Normalerweise hört man in Sassnitz vor allem die Ostsee plätschern, rauschen oder auch einmal brausen. Doch aktuell mischt sich ein neuer Ton dazu: das Heulen der F50-Foiler. Der Racing-Sound ist Musik in den Ohren der Fans. Die Formel 1 des Segelsports ist auf Rügen angekommen. Der erste Startschuss zur Deutschland-Premiere fällt am Samstag um 15.30 Uhr.
Die wichtigsten vier Fragen, die in Sassnitz vor dem ersten Germany Sail Grand Prix kursieren und diskutiert werden, sind diese: Wie wird es? Kann Team Germany Glanzpunkte setzen? Wer gewinnt? Und: Bleibt das Gastspiel der Segel Formel 1 in Sassnitz ein Eintagsbrummer oder kommt der SailGP wieder?
Einige Tage schon haben das deutsche Team und andere sogenannte „underperforming Teams“ in Sassnitz trainiert. Das war nicht nur ein optisches Spektakel mit den riesigen F50-Foilern und ihren bis zu 29 Meter hohen Flügeln. Auch akkustisch hat die Weltliga des Segelsports einen neuen Sound nach Sassnitz gebracht. Man hört fast überall im Ort ein leichtes Heulen, wenn die Crews mit den Katamaranen direkt vor dem Ufer im Einsatz sind. Es ist der neue Sassnitz-Sound für dieses Wochenende.
Vier Tage Training, in dem vor allem viele Start auf dem Programm standen, hat das Germany SailGP Team hinter sich. Die Crew um Erik Kosegarten-Heil hat jede Minute der in der Liga seltenen Intensiv-Chance genutzt. Der Steuermann sagt: „Es war cool! Wir hatten verschiedene Bedingungen. Mal wenig, mal viel Wind, auch verschiedene Richtungen. Zwei Tage lang onshore, zwei Tage lang offshore. Jetzt geht es fürs Wochenende wieder offshore los. Morgen erwarten wir relativ viel Wind.“
Flexibilität, so sagt Erik Kosegarten-Heil, wird eine wichtige Eigenschaft am SailGP-Rennwochenende in Sassnitz sein. Zur „Flexibilität, vor allem im Kopf“ brauche es für Erfolge an diesem Wochenende auch „Anpassungsfähigkeit an die verschiedenen Winde“, weiß Erik Kosegarten-Heil. „Wir haben gestern erlebt, wie schwer das Starten ist, wenn man nicht ganz genau weiß, ob man foilen kann oder nicht. Dann ändert sich das Timing in die Startbox hinein massiv. Und alle Teams haben gestern echt gelitten.“
Wer das SailGP-Wochenende in Sassnitz gewinnt? Erik Kosegarten-Heil sagt: „Ich glaube, die Stärksten haben in der Pressekonferenz neben mir gesessen: Peter Burling, Dylan Fletcher, Tom Slingsby und Guiles Scott. Dazu wäre dann vielleicht noch das spanische Team zu ergänzen. So drehende Wind mag Diego (Red.: Spaniens Steuermann, 49er-Olympiasieger und Ex-Sparringpartner von Erik Kosegarten-Heil) auch ganz gerne. Und er mag das ‚marginal foiling‘, auf die Foils zu poppen, das smarte Segeln… Ich glaube, die sind nicht schlecht unterwegs.“
Zu den Zwischenständen der SailGP-Saisonmeisterschaft geht es hier. Vor dem Sassnitz-Gipfel liegt Team Germany unter zwölf Teamsauf Platz elf. Ein historisches Strafpunktmaß hat das Team früh in der Saison stärker zurückgeworfen, als es sportlich dastehen wollte. Und auch, als kenntnisreiche Beobachter es erwartet hatten.
Liga-Gründer und CEO Russell Coutts sagte gegenüber YACHT online beim ausführlichen Interview in Sassnitz: „Ich denke, ich habe erwartet, dass sie schon vor diesem Wochenende einmal einen Podiumsplatz erreichen. Insbesondere, wenn man sich die talentierten Leute ansieht, die sie an Bord versammelt haben. Ich glaube, sie werden dahinkommen. Es ist ein Prozess. Und es ist wirklich schwierig, hier in diesem Circuit erfolgreich zu sein.“
Du segelst im SailGP wirklich gegen die Besten der Besten.“ Russell Coutts
Coutts sagt: „Wenn du gegen Teams wie Australien, Spanien, Neuseeland, die Briten antrittst – die sind einfach schwer zu schlagen.“ Das habe, so Coutts, nicht alleine damit zu tun, dass die Etablierten von Stunde Null an im SailGP aktiv waren und die neueren Teams wie Schwarz-Rot-Gold diesem Vorsprung hinterherjagen.
