Ocean Race Europe“Ich habe alle daran erinnert, wo wir herkommen”

Tatjana Pokorny

 · 07.09.2025

Rosalin Kuiper berichtet regelmäßig für YACHT online vom 2. Ocean Race Europe.
Foto: Amory Ross/11th Hour Racing/The Ocean Race; Jean-Louis Carli/The Ocean Race
Rosalin Kuiper berichtet in ihrem Race Blog für die Leser von YACHT online regelmäßig vom Ocean Race Europe. Mit dem Schweizer Team Holcim-PRB liegt die niederländische Skipperin vor der fünften und letzten Etappe und dem Finale in Boka Bay hinter “Biotherm” und „Paprec Arkéa“ auf Platz drei, will aber um Silber kämpfen. Der Startschuss fällt heute um 15 Uhr in Genua.

​Vier Etappen sind im Ocean Race Europe gesegelt, die fünfte und das finale Küstenrennen kommen noch. Auf der letzten Etappe habe ich ausgesetzt. So hatten wir es von Beginn an geplant: Jeder in unserem fünfköpfigen Segelteam setzt einmal aus. Ja, es hat sich etwas schwer angefühlt, dem Boot beim Ablegen zu winken.

Ocean Race Europe: die wichtigste Lektion

Es fühlte sich ein bisschen so an, als hätte mich mein anderes Baby verlassen. Dennoch wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war. Und ich war sehr zuversichtlich, denn ich vertraue dem Team und den Menschen um mich herum voll und ganz – das ist eigentlich die wichtigste Lektion, die ich in meiner Rolle als Skipperin gelernt habe.

Zum einen wusste ich, dass es eine gute Entscheidung war, weil es Zeit für eine Pause war. Ich glaube daran, dass das Team frisch bleibt, wenn du die Leute frisch hältst, wenn sie die Möglichkeit haben, sich auszuruhen und zu regenerieren. Alan und Carolijn hatten diese Möglichkeit vorher schon. Also war jetzt ich an der Reihe. Zum anderen weiß ich, dass wir ein sehr starkes Team aufgebaut haben.

Nach dem Startschuss war es nervenaufreibend, das Rennen im Tracking zu beobachten. Insbesondere beim Start. Ich war tatsächlich überrascht, wie schwierig es war, das Rennen zu verfolgen. Ich musste ein „Sport+“-Abo bei HBO-Max abschließend. Das war recht kompliziert. Ich dachte, okay, 25 Euro pro Monat – wieso ist es so schwierig, das zu sehen? Aber wir konnten es sehen.

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Beim Krafttanken auf den Tracker fixiert

Ich war auch überrascht, wie knifflig es ist zu beurteilen, wie die Boote zueinander liegen. Wenn man SailGP oder etwas anderes sieht, dann ist es einfacher zu verstehen, wo genau sich die Boote befinden und wie sie in Relation zueinander vorankommen. Ich denke, dass wir das verbessern können. Ja, ich war während der Etappe auf den Tracker fixiert, aber ich konnte auch Zeit mit meiner Familie verbingen und mich ausruhen.

Den Tracker selbst habe ich manchmal als recht sprunghaft erlebt. Ich fand ihn etwas schwierig und auch den Wind manchmal nicht so akkurat dargestellt. Es war nicht immer ganz leicht, dem Rennen zu folgen. Ich habe auch bei MarineTraffic geschaut um zu überprüfen, ob der Wind korrekt ist. Und ich muss sagen, dass es ein ziemlich funky Rennen war. Ich traute meinen Augen kaum, als unser Boot immer noch feststeckte „Mapei“ zuerst einfach abdüste. Und dann „Biotherm“. Ich fragte mich, ob das gerade wirklich passierte. Aber das tat es.

Die Crew belegte den vierten Platz. Das war nicht das Ergebnis, das wir uns erhofft hatten, aber ich bin trotzdem stolz darauf, wie hart wir gekämpft haben und wie jeder sein Bestes gegeben hat. Wir werden die gewonnenen Erkenntnisse mit in die heute startende letzte Etappe nehmen, die von Genua über etwa acht Tage nach Boka Bay geht.

Start-Studium zum Finale im Ocean Race Europe

Beim Debriefing nach Etappe vier haben wir dem Start sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet. Insbesondere der Vorstartphase, denn Franck Cammas wird die vorausliegende Etappe nicht bei uns an Bord sein. Nicolas Lunven, Alan Roberts, Carolijn Brauer und ich werden die Etappe bestreiten. Carolijn wird das Steuer übernehmen. Also haben wir uns den Ansatz genau angesehen und geschaut, was wir daraus lernen können. Wo sind wir gestartet? Wo wollen wir im Idealfall sein?

Wir haben uns auch „Biotherm“ angesehen, weil sie in der Regel gut von der Linie wegkommt. Das haben wir im Debriefing ausführlich beleuchtet. Dann haben wir uns noch einige Tonnenrundungen und die Passage der Straße von Bonifacio angesehen. Wir haben die ganze Etappe durchgeschaut, die Wahl der Segel reflektiert und auch überlegt, wie wir vor dem Wind Gewinne erzielen können. Wir wissen, dass das unser schwacher Punkt ist. Mapei beispielsweise ist mehrere Knoten schneller. Was also können wir tun, um ihnen in Downwind-Bedingungen näher zu kommen?

Was das Steckenbleiben in diesem windlosen Feld auf der vierten Etappe angeht: Ja, ich glaube, es hatte auch ein bisschen mit Fortune zu tun. Wenn man sieht, wie sich der Wind entwickelt hat, dann ist es doch sehr schwer, sich auf so etwas vorzubereiten. Das Wichtigste ist in solchen Momenten, dass die Crew bis zuletzt pusht. Ich bin wirklich überzeugt, dass das einfach Pech war.

Der Unterschied zwischen “Holcim-PRB” und “Paprec Arkéa”

Wir sind ganz zufrieden damit, wo wir jetzt stehen. Wir werden hart um den zweiten Platz kämpfen. Wir haben nun gesehen, dass „Biotherm“ wirklich sehr, sehr gut ist. Wir werden stärker zurückkommen. Ich bin überzeugt, dass das Ergebnis auf der letzten Etappe nicht die Leistung unserer Crew widerspiegelt.

Das Duell mit „Paprec Arkéa“ um Platz zwei läuft! Vergleicht man „Paprec Arkéa“ und „Holcim-PRB“, dann sind beide wirklich unterschiedlich. Wir sind vor dem Wind weniger gut, aber wir sind in mittleren und leichten Winden sehr gut. Das wiederum ist der Bereich, in dem sie manchmal zu kämpfen haben. Ich bin absolut überzeugt, dass wir um Silber kämpfen können!

Im Revier von Montenegro bin ich schon zweimal gewesen. Es ist wirklich cool da, sehr hübsch! Nico als unser Hauptnavigator war noch nicht da. Für ihn ist es neu. Man bekommt es dort auf der letzten Etappe mit vielen Küsteneffekten zu tun. Und dann kommt noch das Küstenrennen, das auch für die Wertung zählt. Es ist ein sehr schwerwiegendes Kurzrennen, weil Punkte in Höhe einer vollen Etappe verteilt werden.

Ocean Race Europe: intensiver Rund-Europa-Sprint

Zum Wertungstor und den damit verbundenen Bonuspunkten auf der heute startenden fünften Etappe werden wir erst ein ganzes Stück nach Süden segeln. Wir werden das Gate voraussichtlich Montagabend erreichen. Das ist ein anderes Konzept als auf den bisherigen Etappen, wo das Wertungstor immer schnell kam.

Die anderen Crews sind noch nicht in den Gewässern von Montenegro und der Bucht gewesen. Wir haben zusätzliche Wetterexpertise eingeholt und fühlen uns gut vorbereitet auf das Revier. Bislang sieht es nach einem eher leichtwindigen Rennen nach Boka Bay aus. Ich denke, es könnten gute Bedingungen für unser Boot werden. Hier geht es nach dem Start direkt zum Tracker.

Nach bislang vier Etappen gefällt mir am Ocean Race Europe, dass es sehr intensiv ist. Diese Europa-Ausgabe ist ein Sprint. Wir haben viele Boote mit sehr unterschiedlichen Stärken und sehr kurzen Zwischenstopps. Bei der letzten Weltumsegelung 2023 gab es im Ocean Race mehr Zeit zwischen den Etappen – tatsächlich fünf Tage bis drei Wochen. Jetzt ist es enger. Daher gibt es für mich derzeit keine nächtlichen Drinks. Ich versuche, um 22 Uhr im Bett zu sein.

Geehrt und motiviert von den Fans

Mir gefällt an diesem Rennen auch, dass die Teams offen sind und es wie eine kleine Familie ist, die rund Europa reist. Wir versuchen, uns gegenseitig zu schlagen. Auf der anderen Seite segeln wir miteinander, schauen in bekannte Gesichter, die wir aus dem Rennen, aber auch aus dem Ocean Race um die Welt und aus der Bretagne gut kennen. Das gefällt mir!

Und ich mag auch die vielen enthusiastischen Menschen, die Fans, die in die Etappenhäfen kommen. Das fühlt sich sehr besonders an. Jedes Mal, wenn jemand zu einem Gespräch zu mir kommt, ein Foto mit mir machen will oder um ein Autogramm bittet, fühle ich mich sehr geehrt.

Ich wünschte, ich könnte noch mehr Zeit mit den Menschen verbringen, denn ich habe eine Geschichte zu erzählen. Und die teile ich sehr gerne. Aber ich würde auch gerne die Geschichten der Menschen hören, erfahren, was ihre Leidenschaften sind. Dafür hätte ich gerne etwas mehr Zeit zum Reden und mich von den Geschichten der Leben anderer Leute inspirieren zu lassen. Aber ich glaube, das kommt nach dem Rennen.

Der große Kiel-Crash: Fluch und Segen zugleich

Der für mich der beste Moment in diesem Ocean Race Europe bislang? Die Art, wie wir den großen Schaden in den Griff bekommen haben! Der ganze Crash (Red.: die Kollision mit „Allagrande Mapei“ in Kiel) war ein Albtraum, aber auch ein Segen. Ich bin so stolz, wie das Team auf dem Wasser und an Land reagiert hat. Ich glaube, wir haben das wirklich gut gemacht. Das hat dem Team viel Energie und Kraft gegeben.

Gestern haben wir uns am frühen Abend zu Drinks mit der ganzen Crew getroffen. Da habe ich es noch einmal gesagt. Ich habe alle daran erinnert, wo wir herkommen. Wenn ich mir ansehe, wie die gesamte Kampagne über die vergangenen eineinhalb Jahre gelaufen ist – ich selbst bin fast zwei Jahre dabei – dann geht es darum, sich auf unsere Stärken zu besinnen. Dass wir stark sind in allen Bereichen. Dass wir die besten Leute beisammenhaben und stolz darauf sein können, wo wir stehen.

Doch jetzt steht in den vorausliegenden 15 Tagen der finale Push an. Vor der Entscheidung über den Weg unseres Projekts in die Zukunft wissen wir, dass wir hart um diesen zweiten Platz kämpfen werden. Und dass wir ihn verdienen. Wir wollen Menschen inspirieren, ihr Bestes zu geben. Mehr zu geben, als zu nehmen. Sich für die Menschen um sie herum zu interessieren. Ja, wir sind diejenigen, die es auf dem Wasser umsetzen. Aber wir können das nur mit dem gesamten Team hinter uns tun. Dabei versuchen wir, unser Bestes zu geben.

“Gegen die Stille”. Lange lag Team Holcim-PRB auf Etappe vier in Führung, bis die Crew in die “Gefangenschaft” einer windlosen Zone geriet und zusehen musste, wie die anderen vorbeizogen. Der Rückblick auf die vorletzte Etappe, bevor an diesem Sonntag der fünfte und längste Abschnitt des Europa-Rennens über rund 2000 Seemeilen nach Boka Bay beginnt:

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