.
Trotz seiner Kritik an der Bonuspunktregel blickte Ambrogio Beccaria dem Rennen dynamisch-optimistisch entgegen, sagte in Kiel: “Wir haben alle Karten in der Hand, die wir zum Gewinnen dieses Rennens brauchen. Dann aber ist es auch ein sehr besonderes Rennen und anders als das, was wir gewöhnt sind. Weil es mit Mannschaften gesegelt wird und aus vielen kurzen Küstenrennen besteht.” Auf eine Wette auf das Rennen und die Podiums-Favoriten wollte sich Ambrogio Beccaria lieber nicht einlassen: “In Italien wetten wir zwar, aber wir sind auch sehr abergläubisch. Wir wetten nicht auf uns selbst.”
Auch “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat ist kein großer Fan der Bonuspunkte für Blitzstarter. „Das Sportlerherz in mir wünscht sich das so nicht bei einem Offshore-Rennen, denn es ist ja ein Offshore-Rennen. Aber für Show und Spannung ist es natürlich gut“, sagt Vendée-Globe-Fünfte. Ob sein Team sich bei den Vorbereitungen besonders auf Starts vorbereitet hat? „Nein, nicht extra. Wir wissen auch bis kurz vor dem Start nicht, wie gestartet wird. Upwind oder Reaching – wir wissen es nicht. Man kann alle Wegpunkte für eine Etappe bis zum Tag vor dem Start ändern“, sagt Paul Meilhat.
Der Franzose weiß aber, was alle wissen: Das am Sonntag startende Ocean Race Europe wird nicht nur, aber oft von leichten Winden geprägt sein. „Vor allem aber von vielen Übergängen. Von mittleren Winden zu leichten Winden und wieder zurück. Eines der Spiele des Rennens wird es sein, den neuen Wind als Erster zu bekommen. Die Leichtwind- und Übergangsstärken werden die Schlüssel in diesem Rennen sein“, glaubt Paul Meilhat.
Der “Biotherm”-Skipper sagt, dass Team Holcim-PRB, die Kanadier und auch sein Team dafür die besten Boote haben. „Diese drei Boote stehen für etwa die gleiche Designphilosophie.“ Die häufig erwarteten Übergangsbedingungen sind nicht unbedingt die größten Stärken von „Malizia – Seaexplorer“. Trotzdem glaubt Skipper Boris Herrmann, dass „alle Teams, außer vielleicht Amaala, bei diesem Rennen eine Siegchance haben“.
Boris Herrmann weiß: „Unser Schiff ist vielleicht nicht das stärkste bei diesen Mittelwinden. Da ist Holcim ziemlich stark. Die haben beim Fastnet auch Paprec abgezogen.” Zwar strebt das Herrmann-Team beim letzten Rennen mit „Malizia – Seaexplorer“ ein Top-Ergebnis an, verfolgt aber parallel ein höheres Ziel, wie Boris Herrmann erklärt: „Wir nutzen das Ocean Race Europe, um als Team zusammenzuwachsen. Ich will die Leute 2027 alle unbedingt dabei haben. Wir lernen uns als Crew kennen.”
Boris Herrmann hat schon The Ocean Race um die Welt 2027 im Visier. Ginge es alleine um das Ocean Race Europe, würde auch er das bevorstehende Europa-Rennen – wie einige Rivalen – eher mit einem nicht rotierenden Quartett bestreiten. “Wenn wir alle Weichen nur kompromisslos auf Sieg im Ocean Race Europe gestellt hätten, dann hättest du vielleicht lieber auf Leute gesetzt, die das Boot besser kennen. Aber wir wollen nicht das Battle gewinnen, sondern den War. Und der War ist dann 2027.”
Renndirektor Phil Lawrence erklärte, dass es im Ocean Race Europe um das Offshore-Segeln gehe, das Rennen aber auch knifflige Herausforderungen in Küstennähe mit wechselnden Küstenwinden, Landzungen, Gezeiten und Sperrzonen mit sich bringe. Es werde darum gehen , unter Druck Leistung zu bringen. „Es sind intensive Rennen”, so Lawrence, “die meisten Etappen dauern vier Tage, und die Crews werden 100 Prozent geben müssen. Es wird eine echte Herausforderung werden.“