Coutts sagt: „Wenn man Spanien anschaut: die haben einen echt guten Job gemacht und eine Saisonmeisterschaft gewonnen. Sie haben gezeigt, dass es möglich ist. Sie sind das Beispiel. Sie haben ihre Prozesse gut im Griff, gutes Coaching und gute Leute an Bord. Es ist also möglich.“
Bei null Punkten nach sieben Events ist Team Germanys Ziel für das Heimspiel klar. Erik Kosegarten-Heil sagt: „Wir würden gerne in Sassnitz ein richtiges Ausrufezeichen setzen.“ Grinder Jonathan Knottnerus-Meyer aus Kiel unterstreicht die Kampfansage: „Wir sind bis in die Haarspitzen motiviert, den heimischen Fans eine Spitzenleistung zu bieten. Wenn wir es schaffen, die Starts gut zu bestreiten, dann ist einiges möglich. Wir malen uns auf jeden Fall etwas aus.”
Der Hammer! Wir haben endlich ein Heimevent!” Erik Kosegarten-Heil
In Schwerin aufgewachsen, verbindet Jonathan Knottnerus-Meyer nicht nur das absolvierte Medizinstudium mit seinem Steuermann Erik-Heil, sondern auch der Wille, den schweren Aufstieg im SailGP für das Germany SailGP Team weiter voranzutreiben. Er sagt: „Ich freue mich besonders, endlich auch mal in Deutschland ein Event segeln zu können – und dann noch vor den Kreidefelsen meiner Heimatregion. Die Ostsee, das Segelrevier und die Natur mit den Kreidefelsen sowie dem Wald – das gibt es in dieser Form kein zweites Mal im Rennkalender dieser Saison.“
Daran schließt sich direkt die Frage an, die sich in Sassnitz gerade jeder stellt: Bleibt der Rolex SailGP in Sassnitz ein Eintagsbrummer oder kommt die Liga im kommenden Jahr wieder? Mit dem ihm eigenen verschmitzten Lächeln parierte Russell Coutts diese Frage und sagte: „Wir haben mehr als 12.000 zahlende Zuschauer im Stadion und auf den Tribünen. Wir wollen sicher wieder nach Deutschland zurückkommen. Dazu erwarten wir in diesen Tage einige Ankündigungen.”
In der Bevölkerung von Sassnitz gehen die Meinungen mit Blick auf das Großereignis SailGP in dem 9000-Einwohner-Hafenort auseinander. Manche fühlen sich beiseitegeschoben, andere sehen große Chancen der rasanten Segelwerbung für ihren Ort. Eine echte Bilanz wird erst nach dem Großereignis gezogen werden können.
Bürgermeister Leon Kräusche sagte kurz vor Beginn des deutschen SailGP-Gipfels in seiner Stadt, die am Hafen über viele Tage zur Großbaustelle geworden war und dem Ereignis nun bestmöglich gerüstet entgegenblickte: „Es hat bislang besser geklappt als gedacht.“
Die SailGP-Teams, sagt Kräusche, seien beim Aufbau als Profis im Einsatz. „Und wir haben als Stadt auch eine Menge nachgelegt, sind im Großen und Ganzen mit den Zeitplänen gut im Rennen”, so Kräusche. Es gäbe immer „Dinge und Ecken, die man auch noch hätte beackern können“, doch: „Das Konzept, das Verkehrkonzept, die Transporte, die Parkflächen, die technische Area – alles ist vorbereitet.“
Wir schauen optimistisch aufs Event.“ Leon Kräusche
Am Freitagnachmittag verband eine Schüleraktion die junge Sassnitz-Generation mit dem Rolex Sail Grand Prix: Die 5. Klasse der Regionalen Schule Sassnitz hat mit viel Liebe und Kreativität für jedes der zwölf SailGP-Teams einen eigenen Katamaran gebastelt - gefertigt aus den alten Bohlen des Sassnitzer Seestegs, ergänzt durch alte Fischernetze und gestaltet in den Landesfarben der jeweiligen Teams.
Mit diesem Projekt haben die Schülerinnen und Schüler sogar den SailGP-Preis "The Next Generation Challenge" gewonnen – das internationale SailGP-Team war begeistert von der Idee, den Materialien und dem handwerklichen Können! Viel Glück hatte ein Mädchen, die den kleinen australischen Holzkatamaran übergab: Tom Slingsbys Bonds Flying Roos bedankten sich mit einem coolen grünen Helm für das liebevoll gebastelte Boot.
Bereits am Vortag ging die historische Premiere der Internationalen Deutschen Meisterschaft im inklusiven Segeln. Erstmals in der Geschichte wurde eine inklusive Regatta erfolgreich in den prestigeträchtigen Rolex Sail Grand Prix integriert. Sebastian Vettel, Formel-1-Legende und an der Seite von Kommunikationstechnologie-Unternehmer Mitgründer des Germany SailGP Team presented by Deutsche Bank, ehrte die Teilnehmer und Siegerinnen mit Sportministerin Stefanie Drese und der Vizepräsidentin des Deutschen Segler-Verbandes, Katrin Adloff.
Sebastian Vettel setzte mit seinem Engagement ein starkes Zeichen für gelebte Inklusion im Spitzensport. Nach drei spannenden Wettkampftagen im Stadthafen Sassnitz sicherten sich Silke Basedow und Nomine Fabian den Doppelsieg: Sie holten nicht nur den Titel der Internationalen Deutschen Meister im inklusiven Segeln, sondern gewannen auch den 2. Spieltag des Heinz Kettler Deutschland Cups.
Das Duo setzte sich in einem hochklassigen Teilnehmerfeld von 16 internationalen Crews durch und bewies eindrucksvoll, dass im inklusiven Segeln sportliche Höchstleistungen und Teilhabe perfekt harmonieren. Besonders beeindruckend: Mit ihren erst elf Jahren war Nomine Fabian die zweitjüngste Teilnehmerin des gesamten Feldes. Den zweiten Platz in beiden Wertungen belegten Maren Hahlbrock und Sophia Hein, die mit konstanten Leistungen überzeugten. Bronze ging jeweils an das erfahrene Team Jürgen Brietzke und Siegmund Mainka, die bis zum letzten Rennen um den Titel kämpften.
Für alle Crews und die über 30 ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen war es ein unglaublich emotionaler und bewegender Moment, als der viermalige Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel persönlich die Siegerehrung durchführte. Die Atmosphäre in der Teambase war von Gänsehaut-Momenten geprägt, als neben dem gastgebenden deutschen Team auch zahlreiche andere SailGP Teams anwesend waren und den inklusiven Seglerinnen und Seglern stehende Ovationen zollten.
Den Grundstein zur Vorbild-Veranstaltung legten in Kooperation das Germany SailGP Team und der Verein Wir sind Wir – Inclusion in Sailing. „Diese Partnerschaft mit Wir sind Wir -- Inclusion in Sailing e.V. ist ein Meilenstein für unser Engagement im Bereich Diversity & Inclusion", sagte Tim Krieglstein, Geschäftsführer des German SailGP Teams. „Als erstes SailGP-Event weltweit, das eine inklusive Regatta integriert, haben wir in Sassnitz neue Standards gesetzt."
Die Veranstaltung markierte gleichzeitig der 2. Spieltag des Heinz Kettler Deutschland Cups, der ersten inklusiven Regattaserie weltweit. Die drei Siegerteams erhielten somit doppelte Ehren: sowohl die Medaillen und Urkunden der Internationalen Deutschen Meisterschaft als auch die Auszeichnungen des Heinz Kettler Deutschland Cups.
Nach den letzten SailGP-Traininsgläufen am Freitag ist Sassnitz bereit für den SailGP am Wochenende. Der Ort schäumt über vor deutschen Segelfans, die in Sassnitz, auf Rügen oder auch in Stralsund ihre Quartiere bezogen haben und das Ereignis erleben wollen. Sie kommen aus allen Bundesländern und aus vielen Segelvereinen im Land. Viele von ihnen sind stolz darauf, dass Deutschland Gastgeber eines Top Acts des Segelsports ist.
Die Pressekonferenz zum SailGP in Sassnitz fand am Freitag vor den Wochenendrennen statt: