Zum sechsten Mal in der SailGP-Geschichte ist an diesem Wochenende Sydney der Schauplatz für ein Kräftemessen in der schnellsten Segelliga der Welt. In Down Under hatte im Februar 2019 die historisch erste SailGP-Regatta stattgefunden. Zum zweiten Mal seit seinem Ligaeinstieg will auch das Germany SailGP Team mit Steuermann Erik Heil auf dem abwechslungsreichen Rennkurs weiter am Aufstieg arbeiten.
Das hat sich die Mannschaft im Training am Freitag allerdings schwerer gemacht als gedacht. Nach zwei Kollisionen mit Brasilien und Italien könnte das Strafpunktekonto des deutschen Rennstalls bis Samstagmorgen auf schwerwiegende 24 Punkte anschwellen. Zwölf Strafpunkte sind von der Jury bereits überwiesen. Ein weiteres Dutzend droht. Was war passiert?
Grinder Jonathan Knottnerus-Meyer erklärt: “Bei einen Crash haben wir den Italienern hinten ein kleines Stück vom Boot abgefahren. Dafür gab es zwölf Strafpunkte, was sehr viel ist. Beim zweiten Crash mit den Brasilianern haben wir in klassischer Backbord-Steuerbord-Situation gedacht, dass wir es noch vor ihnen durchschaffen. Das haben wir nicht geschafft. Wir wollten ausweichen, sie wollten ausweichen. Es war unglücklich gelaufen, dass wir dann quasi gegeneinandergelaufen sind.”
Ihr Bug ist einmal kurz hinten zwischen unsere beiden Rümpfe gekommen.” Jonathan Knottnerus-Meyer
Die weiteren Folgen beschrieb Jonas Knottnerus-Meyer so: “Es gab auch Bootskontakt. Da sind ein paar kleinere Karbonteile gebrochen. Nichts Dramatisches, aber schon ein Schaden. Da ist noch nicht ganz klar, wie viele Strafpunkte wir bekommen. Ich vermute mal, dass es auch zwölf Strafpunkte werden.” Die Entscheidung wird in Sydney erst am Samstagmorgen erwartet, also am späten Abend oder in der Nacht deutscher Zeit.
Sollten sich für das Germany SailGP Team tatsächlich 24 Strafpunkte auftürmen, werden Steuermann Erik Heil, Strategin Anna Barth, Wingtrimmer Stuart Bithell, Flightcontroller James Wierzbowski, die Grinder Felix van den Hövel, Jonathan Knottnerus-Meyer, Will Tiller und ihre Coaches Lennart Briesenick und Phil Robertson zwischen Opernhaus und Sydney Harbour Bridge einen sehr hohen Berg zu erklimmen haben.
Was falsch war, ist sozusagen das Risiko, das wir an einem Trainingstag gegangen sind. Da war unsere Risikoeinstellung nicht optimal.” Jonathan Knottnerus-Meyer.
Die Strafen sind für Kollisionen im SailGP bewusst hart gewählt, um die Teams im rasanten Kampf von gefährlich engen Situationen abzuhalten, das Unfall- und Bruchrisiko zu minimieren. Zum Vergleich: Das dänische Rockwool SailGP Team hatte in Auckland “nur” zwei Strafpunkte für die “Kollision” mit einer Bahnmarke erhalten.
Der Blick auf die Ergebnisse des Auckland-Gipfels im Januar zeigt: Nach sieben Fleetraces bis zum Finale hatten die Teams auf den Plätzen acht (Germany SailGP Team) bis elf bei 20 bis 18 Punkten insgesamt keine 24 Zähler sammeln können, die dem deutschen Rennstall nun schon vor Regattastart abgezogen werden könnten.
Die eben noch optimistischen Aussichen aufs Sydney-Event in Down Under haben sich damit verdüstert. “Theoretisch starten wir im schlimmsten Fall mit minus 24 Punkten in den dritten Spieltag. Das ist ein Riesenklotz am Bein, das kann man, glaube ich, so sagen”, fasste Jonathan Knottnerus-Meyer die fordernde Situation für sein Team zusammen.
Hinzu kam am Freitagabend in der ehemaligen Olympia-Metropole die Erkenntnis, dass es auch am deutschen Boot Schäden gegeben hat: Löcher am Backbord-Rupf und einen weiteren Schaden am Heck. Nach ersten Einschätzungen werden die Schäden über Nacht vom SailGP-Tech-Team behebbar sein, doch Team Germany wird seinen Trainingsslot am Samstagmorgen voraussichtlich nicht wahrnehmen können. Der Rückschlag trifft eine Mannschaft im Vorwärtsgang unglücklich.
Denn abgesehen von den Strafsituationen war der Trainingstag vielversprechend gelaufen. Gleich im ersten Trainingsrennen waren die Deutschen als Dritte hinter Australien und Neuseeland ins Ziel gekommen. Jonathan Knottnerus-Meyer sagte auch mit Blick aufs zweite Rennen: “Wir haben Boote aufgeholt, stabile Upwind- und Downwind-Modi gesegelt. Wir haben uns gut gefühlt.”
Weiter sagte der Kieler Mediziner und Grinder: “Außerhalb von diesen zwei wirklich blöden Situationen war das an sich ein Tag mit einer guten Performance von uns. Jetzt hoffen wir natürlich, dass wir dieses Momentum mit gutem Segeln am Wochenende auch nochmal zeigen und das Event doch besser abrunden können als es jetzt ausschaut.”
Nicht nur das deutsche Team litt an diesem Trainingstag. Das US-Team mit Steuermann Taylor Canfield kenterte schon im Schlepp nach draußen. Dabei wurde das Flügelsegel so stark beschädigt, dass die Amerikaner den wertvollen Trainingstag verpassten. Das dänische Rockwool-Team kenterte beinahe, die Franzosen erlebten nur Sekunden später ihren ersten von gleich zwei heftigen Nosedives an nur einem Tag.
Zum Rennwochenende im Sydney Harbour werden am Samstagnachmittag Ortszeit Winde von 14 bis 18, in Böen bis 21 Knoten erwartet. Nach zweimal Aussetzen, weil ihr Boot noch nicht rennbereit war, sind die Franzosen erstmals in dieser Saison wieder mit von der SailGP-Partie. Damit wird erstmals in der SailGP-Geschichte ein komplettes Dutzend F50-Geschosse in voraussichtlich knackigen Bedingungen an der Startlinie aufkreuzen.
Top-Favoriten sind in ihrem Hausrevier die wiedererstarkten australischen Rekordsieger um Tom Slingsby. In seinem vor Regattastarts üblichen “The Russell Report” gewährte SailGP-Gründer und Dirigent Russell Coutts einen Einblick in seine aktuellen Gedanken zu den Kräfteverhältnissen in der Liga. Seine Vorwarnung: “Die Teams werden die Starts zur Priorität erheben. Wer schlechte Starts hat, wird sehr schwer klare Bahnen und freien Wind finden.”
Ein paar Seitenhiebe kassierten die Neuseeländer, die beim Januar-Heimspiel vor Auckland knapp das Finale verpasst hatten, von ihrem Landsmann. Russell Coutts sagte: “Die Kiwis werden definitiv bessere Starts benötigen, wenn sie eine Chance bekommen wollen, die Australier und einige der anderen Teams zu schlagen. Andererseits sind sie gut darin, sich ihren Weg durch eine volle Flotte zu bahnen. Tatsächlich war ihr vierter Platz in Auckland unglaublich, wenn man ihre schlechten Starts bedenkt.”
Russell Coutts spendete auch der deutschen Verpflichtung des noch in Saison vier selbst furiosen Fahrers Phil Robertson als zweiten Coach für dieses Wochenende Beifall. Robertson vertritt neben dem Flensburger Coach Lennart Briesenick den Italiener Jacopo Plazzi Marzotto, der Vater wird und deshalb am Wochenende pausiert. Coutts sagte mit Blick auf Robertsons Gastspiel: “Ich glaube, das ist ein smarter Move.” Zum Saisonklassement nach zwei von 14 Events geht es hier.
Zum deutschen Team sagte Russell Coutts: “Erik Heil und das Team sind als Segelsportler mehr als fähig - aber jemanden wie Phil hinter den Kulissen zu haben, wird ihnen helfen, einige der Dinge schneller umzusetzen, die sie verfeinern müssen, um wettbewerbsfähiger zu werden.”
Coutss fuhr mit einem Ausblick fort: “Später in dieser Saison werden wir unser erstes Event in Sassnitz in Deutschland veranstalten. Nach den bisherigen Ticketverkäufen zu urteilen – wir mussten die Kapazität der Tribüne bereits verdreifachen – wird es eine fantastische Veranstaltung mit vielen Zuschauern werden, so dass Erik und das Team vor ihrem Heimpublikum gut segeln wollen.”
Für das erste SailGP-Kräftemessen in einem deutschen Revier läuft der Ticket-Verkauf hier weiter. Die Deutschland-Premiere steigt am 16. und 17. August vor Sassnitz. Neben Tribünenplätzen (Grandstands am Wasser) zum Preis von 76 Euro pro Person gibt es auch die Möglichkeit, exklusive Bootsplätze („Bring your own boat“) zum Preis von 475 Euro zu erwerben – damit kann man laut Veranstalter die Regatta vom eigenen Boot aus direkt an der Rennstrecke erleben.
Live können die Rennen am Samstag und Sonntag in den frühen Morgenstunden ab 5 Uhr via SailGP-Youtube-Kanal oder SailGP-App verfolgt werden. Hier geht es zum SailGP-Angebot des ZDF und zum aus Sydney zeitversetzt an beiden Renntagen jeweils ab 10 Uhr mit deutschem Kommentar übertragenen Renngeschehen.
Unterhaltsam und informativ! Das sagten die SailGP-Protagonisten bei der Vorab-Pressekonferenz zum bevorstehenden Schlagabtausch im Sydney Harbour: