Das Germany SailGP Team will den Liga-Neustart in Saison fünf auch zum Neubeginn für sich selbst machen. Nach zweieinhalbmonatiger Rennpause, in der die Liga die foilenden F50-Katamarane repariert und überarbeitet hat, fällt der erste Startschuss seit dem 24. März am 7. Juni im Big Apple. Das bevorstehende Kräftemessen in New York markiert nach der gestrichenen Premiere in Rio de Janeiro das sechste Event der Saison 2024/2025.
Für den jungen deutschen Rennstall von Unternehmer Thomas Riedel und dem viermaligen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel ist es erst die zweite Saison. Im Unterschied zu vielen etablierten Teams war die Mannschaft um den zweimaligen 49er-Olympia-Dritten Erik Kosegarten-Heil, der am 11. April seine Lebensgefährtin Louisa Kosegarten geheiratet hat, 2023 ohne America’s-Cup-Erfahrung im SailGP durchgestartet. Der Weg nach oben ist für das Germany SailGP Team steil und dornig.
Ein außergewöhnlich heftiges Strafpunktgewitter hatte die Deutschen in Sydney hart getroffen. Anfang Februar hatten sich Steuermann Erik Kosegarten-Heil und seine Crew in Australien dort schon vor dem offiziellen Rennbeginn bei Wegerechtsverletzungen in Trainingsrennen zwölf Saisonstrafpunkte eingefangen – die höchste Strafe der Liga-Geschichte. An der Tilgung arbeiten sie immer noch. Hinzu kam das enttäuschende Ergebnis im März in San Francisco.
Dort, wo der australische Segelflügel so dramatisch gebrochen war und die danach erfolgte Entscheidung zur gründlichen Überholung der F50-Flotte befeuert hatte, war das deutsche Team zwischen Golden Gate Bridge und Alcatraz zu selten mit guten Starts aus den Blöcken gekommen. Insgesamt hatte es für Schwarz-Rot-Gold im SailGP vor San Francisco nur zum zehnten und vorletzten Platz gereicht, während die Dänen nach ihrer Kollision mit einer Kursmarke hatten zuschauen müssen.
Wir sind besser, als es die aktuelle Platzierung zeigt.” Lennart Briesenick
Für den Neustart der Flotte in New York peilt das deutsche Team für sich die Trendwende an. Dafür arbeiten sie intensiv. “Wir sind bis unter die Haarspitzen motiviert”, sagt Coach Lennart Briesenick. Der Flensburger Coach ist seit Stunde Null ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im deutschen Team, kreativer Antreiber und Fels in der Datenbrandung.
Während der Rennen fungieren Lennart Briesenick und auch der zweite Trainer Jacopo Plazzi Marzotto – genau wie ihre Kollegen in anderen Teams – an Land als wichtige Informationsgeber für die Crew. Sie agieren von Land aus wie zusätzliche Segler. “Wenn bei leichten Winden mit vier Akteuren gesegelt wird, dann sind wir quasi Segler Nummer 5 und 6. Sind sechs Segler an Bord, sind wir wie Segler 7 und 8”, erklärt Briesenick lächelnd.
Die im Rennhauptquartier an Monitoren positionierten Coaches sind im SailGP bei den Wettfahrten Teil des Kommunikationskreises, dürfen die Crews im Gegensatz zu anderen großen Regatten in Echtzeit mit wichtigen Informationen versorgen. Dabei bleibt die verbale Kommunikation aufs Wesentliche konzentriert. Da kommt etwa in der Vorstartphase eine knappe Ansage von Briesenick, wie viele Sekunden es noch zur sogenannten “Back Wall” sind, der rückwärtigen Kursbegrenzung, die ebenso wenig überfahren werden darf wie alle anderen Kursgrenzen.
“Die Optimierung der Kommunikation an Bord ist ein ständiger Prozess. Nach jedem Event gibt es im Team eine sehr detaillierte Kommunikationsanalyse. Wir legen jedes Wort auf die Waage”, beschreibt Briesenick die ständig weiterlaufenden Optimierungsprozesse. Wie alle Teams ringt auch das deutsche um den maximal zielgerichteten Umgang mit den Daten, die an Bord der rasenden F50-Katamarane von 1300 Sensoren eingefangen werden.
Aber auch im Datenmeer bleibt das Segekönnen der Crews entscheidend. “Wir haben von außen zwar Daten und Bilder, können aber das Boot nicht spüren. Nehmen wir zum Beispiel ein bevorstehendes Crossing. Da hat am Ende immer Anna als Strategin die letzte Entscheidung. Sie ist es, die sagt, ob das Boot vorne rumkommt oder ducken muss. Denn sie kann auf dem Boot fühlen, ob sich das Boot gerade stabil und schnell oder eher sticky und langsam anfühlt”, beschreibt Lennart Briesenick die Entscheidungsprozesse, denen Daten einerseits, aber seglerische Momentaufnahmen andererseits zu Grunde liegen.
Die in Hamburg großgewordene und in Kiel lebende Anna Barth ist an Bord als Strategin und in kleiner Leichtwind-Besetzung auch als Grinderin gefordert. Sie ist Teil des Germany SailGP Teams, das sich beim Liga-Einstieg 2023 im gegebenen Budget-Rahmen für seinen eigenen Kurs im Kampf um den Aufstieg entschieden hat.
“Es gibt zwei Wege nach oben: entweder kaufst du als Team die teuersten und erfahrensten Schlüsselleute und entwickelst die andere Hälfte der Leute. Oder Du baust das Team mit sehr guten Seglern, aber ohne Erfahrung aus America’s Cup oder SailGP Schritt für Schritt auf. Wir gehen im Rahmen unserer Bedingungen Weg zwei. Der erfordert ausdauernd harte Arbeit in allen Bereichen, Geduld und auch einmal Nehmerqualitäten, kann aber nachhaltiger sein”, sagt Team Germanys Coach Lennart Briesenick.
Das Germany SailGP Team presented by Deutsche Bank wird von Steuermann Erik Kosegarten-Heil angeführt. Der britische Flügeltrimmer und 49er-Olympiasieger Stuart Bithell, den Heil aus seinen aktiven olympischen 49er-Zeiten bestens kennt, und der australische Flight Controller James Wierzbowski sind mit der in Hamburg großgewordenen Strategin Anna Barth und sowie den Grindern Jonathan Knottnerus-Meyer (Kiel), Felix van den Hövel (München) und Will Tiller (Neuseeland) zu einer Einheit zusammengewachsen.
Sie nutzen jede Chance zur Verbesserung, auch wenn sie nicht aus den Denkfabriken des America’s Cup oder vier und fünf Jahren SailGP-Erfahrung schöpfen können wie die führenden Teams aus Australien, Großbritannien, Spanien, Neuseeland oder Kanada. An dem für alle Teams chronischen Mangel an Trainingsmöglichkeiten auf den F50-Katamaranen haben vor allem die noch nicht so lange im SailGP aktiven Teams wie die Deutschen zu knabbern.
Das nach dem Strafpunkthagel von Sydney mit immer noch einem Minuspunkt auf dem zwölften und letzten Liga-Platz liegende Team Germany konzentriert sich bei seinem Aufstieg auf andere Wege zur Verbesserung. So waren sie gemeinsam in der M32-Serie aktiv, um die Team-Zusammenarbeit weiter zu optimieren. Doch das war mit Blick auf die Kosten kein ganz günstiges Investment. “Es ist aber wichtig, zwischendurch auch im Team zu segeln”, erklärt Lennart Briesenick dieses vorerst abgeschlossene Fortbildungsprojekt.
Aktuell greift die Mannschaft zu Trainingszwecken auch auf vier Switches zurück, die in Kiel liegen. Die foilenden kleinen Highperformer werden bis zu 30 Knoten schnell. Das Germany SailGP Team hat sie mit einer selbst weiterentwickelten SailGP-Software ausgestattet. “Mit den Switches können wir eine Art Mini-SailGPs segeln. Inklusive Kursbegrenzungen und mehr. Das ist ein völlig neues Spiel, das es olympisch so nicht gab. Die Spanier hatten es in ihren ersten Saisons mit Motten, aber ohne Software ähnlich gemacht. Natürlich geht in Switsches alles etwas langsamer als im SailGP, aber die Prinzipien sind ganz ähnlich.”
Lennart Briesenick weiß gut um die vielen Herausforderungen für das Germany SailGP Team: “Die Erwartungen sind in der zweiten Saison schon andere als beim Einstieg. Und es ist ja keine Karnevalstruppe, gegen die wir hier antreten. Unsere Gegner sind alle schlaue und erfahrene Segler, die weitgehend mehr Zeit mit diesen Booten verbracht haben und teilweise zusätzlich viel America’s-Cup-Hintergrund haben.” Das zeigen auch die aktuellen Crew-Listen für New York hier.
Lennart Briesenick blickt dem New Yorker Gipfel am 7. und 8. Juni und dem weiteren Saisonverlauf inklusive deutscher SailGP-Premiere am 16. und 17. August in Sassnitz mit klarem Blick entgegen: “Ich glaube weiter daran, dass San Francisco nicht unser Niveau war. Das war ein unglückliches Event, das wir natürlich sehr ernst nehmen müssen. Wir bewegen uns momentan noch im Bereich von Plätzen zwischen sechs und zwölf. Wir müssen die Ausreißer nach unten bekämpfen.”
Gleichzeitig sieht Lennart Briesenick das wachsende Potenzial im Team: “Wenn an einem Wochenende alles klappt und vielleicht sich auch andere mal einen Fehltritt erlauben, dann haben wir das Potenzial, ein Finale zu erreichen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in dieser Saison dahinkommen können. Das wäre ein echter Bonus.”
Während sich das deutsche Team auf Kurs New York maximal auf den Sport konzentriert, sorgte andere Renställe für Glamour-Schlagzeilen. So wurde das Red Bull Italy SailGP Team von einem Investoren-Konsortium übernommen, dem auch die aus dem Kino-Hit “Der Teufel trägt Prada” bekannte Hollywood-Schauspielerin Anne Hathaway angehört. CEO und Miteigentümer des italienischen Teams bleibt mit Jimmy Spithill einer der erfolgreichsten Segler der Welt. Der Australier hatte im vergangenen Jahr das Ende seiner aktiven America’s-Cup-Karriere bekanntgegeben.
Warum der SailGP in Rio gestrichen wurde, wie es der Flotte jetzt geht und wie es in Saison fünf weitergeht: