Es war der 24. September 2024, an dem sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitete: Der SailGP kommt nach Sassnitz! Nur: Wo ist eigentlich dieses Sassnitz? Das fragten sich viele internationale Teams. Jetzt wissen sie es! 13.000 zahlende Zuschauer haben das Segelspektakel vor Ort an einem Sommerwonnewochenende gefeiert.
Die anfangs mutig erscheinende Wahl des kleinen Hafenortes hat sich als Volltreffer erwiesen. Die Ostseebühne bot vor Rügens sagenhafter Kreidefelsenkulisse spektakulären Zuschauersport mit allem, was die Formel-1 des Segelsports ausmacht: rasante Action auf blauem Meer, furiose Foiler, knackig-kurze Kurse. Dazu zauberte das Team Rockwool Racing mit 103,93 Stundenkilometern einen sensationellen Speedrekord auf die Prorer Wiek.
Zwölf Teams aus zwölf Ländern waren zum ersten SailGP in einem deutschen Revier aufgekreuzt. Neben internationalen Hotspots wie Dubai, Sydney oder New York hatte die Liga fürs Gastspiel in Germany einen kleinen 9000-Einwohner-Erholungsort als neue Destination in den Saisonkalender aufgenommen. Der SailGP-Tross reiste mit seinen rund Hundert Vierzig-Fuß-Containern nach Mecklenburg-Vorpommern. Vier davon sind jedem der Teams zugeordnet. Darin werden die auseinandergenommenen F50-Katamarane, der große Segelflügel in Segmenten und die Ausrüstung verpackt. Vor Ort fungieren die Container als Räume für Datenanalysen, Team-Briefings und Werkstätten. Drei bis fünf Tage dauern Auspacken und Zusammenbau der Boote, etwa zwei Tage der Abbau.
Als die großen „Koffer“ ausgepackt waren, sah der Stadthafen in Sassnitz anders aus. Wer die schwerelos wirkende Fußgänger-Hängebrücke vom Rügenplatz hinunter ans Wasser wählte, bekam einen guten Überblick über das Eventgelände. Mit Blick aufs Wasser fanden sich rechts beim Alten Glasbahnhof die Boxengasse mit den Team-Hangars. Voraus und zur Linken erstreckte sich der Stadthafen mit seinen rund 150 Liegeplätzen. Über die linke Hafenflanke ging es auf Europas längste begehbare Außenmole. Hier hatten die Veranstalter XXL-Tribünen und ihr Rennstadion mit Gästebereichen und der schicken Adrenaline Lounge für die Gäste der fünf Hauptpartner des SailGP aufgebaut.
Alles war angerichtet für eine Segelschau, wie Deutschland sie nie zuvor erlebt hatte. Aber warum nun eigentlich Sassnitz? Tim Krieglstein, Geschäftsführer für das Germany SailGP Team, sagte: „Sassnitz bietet ein gutes Revier mit allen Möglichkeiten zum Stadion-Racing. Außerdem herrschte hier totale Begeisterung seit Tag eins.“ Punkt drei betraf die zunächst analysierten Winddaten der vergangenen Jahrzehnte. Auch die sprachen für den Ort. SailGP-CEO Russell Coutts wies ferner daraufhin, dass das deutsche Team einigen Einfluss auf die Entscheidung hatte. „Sie sagten, es sei ein guter Austragungsort. Wir haben es uns angeschaut und waren einverstanden.“ An dieser Beurteilung hat sich nichts geändert. Noch während der ersten Rennen kam sogar die offizielle Zusage für zwei weitere SailGP-Jahre in Deutschland. Mindestens 2026 wieder in Sassnitz, der Termin steht mit dem 22. und 23. August bereits.
„Deutschland ist ein wichtiger Markt für uns“, erklärte Coutts, der die Liga seit ihrer Premierensaison 2019 vorantreibt. Inzwischen komme der SailGP ohne die finanzielle Förderung von Co-Initiator und Oracle-Gründer Larry Ellison aus. Coutts: „Ich glaube, dass wir das erste Unternehmen im Segelsport sind, das das im professionellen Bereich erreicht hat.“ Mittel- und langfristig soll die Liga auf 20 Boote und mindestens 20 Events pro Jahr anwachsen.
Der Publikumserfolg in Sassnitz spricht für das Konzept, dem Kritiker am ehesten vorwerfen, dass unter dem Strich zu wenig Segeln für zu viel Aufwand bleibt. À la Formel-1 sind es knapp vier Stunden Rennvergnügen pro Wochenende. Das Motto: kurz und intensiv. Die Zuschauer in Sassnitz waren begeistert. Es gingen Jubelstürme durchs Freiluftstadion, wenn die Zweirumpfgeschosse schon vor den Rennen die Parade abnahmen. Hören konnten die Segler das kaum. Sie trugen Kopfhörer für die Kommunikation an Bord, mit ihren Coaches, mit der Rennleitung und auch mit den Stadionsprechern. „Aber die Vibrationen, die konnten wir fühlen“, sagte der deutsche Steuermann Erik Kosegarten-Heil. So sehr hatten er und sein Team sich nach einigen Dämpfern in dieser Saison gewünscht, in Sassnitz „ein richtiges Ausrufezeichen“ setzen zu können. Es gelang. Mit dem Sieg im ersten Lauf raste sich der deutsche Rennstall in die Herzen der Fans.
Das hätte kein Hollywood-Autor besser schreiben können für die Liga, in der sich auch Filmstars engagieren wie Anne Hathaway (Team-Co-Eigentümerin im Team Red Bull Italy) oder Hugh Jackman und Ryan Reynolds (Australiens Team Bonds Flying Roos). Nach ihrem Auftakterfolg wahrten Kosegarten-Heil und seine Crew mit Strategin Anna Barth, Flügeltrimmer Stu Bithell, Flight Controller James Wierzbowski und den Grindern Felix van den Hövel, Jonathan Knottnerus-Meyer und Will Tiller bis zum letzten Lauf ihre Chance auf den Einzug ins Finale.
Leider steht die Formel-1 auch für die Kehrseite von Glanz und Gloria im SailGP Modell: Es gab reichlich Bruch. Sassnitz wurde spaßeshalber in Crashnitz umbenannt. Böse hatte es bereits im Training die einzige SailGP-Steuerfrau Martine Grael und ihr Team Mubadala Brazil erwischt, als erst der Beam und dann das Flügelsegel brachen – das vorzeitige Aus für die Südamerikaner. Den Franzosen flog das Steuerbordruder weg, bevor der rasende Kat abstürzte. Steuermann Quentin Delapierre musste kurz ins Hospital, doch gelang Skipper und Boot das Comeback.
Einen fast unwirklichen Crash kreierten die US-amerikanischen Liga-Schlusslichter um Steuermann Taylor Canfield. Sie rauschten in Backbord-Steuerbord-Situation am Wind von der Seite in den Briten-Foiler. Weil sie nicht ausreichend abgefallen waren, bohrte sich ihr Backbord-Rumpf vorlich des Ruderblattes unter den Backbord-Rumpf der Gegner. Durch die hohe Geschwindigkeit rasierte das Ruderblatt der Engländer dann mehrere Meter Rumpf der Amerikaner in deren Vorbeifahrt ab.
Die Szene demonstrierte brutal, welches Gefahrenpotenzial die Rennserie birgt. Für das Team Emirates GBR leisteten die Tech-Teams ganze Arbeit: Sie schnitten ein Stück Rumpf aus dem demolierten US-Katamaran, schlossen damit das Loch im Britenrumpf. Mit zwei Rennsiegen und Rang zwei flogen Fletcher und Co. mit der Emirates-Rakete anschließend wieder über den Kurs, als sei nichts gewesen.
Schwarz-Rot-Gold kurierte seine zuletzt arg schmerzende Achillesferse und glänzte beim Heimspiel mit starken Starts. Der nie zu Übertreibungen neigende Flensburger Coach Lennart Briesenick sagte: „Wir waren eigentlich recht happy mit den Starts, haben einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Aber wir müssen und wollen unbedingt weiter.“ Den Sprung ins Finale verpassten die Publikumslieblinge in den extrem böigen und drehenden Winden im letzten Lauf. Nach sieben Sprints über zwei Tage fehlten nur drei Punkte zum ersten Finaleinzug in der zweijährigen Teamgeschichte.
„Wir hätten es gerne nach Hause gefahren, aber an so einem Tag suchst du dir das nicht aus“, sagte Kosegarten- Heil mit Blick auf die instabilen Bedingungen, die auf dem Kurs für Stop-and-Go und erstaunliche Segelwinkel sorgten. Das „Wunder von Sassnitz“ blieb aus, doch hat sich der Rennstall von Thomas Riedel und Sebastian Vettel neuen Respekt ersegelt. Über Platz fünf im Abschlussklassement – punktgleich mit Neuseelands Black Foils – freute sich Erik Kosegarten- Heil: „Es ist unser bestes Ergebnis in dieser Saison. Die Bilanz ist hier in Sassnitz absolut positiv!“
Gewonnen haben den Sassnitz-Gipfel Frankreichs Les Bleus vor Emirates GBR und den Bonds Flying Roos. In Erinnerung bleiben von diesem ersten Germany SailGP neben der Leidenschaft und dem Engagement des deutschen Teams, der Gastgeber und der Fans auch Menschen und besondere Momente jenseits des Renngeschehens. Etwa Sebastian Vettel, der sich weit über eine kurze PR-Aktivität hinaus als Mensch für Inklusion im Segelsport stark machte. Er setzte sich in vielen Gesprächen bei der ersten inklusiven Regatta bei einem SailGP intensiv mit den Crews auseinander, ging mit der erst elf Jahre alten Siegerin Nomine Fabian segeln.
Als der viermalige Formel-1-Weltmeister am Finaltag als Gaststeuermann kurz das deutsche F50-Steuer übernahm, trug er einen neuen Helm versehen mit dem Slogan „Alle an Bord“. Er erklärte: „Damit wollen wir darauf aufmerksam machen, dass Menschen mit Behinderung am Segelsport teilnehmen dürfen und sollen.“ Der Helm wird zugunsten des Vereins „Wir sind Wir – Inclusion in Sailing“ versteigert. Alle an Bord, das gilt auch für die kommende zweite Auflage des Germany SailGP im nächsten Sommer. Die Veranstaltung ist nach Deutschland gekommen, um zu bleiben. 2026 werden voraussichtlich 13 oder 14 Segelrennschlitten vor Rügen aufkreuzen, denn die Liga will wie gesagt wachsen. Genau wie das Team Germany.