Mehr als zwanzig Male in schneller Folge reckte Kanadas Steuermann Giles Scott im Ziel die vor Freude geballte Faust in den Himmel über Los Angeles. Da hatten der 37 Jahre alte Doppel-Olympiasieger im Finn und seine Mannschaft gerade im Finale die Favoriten aus Neuseeland und Australien geschlagen und zum ersten Mal gemeinsam eine SailGP-Regatta gewonnen.
Giles Scott hatte seine beiden olympischen Goldmedaillen 2016 und 2021 als Nachfolger und langjähriger Teamgefährte des viermaligen Olympiasiegers “Big Ben” Ainslie für Großbritannien geholt, bevor der Finn aus dem olympischen Programm gestrichen wurde. Weniger bekannt ist, dass Scott am Ottawa River aufwuchs und auch einen kanadischen Pass hält.
So konnte er vor Kurzem in sein neues Team wechseln. In seinem früheren Team Emirates GBR hat America’s-Cup-Pilot Dylan Fletcher das Steuer übernommen. Für den fast zwei Meter großen Lenker und Denker Scott muss der Triumph im Hollywood-Revier deshalb doppelt süß geschmeckt haben, wo die Briten nur Vierte wurden.
Zwar führt Team Emirates GBR nach knapp verpasstem Finale mit 34 Punkten weiter das Saison-Klassement vor Australien (32 Punkte) und Neuseeland (29 Punkte) an, doch Kanada (25 Punkte) konnte nach vier von 14 Events in der noch jungen fünften SailGP-Saison auf Platz fünf hinter den spanischen Titelverteidigern (26 Punkte) vorrücken.
Das Germany SailGP Team von Thomas Riedel und dem viermaligen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel ist die rote Laterne des Schlusslichts nach dem Strafpunktgewitter von Sydney noch nicht losgeworden, teilt sie sich nun aber mit Brasilien und konnte das arg prall gefüllte Strafpunktkonto inzwischen auf zwei Minuspunkte schmelzen.
In Los Angeles hatte die Crew um Erik Heil an diesem Wochenende bei teilweise sehr gelungenen Starts aber auch mit einigen Vorstart-Penalties und – wie andere Teams auch – mit Seegras auf dem Kurs zu kämpfen, beendete die erste von drei US-amerikanischen Regatten jedoch mit Rang zwei im siebten und letzten Rennen stark.
„Eine Regatta fühlt sich meist so gut an wie das letzte Rennen.“ Das sagt Steuermann Erik Heil vom deutschen Team im SailGP oft. In Kalifornien endete die deutsche Achterbahnfahrt durchs Klassement mutmachend. Nach den Rängen 8, 5, 7, 11, 7, 7 und 2 beendete die deutsche Mannschaft den SailGP-Gipfel in der ehemaligen und 2028 wiederkommenden Olympiastadt LA auf Platz sieben.
Steuermann Erik Heil zog danach optimistisch Bilanz. Der zweimalige Olympia-Dritte sagte am späten Sonntagabend in Los Angeles „Es waren heute nochmal drei Rennen in sehr fordernden leichten Winden. Unsere Starts in den ersten beiden Rennen waren nicht optimal, aber wir haben uns ganz gut zurückgekämpft.“
Vor allem der Höhenflug im letzten Lauf hat dem deutschen Team eine Woche vor dem nächsten Event in San Francisco gezeigt, wozu es fähig sein kann. Erik Heil sagte: „Ich bin sehr happy, dass wir da mit einem guten Start noch einmal eine gute Platzierung herausfahren konnten.“ Dazu trug als einzige Frau im deutschen Team Strategin Anna Barth aus Kiel intensiv bei.
Weil in den leichten Winden am Schlusstag nur vier- und nicht fünf- oder sechsköpfige Crews im Einsatz waren, musste die 20 Jahre junge Athletin in der kleinen Besetzung am Grinder ackern. Dort, wo sonst zwei starke Kerle kurbeln, war sie solo gefordert. So ist es in der Minimalbesetzung auch bei den anderen Teams, weil die weiteren drei Positionen an Bord – Steuermann, Flügeltrimmer, Flight Controller –nicht flexibel sind.
Schon vor dem Event hatte Anna Barth gegenüber YACHT online erzählt, dass die Fitness für diesen Doppel-Job aktuell eine Priorität ihres intensiven Trainings ist. „Es war hart heute“, berichtete die 1,69 Meter große Athletin dann am Sonntagabend nach den Rennen, in denen sie wieder als Strategin und am Grinder gefordert war.
Dabei traf es sie sogar doppelt hart, wie sie berichtete: „Wir hatten heute bis zuletzt die Unsicherheit, ob wir zu fünft oder zu viert segeln. Dadurch hatten wir nicht die richtigen Gänge für mich, sondern die harten Gänge drin.“ Das konnte man sogar bei der ZDF-Live-Übertragung in der Nacht sehen: Da rang Anna Barth wie eine Löwin mit den Kurbeln, die immer wieder stockten.
Es wurde sichtbar, warum Leichtwindbedingungen eine der großen Herausforderungen für weniger erfahrene Teams bleiben. Doch die in Hamburg aufgewachsene Athletin biss sich durch. Später erzählte auch der an diesem Tag nicht zum Einsatz gekommene Grinder Felix Van den Hövel, warum es die deutsche Mannschaft an diesem Sonntag besonders schwer hatte.
Felix Van den Hövel sagte: “Es gibt ein Szenario, bei dem nur vier Leute an Bord sind. Das passiert, wenn ganz wenig Wind herrscht. Wir hatten damit heute nicht gerechnet, aber es wurde so für alle Rennen veranlagt.” Entscheidungen wie diese trifft die SailGP-Rennleitung of kurzfristig. So war es auch in Los Angeles.
Die deutsche Mannschaft erwischte die Entscheidung auf dem falschen Fuß. Felix Van den Hövel musste zusehen, weil beide klassischen Grinder aller Teams an Land blieben. Er erklärte: “Wir haben damit nicht gerechnet, waren wir ein bisschen schlecht vorbereitet. Zudem waren die Bedingungen dann sehr anspruchsvoll. Es war sehr windig, böig, man musste wirklich die Dreher finden. Wir haben natürlich alles gegeben, sind ganz zufrieden, fast im Mittelfeld gelandet zu sein. Das sind ja eigentlich realistische Ergebnisse für uns gerade. Also alles in allem ganz okay.”
Der zweite Rang am Schluss hat uns einen super Push gegeben und gezeigt: Wir können das!” Anna Barth
Anna Barth fasste den Finaltag zusammen: „Es sind die schwierigsten Bedingungen für uns, dieses marginale Foiling mit vier Leuten. Bei dem leichten Wind war es unser Ziel, so viel wie möglich auf die Foils zu kommen. Deshalb haben wir eher den Weg mit der besten Brise gewählt als den direkten. Das ist uns vor allem im siebten Rennen gut gelungen, in dem wir trotz Leichtwind 89 Prozent Flytime erreicht haben.” Zehn Events bleiben bis zum Saisonfinale im November in Abu Dhabi für den weiteren deutschen Wiederaufstieg.
Pech hatten in Los Angeles die Dänen. Das Team um Steuermann Nicolai Sehested hatte bereits im ersten Rennen an Tag eins eine Wendemarke gecrasht. Damit war die Regatta für sie zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte. Die Crew blieb zwar beim unerwarteten Kollisionsschock unverletzt, doch eines der T-Foils wurde beschädigt.
Das Team Rockwool Dänemark ringt nun darum, seinen Foiler mit dem SailGP-Technik-Team schnellstmöglich wieder einsatzbereit zu machen, denn das nächste Event startet mit dem Oracle San Francisco SailGP bereits am kommenden Wochenende. Weil die Logistik für den schnellen Umzug von Los ANgeles nach San Francisco ohnehin höchst anspruchsvoll ist, müssen die Dänen auf eine Blitzreparatur hoffen und kämpfen, wenn es mit dem Start bei der fünften Regatta der fünften Saison klappen soll.
Für die spannendsten Momente in Los Angeles hatten an Tag eins die brasilianische Doppel-Olympiasiegerin Martine Grael und ihr Team Mubadala Brasilien gesorgt. Als Liga-Neuzugang führten die Südamerikaner das dritte Rennen an, bevor sie auf dem Weg ins Ziel noch von Australien abgefangen wurden. Martine Grael und ihr Männer-Team erreichten die Ziellinie als Zweite, verpassten den historischen ersten Sieg einer SailGP-Steuerfrau um nur eine Sekunde!
Hier geht es zu den Höhepunkten von Tag zwei beim Rolex Los Angeles Sail Grand Prix: