Interview Boris Herrmann„Jetzt ist das Virus in mein Blut gelangt“

Tatjana Pokorny

 · 28.06.2023

Das Team feiert den Etappensieg
Foto: Sailing Energy / The Ocean Race
Was war gut und was sollte sich ändern am The Ocean Race? Im Gespräch blickt Boris Herrmann zurück auf seine Ocean-Race-Premiere und wagt einen Blick in die Zukunft

Sag mal, Boris, haben sich die Imocas im Ocean Race bewährt?

Das haben sie. Die VO65-Klasse ist leider raus, wird auch im Ocean Race Europe nicht mehr dabei sein. Das war hier eine Überraschung und hat auch für Missstimmung gesorgt. Was ich gut verstehen kann. Aber die Imocas haben sich stark bewährt. Es gab fast keine negativen Überraschungen. Und sie waren auch deutlich schneller als die 65er.

Es gab immerhin zwei Mastbrüche …

Mastbrüche hat es auch früher schon bei den 65ern gegeben. In diesem Rennen waren nicht irgendwelche großen Konstruktionsfehler zu sehen. Das waren einzelne Bauteile, die versagten. Das lässt sich erklären und kann dann auch mal in einem Mastbruch resultieren, aber diese Imoca-Masten, die sind schon sehr solide.

Es sollte also für die Zukunft bei einer Bootsklasse bleiben – den Imocas?

Ja, absolut. Es war von Beginn an ein großer Fehler – bei allem Respekt für das Management, das viele tolle Entscheidungen getroffen hat –, die 65er am Leben zu erhalten. Verständlich, aber keine gute Entscheidung. Es hat einfach die Flotte gespalten, das Momentum verwässert. Es haben sich viele 65er-Kampagnen daran abgearbeitet, Geld zusammenzubringen. Da wären sicher zwei, drei Imoca-Kampagnen zusätzlich entstanden, wenn man das nicht noch versucht hätte, was ja am Ende auch nicht geklappt hat.

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Hast du ein Beispiel, wo eine Imoca-Erweiterung möglich gewesen wäre?

Einige der Teams haben durchaus gute Kampagnen zusammengebracht. Beispielsweise Team Poland mit dem WindWhisper Racing Team. Die haben alle Etappen gewonnen. Die waren stark, hatten zwei Schiffe. Die hätten natürlich auch eine starke Imoca-Kampagne aufstellen können. Und sie hätten es auch gemacht, wenn es von vornherein klar gewesen wäre. Deswegen haben wir uns schon stark geärgert, dass die 65er noch mit gestartet wurden. Es war abzusehen, dass das keine gute Idee war.

Kann das Punktesystem bleiben?

Das ist grundsätzlich gut und besser, als die gesegelten Zeiten zu addieren, weil man mit Punkten das Rennen auch dann gewinnen kann, wenn man mal auf einer Etappe Schäden hat. Das macht dieses Rennen wunderbar komplementär zur Vendée Globe. Die Vendée Globe ist auch deshalb so brutal, weil du einfach keinen Fehler haben darfst. Wenn du raus bist, bist du raus. Dafür so einen Riesenaufwand zu betreiben, ist natürlich unglaublich. Das ist ein großes Problem, das sie bei der Vendée Globe haben. Während wir mit dem Ocean Race ein Rennen haben, wo es genau anders ist: Wenn wir hier ein großes Problem haben, kann man über die Logistik, mit starken Partnern und dem finanziellen Background wieder zurückkommen. Man kann es schaffen, weiter mitzuspielen.

Kann man das Punktesystem optimieren?

Ja, indem man die Punkte ein bisschen mehr nach Schwierigkeit und Länge der Etappen verteilt. Wir hätten uns für Kap Hoorn ein Wertungstor gewünscht, weil es für das Rennen ein sehr symbolischer Ort ist, eine große Wendemarke. Und von dort nach Norden ist auch noch einmal eine ganz eigene Etappe gewesen.

Also eine Dreifachwertung für die Königsetappe. Geht die Doppelwertung für den Transat-Abschnitt von Newport nach Aarhus in Ordnung?

Ja, das kann man machen. Das haben die Veranstalter entschieden. So will man ikonische Etappen schaffen, eine Art “Signature Legs”. Aber hier war das Rennen danach natürlich auch schon ein bisschen gespielt, überproportional vorentschieden. Wir haben das bereits vor der Etappe nicht so gut gefunden. Man hätte auch da in der Mitte der Etappe ein Wertungstor setzen können, um die Leistung zwischendurch zu belohnen. Was einen großen Unterschied machen wird, ist, wenn wir nächstes Mal zehn Boote haben. Dann sind mehr Möglichkeiten gegeben, dann ist mehr Spiel drin. Man könnte beispielsweise auch die letzte Etappe doppelt werten. Dann hält man die Spannung bis zuletzt. Das wäre so wie bei den Medaillenrennen bei Olympischen Spielen. Da könnten Teams am Ende noch alles gewinnen oder verlieren. Ich sage aber nicht, dass ich es so machen würde.

War die Teamgröße mit Vierer-Crews gut gewählt?

Wenn ich der Veranstalter wäre – und ich weiß ja schön immer alles besser (lacht): Ich würde es den Teams freistellen, eine Crew-Stärke zwischen drei und fünf Seglern oder Seglerinnen zu wählen. Man könnte auch noch einmal über eine 50-Prozent-Frauenregel diskutieren, was aber bei fünf Leuten schwierig wäre. Grundsätzlich war es eine super Entscheidung der Veranstalter, von ursprünglich angedachten fünf auf vier zu reduzieren. Vier ist einfach eine tolle Zahl. Wenn man das jetzt auf drei bis fünf freistellen würde, dann würde man vielleicht einige der Franzosen, so Hardcore-Imoca-Leute, die ihre Boote nur für die Vendée Globe gebaut haben, wo eigentlich gar kein Platz im Cockpit ist, die würde man vielleicht ein bisschen mehr hinter dem Ofen hervorholen, wenn die nur zu dritt segeln dürften. Für lange Etappen kann es ein Vorteil sein, wenn man leichter ist. Auf der anderen Seite würde man einer jungen Crew mit mehr Leuten mehr Möglichkeiten und Spielraum verschaffen, neue Leute reinzubringen. Das wäre mein Vorschlag. Aber vier ist einfach die ideale Zahl.

Würdest du gern in Zukunft wieder ein Ocean Race segeln?

Ja. Wir wollen hier wieder dabei sein. Wir wollen das Ocean Race wieder machen. Das war für uns eine tolle Erfahrung als Team. Wir hoffen auch, dass unsere Partner das so sehen. Wir können jetzt noch keine offizielle Kampagne verkünden, aber ich würde ein vorsichtiges Zwischenfazit ziehen, dass wir da auf jeden Fall sehr, sehr wahrscheinlich hoch motiviert daran arbeiten werden, wieder an den Start zu gehen. Jetzt ist das Virus in mein Blut gelangt. Das werde ich so schnell nicht wieder los.

Kiel hat sich beim Fly-by toll präsentiert. Welche Rolle traust du der Sailing City in Zukunft zu?

Ich finde, dass sich Deutschland insgesamt bei diesem 14. The Ocean Race toll präsentiert hat. Kiel natürlich auch. Großen Respekt an die Veranstalter! Angefangen mit dem Oberbürgermeister, der den Segelsport auch persönlich unterstützt, aber auch an alle anderen Leute in Kiel, die das mit ihrer Erfahrung aus den sonstigen großen Segelveranstaltungen wie der Kieler Woche organisieren. Kiel ist prädestiniert für so was. Das war ganz toll. Deutschland war insgesamt ein starker Faktor in diesem Rennen. Viele Fans sind Deutsche. Viele haben auf den Malizia-Tracker zugegriffen. Wir hatten sehr starke und tolle Unterstützung aus Deutschland. So viele Leute sind nach Aarhus oder Den Haag gekommen. Es wird immer gesagt, Deutschland ist gar nicht so die Segelnation. Das war aber schon immer nicht ganz richtig. Man hat das schon beim Sieg der “Illbruck” 2002 gesehen. Man sieht es bei der Kieler Woche, der boot in Düsseldorf, der Hanse-Gruppe als größter Werft und all den anderen Events und Engagements, wo Deutschland – an bestimmten Messzahlen gemessen – sehr präsent ist. Wir haben mit der YACHT das größte Segelmagazin Europas. Und man muss aus unserer Sicht bei diesem Ocean Race sagen, dass die deutschen Medien das Rennen toll aufgenommen haben – durchaus stärker als in Frankreich. Ich fände es super, wenn wir nächstes Mal in Hamburg starten und in Kiel ankommen.

Hat sich die aktuelle und eher puristische Ocean-Race-Route mit der historisch längsten Etappe entlang der drei Kaps bewährt?

Ja, ich glaube, dass die Route ein essenzieller Erfolgsfaktor ist. Die Beibehaltung der alten Route mit elf Etappenhäfen und einer Kampagnendauer von acht, neun Monaten inklusive Ports in China und weiteren, das wäre aus meiner Sicht heutzutage schwierig darstellbar. Ich würde den Veranstaltern stark empfehlen, unbedingt bei dieser Route zu bleiben: die klassische Route, die drei Kaps, der Süden. Für uns als Team ist es vielleicht nicht so relevant, ob wir in Australien oder Neuseeland noch einmal anhalten. Oder ob es nun Salvador, Rio oder Itajaí ist, auch wenn wir Itajaí ganz toll fanden. Aber die Route ist absolut perfekt. Und die muss so bleiben. Ich würde bei einer grundsätzlichen Veränderung ein schwieriges Ocean Race sehen.

Kommen wir zur Segelgarderobe: Passte das Reglement oder gibt es Veränderungsbedarf?

Nein, das hat sich sehr bewährt. Da lag eine gute und informierte Entscheidung zugrunde. Natürlich hatte Team Guyot echt Pech, am Ende aufgrund des hohen Zusatzbedarfs infolge des Mastbruchs noch einen Strafpunkt zu bekommen. Das ändert aber nichts an deren Gesamtplatzierung. Es war insgesamt gut, dass mit beschränkter Segelgarderobe dem Wahnsinn von großer Verschwendung ein Riegel vorgeschoben wurde.

Dein Boot „Malizia – Seaexplorer“ wurde oft als Starkwindrakete mit Schwächen in leichten Winden bezeichnet. Andererseits ist es erst jetzt etwa ein Jahr alt. Wie siehst du es nach dem Rennen um die Welt?

Ich glaube, unser Schiff ist gut. Wir haben immer noch nicht ganz verstanden, wie wir alles perfekt machen können. Man lernt doch eine ganze Weile mit so einem neuen Boot. Aber ich bin von Grund auf zufrieden. Das Schiff ist auch gut bei Leichtwind. Es ist auch nicht schwerer als die anderen. Da wurde viel Nonsens verbreitet.

Mag das auch an der bulligen Optik liegen?

Das kann sein. Darüber kann man natürlich diskutieren. Aber für uns hat alles genaue Gründe, warum wir es so oder so gemacht haben.

Du siehst also dein Boot in Relation zu den anderen Vendée-Globe-Booten gut aufgestellt?

Ich sehe uns als sehr gut aufgestellt. Ganz ehrlich: Persönlich würde ich mit keinem der anderen Schiffe überhaupt in Erwägung ziehen, bei der Vendée Globe antreten zu wollen.

Mit deinem Team warst du insgesamt zufrieden?

Sehr! Wir haben gut zusammengearbeitet, haben gut harmoniert. Wir haben nicht sehr viele Fehler gemacht. Ich bin so stolz auf mein Team. Unvergessen bleibt sicher die Kap-Hoorn-Etappe. Es hat eine Weile gedauert, bis wir realisiert hatten, was wir da erreicht haben. Ich habe lange davon geträumt, am Ocean Race teilzunehmen, diese unglaubliche Etappe durchs Südpolarmeer zu absolvieren, sie nach all den Schwierigkeiten, die wir am Anfang hatten, nicht nur zu beenden, sondern sie auch noch zu gewinnen! Wenn man mir davor gesagt hätte: Repariert mal euren Mast auf See und dann gewinnt ihr auch, dann hätte ich das nicht geglaubt. Ich hätte es als unmöglich bezeichnet. Doch dann hat es viel besser geklappt als erwartet.

Gibt es etwas, das dir an diesem Ocean Race gar nicht gefallen hat?

Nein, da wüsste ich nichts.

Zum Finale gab es durch den von Team Guyot verursachten Crash mit 11th Hour Racing einen großen Knall. Über die Sieger und das Abschlussklassement muss am grünen Tisch entschieden werden. Inwieweit hat dieser Unfall das Rennen beeinflusst?

Der Crash hat am Ende die Musik aus dem Rennen genommen. Ansonsten hätten wir zumindest theoretisch noch um Platz zwei spielen können. Und Holcim – PRB um Platz eins. So muss es 11th Hour Racing gewinnen. Die Jury-Entscheidung kann nur eine Wiedergutmachung in Form des Durchschnitts der zuvor ersegelten Platzierungen sein.

Hat die letzte Etappe im Schatten dieser Erwägungen trotzdem noch Spaß gemacht?

Es war eine sehr langsame Etappe. Wir waren in gutem Mode und gutem Mood (Stimmung) mit dem Team. Es hat viel Spaß gemacht, auf See zu sein. Zum Glück hatten wir nicht viel Druck auf den Schultern. Wir wussten: Egal, was bei der Jury-Anhörung herauskommt – wir sind Dritte. Wir empfanden uns auch nicht als betroffen von dem ganzen Jury-Heckmeck. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Jury auch uns dazu befragen will. Ich habe dazu nichts zu sagen. Es war für uns einfach ein klarer Fall von Backbord-Steuerbord. Ich glaube, diese ganze Anhörung mit allen Teams dient ein wenig als Alibi, um nicht einfach einen Sieger verkünden zu müssen und schon vor der Ankunft in Genua die gesamte Spannung rauszunehmen.

Wenn du jetzt einmal schwärmen dürftest über das eben zu Ende gegangene Ocean Race …

… dann würde ich sagen, dass alle Beteiligten an diesem Rennen enorm zusammengewachsen sind. Die ganze Solidarität mit dem Guyot Team Europe, den anderen Deutschen, die dabei waren, Robert und seinen Leuten – da ist das Rennen viel mehr als eine Sportveranstaltung gewesen. Es ist wie eine große Familie.



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