Ocean Race EuropeAm Sonntag startet der 2000-Seemeilen-Showdown

Tatjana Pokorny

 · 06.09.2025

"Malizia – Seaexplorer" im Ocean Race Europe.
Foto: Lloyd Images/The Ocean Race Europe 2025
Das Ocean Race Europe strebt seinem Finale entgegen. Am Sonntag startet die letzte und längste Etappe von Genua nach Boka Bay. Viele Segler in der Flotte sind noch nie im Adria-Revier gesegelt, wo am 20. September noch ein Küstenrennen über die engültigen Platzierungen entscheidet. Was geht noch für Boris Herrmanns Crew auf “Malizia – Seaexplorer” und wie blickt die künftige Skipperin Francesca Clapcich auf das Boot, das sie danach für ihre Vendée-Globe-Premiere übernimmt?

Am Sonntag startet die letzte Etappe im 2. Ocean Race Europe. Eine deutsche Siegerin wird es im Gegensatz zur Premiere, die 2021 im so dramatischen wie überraschenden Krimi-Endspurt “Einstein” gewann, dieses Mal nicht geben. Dafür ist der Rückstand von Boris Herrmanns “Malizia – Seaexplorer” bei insgesamt 18 Punkten auf die Spitze zu groß.

In Führung liegt Paul Meilhats Team Biotherm mit satten 41 Zählern. Bis zu Rang drei in der vierten und vorletzten Etappe waren die Franzosen auf allen Etappen und an jedem Wertungstor erste. Die fast weiße Weste hat dem Vendée-Globe-Fünften Meilhat und seiner Crew ein Polster von zwölf Zählern vor der co-favorisierten “Paprec Arkéa” (29 Punkte) und von 13,7 Punkten vor der ebenfalls co-favorisierten “Holcim-PRB” (27,3 Punkte) beschert.

Ocean Race Europe: das Finale naht

In der Theorie könnte sich Team Biotherm damit sogar den Ausfall einer ganzen Etappe leisten, ohne direkt die Führung einzubüßen. Maximal 16 Punkte sind noch zu holen: Zwei fürs erste Boot beim Wertungstor nach dem Genua-Etappenstart beim Längengrad von Santo Stefano, einer Insel im La-Maddalena-Archipel. Dazu sieben Zähler für den Sieg auf der fünften und mit rund 2000 Seemeilen längsten Etappe nach Boka Bay in Montenegro. Weitere sieben Punkte gibt es für den Sieg im kurzen Schlussrennen am 20. September im Revier von Boka Bay.

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Team Malizia hat aktuell elf Punkte Rückstand auf Platz zwei, 9,3 Punkte Rückstand auf Platz drei. Nur ein Zähler ist zum italienischen Team Allagrande Mapei Racing aufzuholen, das die vierte Etappe gewonnen hat. Boris Herrmann hatte schon nach dem enttäuschenden sechsten Platz auf der vorletzten Etappe angekündigt: “Ich hasse es zu verlieren. Das wird mich motivieren, auf der nächsten Etappe noch mehr zu leisten.”

Das Ergebnis auf Etappe vier hat Team Malizia und seinem Skipper weh getan. Weshalb Team Malizia das Europa verbindende Ocean Race Europe über insgesamt rund 4500 Seemeilen gerne mit einem Achtungserfolg beenden will. Trotz oder gerade wegen der Reaching-Schwäche in leichten Winden, die Cole Brauer auf Etappe vier als “etwas entmutigend” beschrieben hatte, wird das Herrmann-Team auf Angriff setzen.

Clapcich lernt für die Vendée-Globe-Premiere

Die erhoffte Abschiedsgala für “Malizia – Seaexplorer”, bevor das 2022er-Boot an Francesca Clapcich übergeben wird, ist zum Stresstest geworden. Der Crew um Boris Herrmann werden im oft flauen Mittelmeer starke Nehmerqualitäten abgefordert. Um die Podiumsplätze kämpfen andere. Die kommende Skipperin Francesca Clapcich nutzt trotzdem jede Minute im Ocean Race Europe, ihr kommendes Boot für die eigene Vendée-Globe-Premiere zu erkunden.

​”Frankie” Clapcich sagt: “Auf der Malizia-Seaexplorer zu sein und jeden Tag Rennen zu fahren, ist fantastisch, denn am Ende dieses Rennens werde ich das Boot selbst übernehmen. Dann beginnt meine Kampagne auf dem Wasser mit 11th Hour Racing wirklich.”

Ich lerne jeden Tag etwas Neues und fühle mich jetzt definitiv wohler, wenn wir Probleme auf dem Boot haben.” Francesca Clapcich

Clapcich, die das letzte Ocean Race um die Welt mit 11th Hour Racing gewonnen hatte und nun dem eigenen ersten Vendée-Globe-Gipfelsturm entgegensehet, hat in diesem Ocean Race Europe eine steile Lernkurve absolviert. Sie sagt: “Ich weiß, wo ich nach Lösungen suchen muss – auch auf der technischen Seite. Ich weiß, wie man die Systeme trennt und verbindet, wo die Dinge auf dem Boot gelagert sind, und das ist für mich etwas wirklich Positives, das nur durch das Segeln und Rennenfahrungn entsteht.”

Herrmann beherrscht “Malizia – Seaexplorer” im Schlaf

Dabei hat Francesca Clapcich auch Faszinierendes erlebt: “Es war gut, Boris auf den letzten Etappen dabei zu haben, weil er das Boot so gut kennt. Jedes Mal, wenn etwas nicht stimmt oder das falsche Segel gesetzt ist, spürt er das einfach. Er schläft in seiner Koje, wacht auf und sagt: ‘Ich weiß nicht, ob wir jetzt mit dem J3 segeln sollten.’ Dann frage ich: ‘Woher weißt du das – du hast doch geschlafen?’ Aber er spürt solche Dinge einfach, weil er drei Monate seines Lebens allein auf dem Boot verbracht hat, jedes einzelne Geräusch und jede einzelne Bewegung des Bootes wahrgenommen hat.”

Boris weiß, wann das Boot richtig eingestellt ist und wann nicht.” Francesca Clapcich

Das sei, so Clapcich eine enorm wichtige Eigenschaft. Etappe fünf wird sich eine weitere Chance fürs Lernen im Umgang mit dem Boot bieten, das die Italo-Amerikanerin nach dem Ocean Race Europe übernimmt. Warum ihre Wahl auf “Malizia – Seaexplorer” gefallen ist? Sie sagt: “Dafür gab es mehrere gute Gründe: “Zuerst einmal wollte ich kein neues Boot bauen. Wir haben in meinem Team und mit den Sponsoren darüber geredet. Wir haben alle Optionen auf den Tisch gelegt.”

Ein Neubau, so Clapcich, wäre eine Option gewesen. Aber: “Ich bin keine Ingenieurin, habe nicht den Hintergrund fürs Bootsdesign und eine starke Meinung dazu, wie es genau zu bauen wäre.” Francesca Clapcich ist studierte Sportwissenschaftlerin. Die Ocean-Race-Siegerin, Olympia- und America’s-Cup-Teilnehmerin geht ihre erste Vendée Globe lieber solide an. Grund Nummer zwei für ihre Entscheidung zugunsten von “Malizia – Seaexplorer”: “Ich wollte so schnell durchstarten wie möglich.”

Mit “Malizia – Seaexplorer” in die Zukunft

Noch in diesem Jahr das Transat Café L’Or mit Will Harris bestreiten zu können, sieht Clapcich als Vorteil für die eigene Vendée-Globe-Zukunft. Sie sagt: “Es waren nicht viele Boote dafür verfügbar.” Grund Nummer drei für die Entscheidung pro “Malizia – Seaexplorer”, die schon in wenigen Wochen ein neues 11th-Hour-Kleid tragen wird: “Ich wollte gerne Teil eines bereits etablierten Teams sein. Es ist das erste Mal, dass ich die Vendée Globe angehen will. Ich habe nicht viel Erfahrung im Solosegeln, komme nicht mit einem vollen Technik-Team”, erklärt Clapcich im Gespräch mit YACHT online.

Francesca Clapcich beschreibt Team Malizia als sehr offenes internationales Team. Das ist ihr wichtig. Sie sei keine Französin, lebe nicht in Frankreich. Sie bewundere Boris Herrmann dafür, wie er sich schon vor vielen Jahren “als noch nicht viele Nicht-Franzosen in der Szene waren” dort durchgesetzt und auf so hohem Niveau mit seinem Team etabliert habe. Auch deshalb fühlt sie sich wohl unter dem Dach von Team Malizia, das ihre Kampagne in vielen Bereichen begleitet und managt.

Zum Boot selbst sagte Francesca Clapcich: “Wenn mit der Qualifikation alles klar geht, wird es meine erste Vendée Globe sein. Meine erste Priorität ist es, das Rennen zu beenden. Es mit einem guten Ergebnis zu beenden. Ich mache das nicht fürs Abenteuer. Die Art von Mensch bin ich nicht.

Ich glaube, “Malizia” ist ein extrem zuverlässiges Boot, das schon unglaubliche Leistungen in stärkeren Winden und Wellen gezeigt hat.” Francesca Clapcich

Die Crews für Etappe fünf im Ocean Race Europe

Diese druckvolleren Winde mögen im Ocean Race Europe mit seinen überwiegend komplizierten Leichtwindbedingungen gerade nicht an der Tagesordnung stehen, sind aber die Seiten an “Malizia – Seaexplorer”, die in Zukunft wieder ziehen sollen. So wie schon im Herbst im Transat Café L’Or. Davor aber steht jetzt das Finale im Ocean Race Europe. Boris Herrmann bestreitet Etappe fünf mit Co-Skipperin Francesca Clapcich, Cole Brauer und Will Harris.

Die am Samstag veröffentlichten Crew-Listen zeigen in allen Teams nur wenige Änderungen. Paul Meilhat wird mit Amélie Grassi, Benjamin Ferré und dem Spanier Carlos Manera darum kämpfen, den vorzeitigen “Biotherm”-Sieg zu sichern. Team Paprec Arkéa will mit Yoann Richomme, Co-Skipper Corentin Horeau, Mariana Lobato und Gautier Levisse auf Kurs Boka Bay den zweiten Platz verteidigen.

Den will aber auch das Schweizer Team Holcim-PRB mit Skipperin Rosalin Kuiper, Nico Lunven, Carolijn Brouwer und Alan Roberts. Nach dem Roationsprinzip setzt im Team Holcim-PRB dieses Mal Franck Cammas aus. Inwieweit das viertplatzierte Team Allagrande Mapei Racing nach dem jüngsten “Heimsieg” mit Skipper Ambrogio Beccaria, Co-Skipper Thomas Ruyant, Hugo Feydit und der starken Abby Ehler noch vorpreschen kann, muss Etappe fünf im Ocean Race Europe zeigen. Andererseits liegt Team Malizia nur einen Punkt hinter dem Italiener mit starker französischer Crew und wird kämpfen, um wieder an der Beccaria-Crew vorbeizuziehen.

Neues Revier auf Kurs Boka Bay

Die Etappe ist neu und bringt die Flotte in ein Revier, die viele Segler noch nicht kennen. Sie führt von Genua nach Süden westlich an Korsika und Sardinien vorbei, weiter zu einem Wegpunkt oberhalb von Sizilien (etwa auf dem Längengrad von Palermo), dann etwas zurück und rund Sizilien zum ersten Wegpunkt im Ionischen Meer. Zwischen Apulien im Westen und Griechenland und Albanien im Osten geht es wieder hoch nach Norden in den Zielhafen Boka Bay – spannendes Neuland für die meisten Ocean-Race-Segler.

Der Startschuss zu Etappe fünf fällt am Sonntag (7. September) um 15 Uhr Ortszeit vor Genua. Zuvor beginnt für alle, die im Etappenhafen Genua dabei sind, die Dockout-Show um 12.30 Uhr. Zum Tracker geht es nach dem Start hier. Und das ist der Kurs für Etappe fünf:

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Rumpfdesigns, Bugsektionen, Cockpits, Segelsysteme, Foils – so funktionieren die sieben Imocas im Ocean Race Europe. Niall Myant-Best hat alle Teams besucht und zeigt die Unterschiede:

Der Rückblick von Team Malizia auf Etappe vier:

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